bird on the wire
Aktives Mitglied
Hallo auch,
anscheinend haben die bisherigen Leser mehr Ahnung von Psychotherapie als ich. Also ich bin kein Therapeut und wäre in so einer Situation als Beziehungspartner erstmal unangenehm „überrascht“.
Ich denke: Wenn man sich durch schlimme Kindheitserlebnisse schlechte Verhaltensweisen antrainiert hat bzw. diese antrainiert wurden, so ist das eine Erklärung für die Entstehung.
Ich denke auch: Als Erwachsener übernimmt jeder Verantwortung für sich selbst – und kann das Antrainierte annehmen oder ablehnen. Für das Wegtrainieren falscher Verhaltensweisen bzw. für das Erlernen verantwortungsvoller Verhaltensweisen nimmt man sich ggf. einen Therapeuten. Aber immer steht für mich der erste Schritt fest: Sich eingestehen, dass man sich falsch verhält.
Aber es gilt (für mich) die Regel: Ohne Erkenntnis – auch kein Bekenntnis.
Ist das soweit richtig?
Wenn jedoch der Beziehungspartner seine in der Kindheit falsch gelernten Verhaltensweisen als richtig erklärt, damit sein heutiges Verhalten rechtfertigt, so ist das für mich nicht akzeptabel.
Das finde ich verantwortungslos und beziehungsfeindlich.
LG, Nordrheiner
Ich glaube nciht daran, daß Menschen so einfach und schlicht gestrickt sind, wie Du es beschreibst. Insbesondere früh verletzte und traumatisierte Menschen nicht. Dann würden Menschen ja nie in Teufelskreise geraten und sich ganz anders verhalten als sie eigentlich wollen, nur weil sie aus ihrem Teufelskreis nicht herausfinden, weil irgendwas altes in ihnen getriggert wurde. Viele Menschen verhalten sich von außen betrachtet unlogisch, verletzend und rücksichtslos. Aus ihrer inneren Wahrnehmung heraus ist das Verhalten aber leider oft stimmig.
Ich stimme Dir zu, daß das Verhalten so wie es vom TE geschildert wird, beziehungsfeindlich ist. Aber es mag Gründe dafür geben, die durchaus mit der Therapie im Zusammenhang stehen. Man spricht heute auch von den Nebenwirkungen einer Therapie, die auch schon mal unerfreulich sein können.
Es gibt Menschen, die aufgrund früher Verletzungen ein so geringes Selbstwertgefühl haben und sich für so wenig liebenswert halten, daß sie sich auf eine so ungeheuerliche Art verhalten, daß sie letzendlich verlassen werden und so ihr negatives Selbstbild bestätigt bekommen. Da können die inneren Prozesse, die durch eine Therapie in Gang gesetzt werden, durchaus dazu führen, daß Menschen unbewußt Bestätigung für ihr negatives Selbstbild suchen, weil es ihnen Sicherheit vermittelt daran festzuhalten, während die Therapie erstmal Unsicherheit bedeutet.
Genauso kann es sein, daß ein Mensch die empathische Zugewandheit des Therapeuten und das Schaffen einer Vertrauensbasis in den ersten Stunden falsch interpretiert und daraus schließt, keine Verantwortung für sein Handeln im Jetzt übernehmen zu müssen, sondern alles mit seinen früheren Traumen und Verletzungen rechtfertigen zu dürfen. Oder daß das entgegengebrachte Verständnis des Therapeuten und das Anerkennen der früheren Verletzungen wie ein Freifahrtschein interpretiert wird, um sich eben nicht ändern zu müssen.
Auch die evtl. Ermutigung des Therapeuten, sich seinen Gefühlen und Bedürfnissen entsprechend zu verhalten, kann durchaus falsch interpretiert werden und mal ins Extrem umschlagen.
Eine Therapie ist aufwühlend, verstörend, manchmal auch überfordernd. Und gerade am Anfang durchblickt man noch gar nicht, was da mit einem passiert. Nicht auszuschließen, daß man in seiner Beziehung dann nicht gerade das beste Verhalten an den Tag legt.
Aber in der Beziehung des TEs scheint es ja auch aus anderen Gründen Gesprächsbedarf zu geben. Es hat ja schon früher mehrfach Vertrauensbrüche gegeben und die Vorstellungen von partnerschaftlicher Beziehung scheinen ja nicht unbedingt deckungsgleich zu sein. Ich meine, da müßte angesetzt werden.