Ich kann jetzt nur von mir sprechen: ich bin aktuell 28 Jahre alt und einerseits ist es total beschissen Ende 20 zu sein und andererseits ist es die beste Zeit meines Lebens im Moment.
Ich bin so hübsch und weiblich wie noch nie zuvor. Ich habe keine nennenswerten Fältchen und Falten schon mal gar nicht, werde immer noch für 20 gehalten und habe mittlerweile eine Gelassenheit, die ich noch nicht mit 20 hatte. Ich fühle mich sehr viel befreiter und fitter. Früher habe ich mir sehr viele Sorgen und Gedanken gemacht, was andere von irgendwas halten, was mich ausmacht - angefangen von Klamotten, bishin zu meinem Stil oder Entscheidungen - heute interessiert es mich nicht. Ich gehe meinen Weg, ziehe mein Ding durch und stehe über den Dingen, die mich früher runtergezogen haben, was das angeht. Ich bin auch sehr viel experementierfreudiger geworden als noch vor ein paar Jahren und traue mich um einiges mehr. Mache mir weniger Gedanken.
Ich kaufe mir bald ein knallgelbes Kleid mit total bunten Blumen drauf. Alles ganz krass leuchtende Farben. Früher hätte ich mich gefragt, ob andere das zu krass finden, heute denke ich mir, dass nur wichtig ist, dass ich Farbe in mein eigenes Leben bringe. 😉
Ich gehe auf Partys, Konzerte und wenn ich um 5 Uhr Morgens heim komme und am nächsten Morgen um 9 aufstehe, weil ich mit einer Freundin für Sonnenbaden verabredet bin, fühle ich mich entgegen der Prognosen "Aber Ende 20 geht es bergab" überhaupt nicht komplett zerstört. Ein bisschen müde halt, aber das hatte ich auch mit sweet 16.
Ich habe mich vor zwei Jahren selbständig gemacht, auch wenn es phasenweise sehr hart ist, war es eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich stehe jetzt ganz anders im Leben, habe so viel dazugelernt wie noch bisher in keinem anderen Job und vertrete mich ganz anders. Ich liebe meine Arbeit und habe festgestellt, wie viel das ausmachen kann. Ich bin sehr mutig geworden. Ich habe so das Gefühl: das ist meine Zeit. Ich starte gerade so richtig durch.
Ich weiß auch mehr, was ich will. Bin sehr viel geradliniger geworden und weiß, wo ich stehe und wo ich stehen will. Das schlägt sich auch in meinem Denken und Fühlen als Frau nieder und was ich mir von Beziehungen wünsche.
Das ist das Gute. Aber das miese ist: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, da war nach der 30 alles "alt" und vorbei. Bis dahin sollte man unter der Haube sein und die Kinderplanung abgeschlossen. Weil ab der 30 wird man total schwer bis gar nicht schwanger und man ist dann eh zu "alt" und unspontan für Kinder. So haben die ständig geplappert. Meine Mutter hat mich mit 32 bekommen. Sie sagt, es war der beste Zeitpunkt, davor wäre sie nicht bereit gewesen Mutter zu werden. Aber bis heute hängt sich durchgehend meine Verwandtschaft daran auf, dass meine Mutter "so alt" ihr erstes Kind bekommen hat. 🙄
Der Druck, der von dieser Familie ausgeht, ist ganz krass: als jemand aus meiner Familie zum zweiten Mal mit 30 schwanger war, hatte sie eine Fehlgeburt. Und das zu einem ganz fortgeschrittendem Stadium der Schwangerschaft. Der Frauenarzt hat geraten, dem Körper jetzt dringend eine Pause zu gönnen und nicht sofort weiterzumachen mit dem Kinderkriegen. Was hat die Person aus meiner Familie gemacht? Mit Biegen und Brechen alles getan, damit sie sofort wieder schwanger wird und ständig gesagt, sie MUSS bis 30 das zweite Kind haben, damit alles erledigt ist, nach 30 ist das nicht mehr machbar, weil man viel zu alt ist. Das hat mich sehr entsetzt. Eine Woche nach der Ausschabung hat die Dame aus meiner Verwandtschaft also sofort wieder losgelegt.
Ja, jetzt wo ich mich der 30 immer mehr annähere, merke ich, wie diese Prägung in mir erwacht und mir immer wieder ein Bein stellt.
Mein Körper hat sich nicht verändert, seit ich 20 bin. Wenn ich aber dann lese "Ohhh, es geht so arg viel bergab ab 30 blabla", als würde es plötzlich "puff" machen und man sitzt faltig und bucklig und fett dran, bekomme ich manchmal das Kotzen. Manchmal Angst. Ich weiß, dass das Panikmache ist, bzw. oft Übertreibung, aber es kann ganz schön fertig machen in Zeiten, wo man sich schwach und sensibel fühlt.
Ich erlebe auch, dass die Gesundheits- und Kosmetikindustrie und auch die Medien mit Absicht in diese Kerbe hauen - ich denke, der Wirtschaftszweig von Leuten mit Ende 20, Anfang 30, die in Mittelchen und Untersuchungen investieren, ist enorm und da lässt sich sehr viel Geld abgreifen. Also muss die Angst und der Druck geschürt werden.
