schenken wir den derzeitigen Statistiken Glauben, so ist das Thema Untreue in der heutigen Gesellschaft so weit verbreitet wie niemals zuvor. Fast 50 % aller Verheirateten oder fest und langjährig verbundenen Paare haben sich mit dem Thema Seitensprung oder Affäre schon einmal beschäftigen müssen. Und hierbei ist erstaunlich, dass die Zahl der Frauen, die einen Seitensprung eingestehen, sogar höher ist als die der Männer.
Gerade weil das Thema Seitensprünge und Affären so aktuell ist, sollten wir auf dieses Thema eingehen und es ansprechen und es nicht weiter als "Tabuthema" betrachten. Denn das Geheimhalten dieser Thematik führt häufig dazu, dass die Menschen, sowohl die "Betrogenen" als auch die "Betrüger", mit ihrer schwierigen Situation alleine dastehen und nur wenig Hilfe bekommen. Mit meinem Text möchte ich Dir einige Anregungen geben, über das Thema Treue noch einmal neu nachzudenken oder aber auch mit dem Thema Untreue einen Umgang zu finden.
Denn nicht automatisch bedeutet ein Seitensprung gleich das "Aus" für eine bestehende Partnerschaft.
Zunächst einmal möchte ich einige Sätze zu dem Wert der Treue verlieren. Treue verleiht einer Beziehung, einer glücklichen und gut funktionierenden Beziehung, einen ganz besonderen Charakter. Sie stellt eine ganz besondere Intimität zwischen zwei Menschen her. Es hat eine große Bedeutung, wenn man sich dafür entscheidet, etwas so Nahes und Persönliches wie sexuelle Intimität mit nur einem Menschen zu teilen - und mit sonst niemandem. Treue schafft einen Raum, den nur zwei Menschen betreten können und der die Beziehung zu etwas gefühlt Besonderem macht. Sexuelle Treue bietet ein hohes Maß an Sicherheit.
Genetisch gesehen sorgt Treue dafür, dass die Frau sich sicher sein kann, dass der Mann nur in sie investiert und ihr und dem Nachwuchs ungeteilt die Ressourcen zukommen lässt und sie beschützt. Für den Mann ist Treue die einzige Basis dafür, dass er sich sicher sein kann, keine "Kuckuckskinder" großzuziehen und seine Ressourcen nicht in die Weitergabe "fremder" Kinder zu investieren.
Natürlich sind wir Menschen mehr als die Summe unserer Gene und es gibt auch eine psychodynamische Erklärung der Treue. Der bekannte Beziehungsautor Jellouschek schreibt: "Liebe kann reifen und zur echten Hingabe werden, wenn es mir gelingt, meine Liebeskraft auf einen Menschen zu konzentrieren. Das verleiht der Liebe eine Tiefe, die in Beziehungen, in denen ich mich innerlich nicht festgelegt habe, nicht erreicht wird."
Ich finde diese Beschreibung besonders schön, da sie zwei ganz entscheidende Thematiken der Treue benennt. Erstens, dass es in einer Beziehung, zu der Du Dich hundertprozentig entschieden hast, auf die Du Dich einlässt und zu der Du stehst, zu einer Vertrautheit, Geborgenheit, Intimität und Sicherheit kommen wird, die Du in Affären und lockeren Beziehungen nicht erleben wirst. Und zweitens, dass Treue und das sich Einlassen auf eine innige und feste Beziehung immer bedeuten, auf andere Möglichkeiten zu verzichten. Dieser bewusste Verzicht betont den Wert und die Bedeutung der Beziehung.
Beide Themen, die hier genannt werden, sind auch die, die zur Untreue führen können. Nämlich erstens die Angst vor zu viel Nähe und zu viel Sicherheit und zweitens das Nicht-verzichten-Können und/oder -Wollen.
Was fehlt in einer Beziehung, in der es zu Untreue kommt?
