Wird das Leben mit zunehmendem Alter leichter?
Im ersten Moment wollte ich die Frage mit "Nein!" beantworten, aber als ich mal genauer drüber nachgedacht hab, wurde mir klar, dass die richtige Antwort in meinem Fall eindeutig "Ja!" ist.
Ich hab so viel gelernt, bin viel selbstbewusster, entspannter, ruhiger und achtsamer geworden, hab mein Leben und mich zum Positiven hin verändert, bin nicht mehr allein und habe immer jemanden, der mir hilft, wenn ich Hilfe brauche.
Früher hab ich ständig an mir gezweifelt, hab ständig mit den (für mich viel zu hohen) Anforderungen des Alltags und des Berufsleben gekämpft, hab immer versucht, "normal" zu sein und das zu schaffen, was andere wie von Zauberhand geschafft haben, hab mich im Chaos verloren und nach Ordnung gesehnt, konnte weder mein Temperament noch mein vorlautes Maul zügeln und bin wieder und wieder und wieder krachend aufs Maul geflogen. Mein Leben war eigentlich ein einziger Kampf. Gegen mich selbst, gegen das Aussen, gegen gefühlt die ganze Welt.
Und dabei hat mir niemand geholfen. Meine Eltern sind schon lange tot und von allen anderen Menschen kam immer nur: "Du musst dies!" und "Du musst das!". Alle haben immer nur gefordert, gefordert und noch mehr gefordert. Es musste erst soweit kommen, dass ich vor lauter Überforderung und Hilflosigkeit fast einen Menschen auf dem Gewissen gehabt hätte, bevor mal jemand gesagt hat: "He, da stimmt was nicht! Der Kerl braucht Hilfe!".
Dann folgte als erstes die Autismusdiagnose, die ich damals aber absolut nicht akzeptieren wollte. Ich kämpfte noch mehr, wollte mit aller Gewalt "normal" sein. Bis der Zusammenbruch mit Suizidversuch kam. Anschliessend mehrere Monate Klinik und die zusätzlichen Diagnosen ADS und rezidivierende Depressionen. Aber dann, als ich meine Behinderungen auch endlich akzeptieren konnte und ich die Zusammenhänge dahinter anfing zu verstehen, habe ich das Kämpfen aufgegeben und hab stattdessen zugesehen, dass ich mich in meinem Leben so einrichte, wie es mir guttut und wie ich damit am Besten leben kann. Statt also weiterhin draussen auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, hab ich mich in eine "Burg" zurückgezogen. Und es war und ist mir egal, ob andere deswegen meinen, ich wär faul, würde mich auf meinen Behinderungen ausruhen oder sonstwas. Ich kann nicht auf einem Schlachtfeld überleben, aber geschützt in einer "Burg" kann ich überleben.
Ich liess das Messietum hinter mir, wurde EM-Rentner, zog in ein kleines Haus auf dem Land, fand überraschend meine Lebensgefährtin, lernte mit ihrer Hilfe, mein Temperament und mein vorlautes Maul zu zügeln und achtsamer durchs Leben zu gehen, holte mir Hilfe und Unterstützung für den Alltag durch das ambulant betreute Wohnen und bin aktuell dabei, meine Depressionen endgültig hinter mir zu lassen. Ich bin erst jetzt, mit über 40 Jahren wirklich im Leben angekommen. Erst jetzt kann ich das Leben geniessen und fühl mich frei. Frei von all diesen gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen, die mir früher das Leben so schwer gemacht haben.
Ich muss mit Mitte 40 keine Famile, keinen grossen Freundeskreis, keinen tollen Job, kein eigenes Haus und auch keine fette Karre haben, nur weil andere Menschen meinen, dass man nur dann was erreicht hat. Ich bin mit dem zufrieden, was ich hab. Es gibt im Leben wichtigere Dinge als irgendwelches materielles Hab und Gut und/oder eine hohe soziale Stellung. Und ich denke, durch diese Erkenntnis bin ich zufriedener und glücklicher, als es mancher Mensch ist, der in den Augen anderer viel erreicht hat. Ich kann mich noch über die kleinen Dinge des Lebens freuen. Die, die andere Menschen vor lauter Gehetze gar nicht mehr sehen oder die sie schlicht als lächerlich und unwichtig erachten. Aber ich seh sie und erfreu mich dran.