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Aberkannte Trauer

Gretchen

Mitglied
Ihr Lieben,

ich würde gerne mich gerne mit Menschen austauschen, denen ähnliches widerfahren ist.
Es geht um den Verlust eines Geschwisters. Oft tritt der hinterbliebene Bruder oder die Schwester in den Hintergrund und Eltern oder die Kinder es Verstorbenen nehmen großen Raum ein, man spricht dabei von aberkannter Trauer.
Vor allem bei Kindern passiert es, dass die Trauer nicht richtig gelebt wird und erst später ausbricht.
Aber auch bei Erwachsenen kommt es vor, dass man sich zurücknimmt aufgrund der Gesellschaft oder Erwartungen. Obwohl wir einen Teil unserer Selbst und ein Stück der eigenen Identität verlieren und immer damit leben müssen, hat die Trauer der Eltern in manchen Köpfen "Vorrang".

Oft wird einem schon bei der Frage nach den Geschwister komisch zumute, wenn man die Reaktionen auf die Antworten schon erahnen kann. Vielleicht gibt es einige, die sich gerne über ihre Geschwister unterhalten würden,
die den Austausch suchen. Oft ist es ja schon sehr heilsam etwas zu erzählen, was sonst vielleicht verschwiegen wird.

Falls Euch danach ist, gerne raus damit :)
 

Burbacher

Aktives Mitglied
Hallo Gretchen,

Du schreibst: "Oft tritt der hinterbliebene Bruder oder die Schwester in den Hintergrund und Eltern oder die Kinder es Verstorbenen nehmen großen Raum ein, man spricht dabei von aberkannter Trauer."

Das ist eine Geschichte, die mich auch in meiner eigenen Familie lange und stark beschäftigte. Wir waren zu Hause drei Geschwister. Ich war der Älteste, es folgt meine fünf Jahre jüngere Schwester und danach mein sieben Jahre jüngerer Bruder.

Mein Bruder starb vor nunmehr bald acht Jahren. Favorit meines Vater war unsere Schwester, sein "Mädchen" eben. Diese besondere Haltung blieb bis zu seinem Tod. Ich fand die Beziehung meines alten Herrn zu unserer Schwester eher niedlich, und sie beschwerte mich nicht.

Problematisch allerdings hielt ich die Beziehung meiner Mutter zu unserem Bruder, genoss er doch - fast bis zu seinem Tode - die mütterliche Nachsicht, ihr fürsorgliches Verhalten, vor allem aber ihr Verständnis für alles, was er im Leben in den Sand gesetzt hatte. Und das war nicht wenig.

Er griff früh zur Flasche, machte allerdings eine Ausbildung und galt handwerklich als Meister seines Faches. Es gibt noch heute in meinem Heimatort Gebäude, denen er gewissermaßen die Krone mit seiner Handwerkskunst aufsetzte.
Fast noch jugendlich, setzte er ein Kind in die Welt und auf Druck unserer Eltern und der Eltern seiner jungen Freundin heirateten sie.

Die Ehe zerbrach, bevor das Mädchen in die Schule kam. Mein Bruderherz zog zurück ins Elternhaus und genoss dort vor allem die beinah uneingeschränkte Fürsorge unserer Mutter: Sie bekochte ihn nicht nur, sie wusch seine Klamotten, er saß bis zum Schluss am Tisch der Eltern.

Um ein Haar wäre ihm für einen Symbolpreis das Elternhaus als Erbe zugefallen mit der Begründung, dass Schwesterherz und ich ja ein Haus besaßen, für das wir uns freilich abgestrampelt hatten.
Nach dem plötzlichen Tod unseres Vaters drehte er dann richtig auf, gab im Elternhaus den Hausherrn, bedrängte unsere Mutter, bedrohte sie.

Sie wusste sich nicht anders zu helfen, als das Haus zu verkaufen, womit er schließlich ausziehen musste.
Kurze Zeit später blieb er in seinem letzten Rausch und wurde nicht mehr wach.

Hörte ich Mutter reden, dann fand sie tausend Gründe für seinen Weg, an dem alle schuldig geworden waren, nur er selbst nicht. Meine Schwester und ich fühlten uns in der Tat dafür abgestraft, dass wir alles getan hatten, um unser Leben einigermaßen anständig und erfolgreich zu bestehen.