Nur selten hat eine Affäre oder ein Seitensprung nichts mit der Paarbeziehung zu tun. Dies "passiert" meistens dann, wenn in der Paarbeziehung etwas fehlt. Entweder gibt es zwar sehr viel Sicherheit und Geborgenheit in der Beziehung, dafür fehlt es aber an Erregung und Spannung, oder aber es ist eine ungleiche Beziehung entstanden, in die der eine Partner viel mehr hineingibt als der andere. Solch ein Ungleichgewicht (und empfundene Ungerechtigkeit) wird nicht selten dadurch auszugleichen versucht, dass man sich eine "dritte Person" herbeiholt.
Die meisten Menschen, die untreu waren oder aber mit dem Gedanken spielen, würden dies vermutlich nicht so klar benennen können, aber in den allermeisten Fällen steht fest, dass der "Untreue" sich etwas sucht, dass er sich etwas holt, was er in seiner eigenen Paarbeziehung nicht mehr ausreichend bekommt.
Und wenn es Paaren gelingt, genau hinzuschauen, was fehlt, muss ein Seitensprung durchaus nicht das Ende einer Beziehung bedeuten, sondern birgt das Potenzial, gemeinsam daran zu arbeiten.
Die Gefahr der Treue liegt in einer Erstarrung der Lebendigkeit, wenn beide Partner andere Anregungen bräuchten als die, die sie einander geben können, aber aus Pflichtgefühl versuchen, diesen Bedürfnissen keinen Raum zu geben.
Wenn Du an diesem Punkt stehst, wenn Du merkst, dass Du eigentlich etwas anderes bräuchtest, um Dich lebendig zu fühlen, solltest Du mit Deinem Partner sprechen. Teile Deinem Partner mit, dass Dir in Eurer Beziehung etwas fehlt - und das muss gar nicht zwingend die Sexualität sein. Seitensprünge haben bei Weitem nicht immer etwas mit fehlender oder unerfüllter Sexualität innerhalb der Paarbeziehung zu tun, sondern können ihren Ursprung in ganz anderen unbefriedigten Bedürfnissen eines Menschen haben.
Sprich mit Deinem Partner über dieses Gefühl. Und sage ihm auch, wie ernst und bedrohlich diese Sehnsucht nach "etwas Neuem" ist. In den meisten Fällen rüttelt dies den Partner wach. Und die Ehrlichkeit und Offenheit, die Du ihm dadurch beweist, dass Du dieses Thema ansprichst, wird ihm zeigen, wie wertvoll Dir Eure Beziehung ist. Seid behutsam und offen miteinander. Vermeidet Vorwürfe und Schuldzuweisungen.
Vielleicht würden weniger Seitensprünge und Affären entstehen, wenn Partner schon in dem Moment, in dem eine Sehnsucht nach etwas Ungelebtem erwacht, miteinander darüber reden würden. In den allermeisten Fällen nehmen Menschen diese Bedürfnisse aber nicht so klar wahr, sondern geben sich dem "anderen", dem "Neuen" erst einmal hin, ohne darüber nachzudenken, was sie tun könnten, um ihre eigene Beziehung wieder zum Glühen zu bringen.
Was also tun, wenn es schon einen Seitensprung gegeben hat? Wenn einer der Partner bereits eine Affäre lebt?
Ich finde es empfehlenswert, wenn sich derjenige, der sich mit dem Gedanken trägt, einen Seitensprung zu begehen, bewusst macht, dass dadurch in seiner Paarbeziehung ein enormes Ungleichgewicht entstehen wird. Untreue verletzt. Derjenige, der betrogen wird, wird diesen Seitensprung als enorm kränkend erleben.
So sollte man sich, bevor man sich auf ein Abenteuer oder eine Affäre einlässt, unbedingt fragen: "Wie ginge es mir, wenn mein Partner das tun würde?"
