Hallo Sophie,
ich kenne solche Gefühle nur zu gut. Wem in solch einem Ausmaß Gewalt angetan wurde, wie dir (und mir), der wird sich niemals wünschen, so etwas noch einmal erleben zu müssen. Das, was so viele Menschen verkennen: es hat nichts - aber auch gar nichts - mit Sexualität zu tun, sondern einzig und allein mit Gewalt - so wie es das Wort "Vergewaltigung" auch sagt. Deswegen ist ja auch alle Rede von: na, ob du da auch ganz unschuldig warst ... oder ... hättest dich eben eindeutiger wehren müssen ... so unsagbar ungerecht. Wer würde dir empfehlen, wenn du mit einem Schlagring oder einer Pistole bedroht wirst, dich zu wehren? Ich denke niemand. Es wird auch niemand solche Situationen erleben wollen.
Ich glaube, Menschen, die davon reden vergewaltigt werden zu wollen, die suchen eine Form von Sexualität, die eine besondere Spannung / Aufregung / Kick mit sich bringt. Sie verkennen, dass das eine Vergewaltigung wohl niemals geben wird: sie ist pure und brutale Gewalt. Sie verkennen auch, dass dies nichts mit Lustgewinn zu tun hat. Wohl weder beim V*** noch bei der Person, die vergewaltigt wurde. Es ist einfach nur Gewalt, mit der eine Person der anderen allein durch Kraft und Gewalt zeigen will, wer der Mächtige ist und wer der Geringere zu sein hat in seinen Augen. Es ist purer Machtmissbrauch und Gewalt.
Ich erlebe es immer wieder, dass Vergewaltigung immer noch mehr von ihrer sexuellen Seite her betrachtet wird und nicht als das gesehen wird, was es ist: bloße und brutale Gewalt. Diesmal eben mit sexueller Note und nicht mit psychischer (wie Mobbingoder Demütigungen) oder rein körperlicher (wie Schlägerei) oder politischer (wie Einsperren oder Foltern oder Töten aus rein politischen Gründen) oder .... oder ... Es gibt so viele Formen von Gewalt. Und immer bleiben Menschen übrig wie du (und ich), die zutiefst verletzt wurden: nicht nur körperlich, sondern vor allem auch in ihrer Seele und im Vertrauenkönnen (ich nenne es das Lebenselexier).
Ich gehöre noch einer Generation an, da durfte nicht über diese Form von Gewalt geredet wurden: schon gar nicht als Frau; brachte man doch dann Schande über die Familie. Selbst meine Geschwister meiden mich, seit ich endlich die Kraft gefunden habe, über das zu reden, was mir passiert ist. Das irritiert mich sehr. Denn irgendwie ist es für mich so, als ob ich auch noch dafür bestraft werde, dass mir jemand (mein Vater) in solcher brutalen Weise Gewalt angetan hat. Es ist so, als ob ich nicht richtig "ticke" / verrückt bin, weil schließlich nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass es für mich (über)lebenswichtig ist, mir Menschen zu suchen, die mir zuhören und glauben .... und die mich wirklich verstehen.
Dir wünsche ich, dass du einen guten Weg findest, mit diesem ganzen Erleben leben zu können, ohne dich irritieren zu lassen.
Viel Kraft