Mir fehlt bis heute eine wirkliche Begründung dafür. Vielleicht ist sie darin zu finden, dass Menschen allgemein weniger das schätzen, was sie ohnehin haben, sondern das, was ihnen fehlt. Wir sehen weniger unser Glück, die Gründe dankbar zu sein, sondern trauern dem nach, was wir nicht erreicht haben.

Ich kann das nicht anders erklären, schmerzlich jedoch war es für meine Schwester und mich auch.
Das Thema "Bruder" und "jüngster Sohn" ist noch heute bei unserer fast 90jährigen Mutter ein Tabu-Thema und wir sprechen auch mit ihr die Dinge nicht mehr an, nur untereinander noch gelegentlich, ohne eine wirkliche Antwort zu finden.

Gut verstehe ich, was Du meinst.

Burbacher
 
A

Aves

Gast
Familien sind oft eigene "Universen", in denen sehr häufig seltsame Regeln und Bündnisse herrschen. Auch ist es erwiesen, dass man als Elternteil gar nicht alle Kinder gleich lieben kann, auch wenn man das gerne möchte. Wenn man das verinnerlicht hat, kann man sich evtl. als Kind leichter davon abgrenzen.

Ich kenne das Gegenteil übrigens: gezwungen werden, zu trauern. Als unser alkoholkranker, pädophiler Vater starb, war ich erleichtert, ich war direkt fröhlich, ich dankte Gott und der ganzen Welt. Eine zentnerschwere Last fiel von mir ab. Ich war allerdings bis heute die einzige, die es schaffte, die Wahrheit zu sehen über ihn. Alle standen schluchzend und Rotz und Wasser heulend an seinem Grab und ich konnte das erste Mal durchatmen..."er ist weg"....endlich, er ist weg....

Die Familie verachtet mich bis heute dafür. Sie beschimpften mich noch auf dem Friedhof. Natürlich bin ich nicht lachend herum gesprungen, aber möglicherweise hat man mir meine massive Erleichterung irgendwie angesehen. Es ist menschlich, ich wurde befreit. Und ALLE wissen, WOVON ich befreit wurde. Und dennoch zwangen sie mich zu trauern....im Übrigen wurde ich auch gezwungen, die Beerdigung zu bezahlen, aber das ist eine andere Geschichte.
 
E

Edy

Gast
Trauern kann man ja auch im Stillen und dort kann sie so viel Raum einnehmen, wie notwendig, finde ich, würde ich nicht in Abhängigkeit von anderen tun.

Ich habe auch einen verstorbenen Bruder und habe relativ wenig getrauert, da für mich persönlich noch was Schlimmeres eingetreten ist.
 

Gretchen

Mitglied
Hallo @Burbacher! Es tut mir leid zu hören, wie das bei Dir gelaufen ist. Habe das Gefühl, das zeigt sehr deutlich wie einschneidend und nachwirkend dieses Auseinanderbrechen der Strukturen verlaufen kann.

Ich kann nur für mich persönlich sprechen, aber mich schmerzt die Vorstellung, dass es Dinge gibt die nie wirklich besprochen werden können, bei mir persönlich gibt es da ähnliche Situationen.
Natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden worüber er sprechen und was er besprechen möchte, dennoch hat es immer einen bitteren Beigeschmack, wenn etwas unausgesprochen bleibt oder zumindest eine Person das Gefühl hat.
Habt ihr sonst noch ein gutes Verhältnis zu Eurer Mama?
Wie ist denn Deine Bezieung zu Deiner Schwester verlaufen?

Hey, @Aves.. irgendwie finde ich den Gedanken gruselig, dass es kein gleich gibt. Aber ja, Liebe ist ja immer individuell und so wird es auch mit den Kindern sein.
Diese Universen sind wirklich komplex und es scheint schwer zu begreifen, wie es funktioniert. Vor allem, wenn Grundfesten dann erschüttert werden.
Es schockt mich, was Du da erzählst. Ich kann Dich verstehen, dass Du erleichtert warst! Dass es diese Seite auch gibt, glaube ich gerne.
Wie ist denn Deine Beziehung jetzt zu Deiner Familie, wenn ich fragen darf? Beschimpfung auf dem Friedhof.. Ich finde eh, dass Friedhöfe und Beerdigungen die seltsamsten Konstellationen wieder hervorbringen oder auf den Plan rufen.