Und in Zeiten von Photoshop und wo so gut wie jedes Bild in Hochglanzmagazinen bearbeitet wird UND auch Filme UND auch Serien nicht von der Bildbearbeitung und Aufhübschung verschont bleiben, fühlt man sich einfach scheiße.
Beschissen empfinde ich die Altersgruppe ab Mitte 20, ganz besonders jetzt Ende 20, weil ich natürlich jetzt die ersten Leute im Freundes- und Bekanntenkreis habe, die heiraten oder anfangen, sesshafter zu werden und anfangen, die Kinderplanung zu starten oder dies konkreter in den nächsten Jahren in Betracht ziehen. Super für die, schlecht für die, die in dem Alter einfach noch single sind und vielleicht sogar dauer-single.
Da fühle ich mich noch überhaupt nicht angekommen: den Mann, mit dem ich alt werden möchte, habe ich noch nicht gefunden (oder den ich zumindest langfristiger als "Lebensabschnittsgefährte" bezeichnen könnte 😛) und ja, so langsam klopft - ach was hämmert! - die Angst an der Tür, dass ich "zu spät" dran sein könnte. Und mir sowieso immer weniger Zeit bleibt, wenn ich denn mal Mutter werden sollte, was ich mir eigentlich sehr wünsche. Nur eben nicht jetzt und auch nicht in den nächsten Jahren.
Da haben wir Frauen oft noch einfach eine ganz eigene Art von Druck, nicht nur beim Kinderthema: ich dachte mir auch unbedarft, ich gucke mich mal so in der Datingwelt um und bin extrem erschrocken, wie krass manche Leute denken und nach welchen Kriterien sie bewerten. Und auch so, wenn man hier im Forum liest, werden Frauen ab 30 als "unbrachbarer" abgestempelt. Ich denke aber auch, dass sehr viele dieser Männer Angst vor Frauen haben, die mit Anfang 30 einfach sehr viel erwachsener und fester im Leben stehend sind, als 20-jährige. Ist einfach so. Und häufig stellt eine Frau mit Anfang 30 ganz andere Forderungen an einen Mann und eine Beziehung, als mit 20.
Aaaaber, ich suche auch einen Mann auf Augenhöhe, einen Lebensgefährten und keinen Versorger! 😀
Eigentlich denke ich mir oft, es ist so ein riesen Schwachsinn: Heute werden wir Menschen gut und gerne 80, 90 Jahre alt, Tendenz steigend. Es wäre extrem schade, wenn da schon ab Anfang 30 gelten würde: "Klappe zu, Affe tot". Und jedes Alter hat seine Vorteile, seine Bereicherungen, aber auch seine Nachteile. Egal, ob man nun 10, 20, 30, 40 oder 50 ist.
Ich persönlich glaube, dass man mit 30 sich langsam wirklich bewusst wird, dass das Leben endlich ist. Und dass man einige verpasste Chancen hatte oder Fehlentscheidungen. Das kann sehr weh tun. Bedeutet aber nicht, dass man keine neuen Chancen hat und Möglichkeiten. Mit 30 hat man schon oft einige Jahre hinter sich, wo man verletzt wurde, gescheitert ist und vielleicht schon mehrere gebrochene Herzen durchgemacht hat. Auch das tut weh. Und da kann man sich schon mal "alt" fühlen. Mir geht es oft so, wenn ich überlege, wie viel hoffnungsvoller und unbedarfter ich mit 20 war, als heute. Ich bin schon in einigen Punkten viel verwundbarer geworden, als noch vor einigen Jahren, einfach weil es mir zu oft passiert ist. Ich zu oft hingefallen bin. Andererseits bin ich auch stärker geworden. Manchmal erschreckt es mich aber, wie hart das Leben mich in einigen Punkten gemacht hat. Es gibt Momente, da wünsche ich mir zurück, noch unbedarfter zu sein. Weniger "vernarbt" und gezeichnet. Und ich glaube, das ist eben oft die Härte, die die 30 auch mit sich bringen kann: man hat mehr Narben und wurde mehr gezeichnet, als noch mit 18, 19 oder 20.
Trotzdem bin ich ganz fest davon überzeugt, dass man immer heilen kann. Und aus diesen Verletzungen, Narben und harten Erfahrungen habe ich auch wertvolle Lektionen gezogen, die wertvoll für mich sind. Dass die Welt nicht untergeht, wenn es mal nicht geklappt hat. Dass ein gebrochenes Herz oft wehtut, es aber auch wieder vergeht. Dass einen nach vorne blicken immer weiter bringt, als sich ständig nach der Vergangenheit umzudrehen. Dass Hinfallen nicht schlimm ist - nur nicht mehr aufzustehen. Dass man nur das im Leben von anderen fordern sollte, was man selbst geben kann. Und dass das Leben manchmal fucking beschissen ist, hässlich und sadistisch. Aber auch wunderschön, wunderbar und wertvoll.