Lieber
@_Phoenix2_ ,
wie ich gestern schon schrieb, ich finde, dass Du Dich sehr vorsichtig und sachte ausdrückst. Das kann im Kontakt mit anderen Menschen oft ein Vorteil sein, weil man mit einer vorsichtigen, bedachten Art sein Gegenüber eher selten verletzt. Viele Menschen in Deiner Umgebung werden diese Eigenschaft schätzen und Dich wahrscheinlich als guten Gesprächspartner und Zuhörer empfinden.
Wenn es um die Äußerung Deiner eigenen Wünsche und Bedürfnisse geht, kann diese sanfte, leise, evt. verklausulierte Art dazu führen, dass Dein Gegenüber Dein Bedürfnis überhaupt nicht als solches wahrnimmt oder fehlinterpretiert. Vor allem Menschen, die Dich nicht kennen, brettern dann vielleicht einfach über Deine Empfindungen hinweg, weil sie diese weder erspürt noch verstanden haben.
Kommunikation ist eine diffizile Sache - sehr komplex. Manche Menschen können verbale und nonverbale Signale sehr gut deuten, manche nicht. Und dann kommt es zu Missverständnissen, die verletzen können.
Neben einem Vollzeitjob das Abi nachzuholen ist auch anstrengend. Wenn Du allerdings den Verdacht hast, leichtes ADHS zu haben und dadurch Nachteile zu erleben (z.B. Schwierigkeiten, sich zu strukturieren, zu fokussieren, Dinge durchzuhalten, etc.), ist es aus meiner Sicht absolut sinnvoll, Dich in einer ADHS-Spezialambulanz testen zu lassen. Evtl. kann Dir da sehr weitergeholfen werden.
Ich glaube, dieses Gefühl von Entwurzelung ist sehr häufig bei Menschen mit Migrationsgeschichte. Du bist quasi ein Wanderer zwischen den Welten. Mit der deutschen Kultur aufgewachsen und dennoch umgeben von der Kultur Deines Herkunftslandes. Für Deine Eltern ist/war die Sache evtl. einfacher... sie hatten möglicherweise die Lebensfrage "Wer bin ich?" schon größtenteils für sich beantwortet, bevor sie nach Deutschland emigriert sind. Es ist einfacher, als gefestigte Persönlichkeit in ein Land einzuwandern und sich langsam mit den fremden Sitten und Gebräuchen zu arrangieren oder eben auch nicht. Du bist in Kindergarten, Schule, Arbeit zu einem großen Teil von Menschen mit "deutscher" Identität umgeben, die Dir vielleicht von Kindesbeinen an signalisiert haben, dass Du anders bist. Und Du weißt nicht mal, was dieses "anders" eigentlich bedeuten soll. Wie Du denn genau sein sollst, damit Du 100% "passt". Und zu Hause hörst Du vielleicht manchmal, dass Du nicht so "deutsch" sein sollst. Ja was denn nun? Ich stelle mir das sehr, sehr anstrengend und konfus vor.
Es tut mir leid, dass Du so fühlst.
Zu einem gewissen Teil ist die "Wer bin ich?"-Frage glaube ich eine Entwicklungsaufgabe, die jedem Menschen bevorsteht. Dieses entwickeln einer stabilen Identität.
Für Dich und viele andere ist diese Aufgabe vermutlich ungleich komplexer und anstrengender - evtl. kann ein Therapeut dabei Unterstützung bieten.
Alles Gute für Dich