Oftmals erlebe ich in meiner Arbeit, dass Menschen von ihren Partnern Toleranz und Verständnis erwarten, selbst aber in einer solchen Situation völlig durchdrehen würden. Daher rate ich dringend, sich einmal in den Partner hineinzuversetzen, denn nur dann wird Dir die volle Verantwortung für Dein Handeln bewusst und Du kannst entscheiden, ob Du diese auch wirklich übernehmen kannst und willst.
Durch Beziehung und Sexualität werten wir in hohem Maße unser Selbstwertgefühl auf. Du solltest Dir darüber im Klaren sein, dass ein Seitensprung für Deinen Partner eine Entwertung seines Selbstwertes bedeuten wird.
Kommen wir nun zu der Frage, ob Du eine bestehende Affäre oder einen Seitensprung ansprechen solltest. Auf diese Frage kann ich keine allgemein gültige Antwort geben, ich kann lediglich auf Erfahrungswerte zurückgreifen und Dich motivieren, Dich wirklich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Sollte es sich um eine kurze, intensive Episode in Deinem Leben handeln, einen Seitensprung, eine heiße, aber ganz klar zeitlich begrenzte Affäre, und sollte für Dich dennoch - oder gerade deshalb - feststehen, dass Du mit Deinem Partner zusammenbleiben willst und Du Dir nichts sehnlicher wünschst als eine glückliche Partnerschaft mit ihm, dann stelle ich in Frage, ob Du Deinem Partner von dem Seitensprung bzw. der zeitlich begrenzten Affäre erzählen solltest. Es ist die Frage, ob dies Dein Geheimnis bleiben könnte, weil Du weißt, dass es für Dich nur positive Auswirkung hat, für Deinen Partner aber, würde er davon erfahren, eine sehr schwierige Situation entstehen würde.
Anders sehe ich es bei Affären oder Liebesbeziehungen, die langandauernd sind und deren Ende nicht abzusehen ist. Immer wenn durch eine Affäre oder "Außenbeziehung" deutlich wird, dass in der Paarbeziehung etwas Wichtiges und Wertvolles verloren gegangen ist, solltest Du mit Deinem Partner darüber reden, da Du Dich sonst um die Chance bringst, die Paarbeziehung zu retten oder wiederzubeleben.
Es kann noch eine dritte Möglichkeit geben. Nämlich die, dass Du Dich in die "dritte Person" wirklich verliebt hast, dass Du merkst, dass Du Dich mit dieser Person wohler, glücklicher, selbstbewusster fühlst und Deine "alte" Beziehung nur noch aus Routine weiterführst. In diesem Fall musst Du mit Deinem Partner sprechen, denn in dieser Situation musst Du Dich ernsthaft damit auseinandersetzen, die "alte" Beziehung zu beenden.
Du merkst also, es scheint wichtig zu sein, zwischen einem erotischen Abenteuer und einer langandauernden Affäre zu unterscheiden. Wenn es Dir möglich ist, solltest Du aus dem ersten Fall keine Tragödie machen und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Den zweiten Fall solltest Du allerdings sehr ernst nehmen, und Ihr solltet Euch gemeinsam so lange damit auseinandersetzen, bis Ihr zu einer Lösung gekommen seid. Hierbei kann es durchaus sinnvoll sein, sich einen Außenstehenden hinzuzuholen, einen Paartherapeuten hinzuzuziehen. Denn ein Seitensprung kann für eine Beziehung eine derart große Belastung darstellen, dass es durchaus sinnvoll ist, professionelle Hilfe aufzusuchen.
Wenn Du diejenige bist, deren Partner oder Ex-Partner eine Affäre hat, empfehlen wir Dir, den Abschnitt über das Thema "Wenn der (Ex-)Partner sich neu verliebt" in unseren beiden Ratgebern nachzulesen. Du findest darin verschiedene aktive und passive Muster beschrieben, mit denen Du in den allermeisten Situationen verhindern kannst, dass sich eine dritte Person zwischen Dich und Deinen Partner stellt.