Wie hier schon gesagt, Trauer ist individuell und sollte nicht von anderen abhängig gemacht werden, das ist aber weniger was ich meine. Wenn man noch jung ist, hängt die Möglichkeit und Art der Trauer ja oft auch von außen ab. Wenn man etwas vorgelebt bekommt, fällt es da schwer für sich selbst eine "richtige" Position zu finden. Erst recht, wenn alles persönlich wird und schmerzhaft, Konkurrenz oder was auch immer noch dazukommen kann.
 
A

Aves

Gast
Als unsere Mutter starb wurde mir in der Beerdigungsrede unter vielfachem Kopfnicken und Geraune die schuld für den Tod beider Elternteile gegeben. Die Begründung wurde gleich mit geliefert: weil ich unbedingt studieren wollte....das muß man nicht verstehen. Das hat mich so erschüttert, in meinen Grundfesten, wie man so sagt, dass ich seit fast 10 Jahren jeglichen kontakt zu diesen Personen abgebrochen habe.
 
Zuletzt bearbeitet:

Gretchen

Mitglied
Das ist grauenvoll. Ich frage mich, was Menschen dazu bewegt andere Leben so zu beeinträchtigen. Vermutlich ist garnicht bewusst, wie weh Worte tun können. Oder es wird etwas kompensiert, Schuld gesucht, Leid aufgedröselt.. keine Ahnung.
Beeinflusst Dich das auch noch in Deinen Entscheidungen? In deiner Sicherheit? Wenn es schon um das Studium ging, usw.. Ich glaube, ich wäre absolut verunsichert in allem was danach käme. Aber das ist wohl auch eine Typfrage.
 
A

Aves

Gast
Mich hat das so krank gemacht. Ich hatte das Gefühl, ich bin ein Ungeheuer. Nie wurde gesehen, was ich in dieser Familie durch gemacht habe, das existiert einfach nicht. Das "darf" es nicht geben. Ich habe mit massiven Panikattacken reagiert, konnte das Haus nicht mehr verlassen. Ich ging dann 4 Jahre in Psychotherapie.
 

Burbacher

Aktives Mitglied
Hallo Gretchen,

Du fragst:

"Habt ihr sonst noch ein gutes Verhältnis zu Eurer Mama?
Wie ist denn Deine Beziehung zu Deiner Schwester verlaufen?"

Ich kann mein Verhältnis zu meiner Mutter inzwischen als sehr entspannt bezeichnen. In gewisser Hinsicht bewundere ich sie, wie sie damals-mit Mitte der 70- in der Nachbarschaft meiner Schwester ein ganz neues Leben angefangen hat.

Sie hat dort neue Freunde gefunden, trat einem altersgemischten Wanderverein bei, ist immer noch Mitglied einer Schauspiel-Gruppe von Laien, lernt ihre Texte, pflegt Kontakte zu etlichen Menschen. Und- wie gesagt - sie marschiert auf die 90 zu.

Meine Schwester und ich sind sehr verschieden. Sie ist spontan, von explosiver Natur, herzlich bis rauh und so ziemlich das Gegenteil von mir. Wir kennen unsere jeweiligen Empfindlichkeiten und respektieren sie.
Was mich heute noch beschäftigt, ist der Umstand, dass ich meinen Bruder innerlich nie erreichen konnte. In früher Jugend war ich so etwas wie ein Vorbild für ihn und ich hatte Anteil an seiner Erziehung, mehr als das wohl auch meiner Bruder-Rolle zukam.

Daraus entstand dann in den folgenden Jahren ein spannungsvolles Verhältnis, achtete er mich doch wegen meiner intellektuellen Interessen, fragte mich auch gerne nach meiner Einschätzung, wenn es um Fragen komplexerer Natur ging.

Dagegen freilich stand, dass er mich sicher als ihm in gewisser Weise überlegen erlebte, was ich dann verbal zurückbezahlt bekam, wenn er wieder einmal zu tief ins Glas geguckt hatte.
Als der dann überraschend starb, lag ich mit einer schweren Verletzung im Krankenhaus und konnte somit nicht an seiner Beerdigung teilnehmen.

Als ich später sein Grab besuchte, empfand ich nichts. Keine Trauer, keine Anteilnahme. Nichts. Unsere Beziehung hatte wohl schon Jahre früher ein Ende gefunden. Wir hatten die selben Eltern, wuchsen unter identischen Bedingungen auf, und wir unterschieden uns wie Tag und Nacht.

Ich weiß um die inneren Zusammenhänge, aber sie erreichen meine Gefühle nicht.

Burbacher
 
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