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RobertHicks
Gast
Hallo Leute,
ich sitze wieder einmal an meinem Tisch, und weiß nicht mehr weiter. Seit Tagen kann ich nicht mehr richtig atmen, und muss immer an meine unsichere Zukunft denken. Ich möchte innerlich aufgeben, aber ich weiß, dass ich es nicht darf! Bin ich einfach zu unfähig für diese Welt? Zu unreif? Zu unselbstständig? Zu unselbstbewusst?
Möchte gerne bisschen was aus meinem Leben erzählen, damit ihr einen Einblick bekommt und mich besser einschätzen könnt... tief durchatmen!
Ich bin männlich, 23 Jahre und bin Türke. Schon ganz zu Beginn meines Lebens hatte ich Probleme. Mein Vater meinte, im Kindergarten hätte ich lieber für mich alleine gespielt. Das wäre so die erste Prognose für meine Zukunft gewesen... Leider hat sich das im Verlauf bestätigt. In der Grundschule hatte ich zwar Leute um mich herum, aber keine richtigen Freunde. In der Realschule wurde alles noch schlimmer, da hab ich alles intensiver wahrgenommen. Ich war schon ein Außenseiter, bevor die Schule angefangen hat. Sehr zurückgezogen, sehr verschlossen, sehr schüchtern, kaum bis gar kein Selbstbewusstsein, besonders auf mein Aussehen habe ich auch nicht geachtet. Das Resultat: 5 Jahre Außenseiter und keine greifbare Zukunft.
In der 10. Klasse war ich der einzige (!) Schüler, der keine Ausbildung gefunden hatte. Meine Mitschüler haben sich schon teilweise über mich lustig gemacht. Ich hab's einfach net hinbekommen, wusste aber auch nicht, was ich wirklich wollte. Die Realität lies nicht lange auf sich warten... als die Mittlere Reife dann noch mit unterdurchschnittlichen Noten bestanden wurde, saß ich da mit leeren Händen. Ich hatte einfach nichts.
Mein Vater war natürlich enttäuscht, ich saß wochenlang zu Hause herum und wusste nicht, was mit mir anfangen, bis ich zum Arbeitsamt gegangen bin und die mir eine berufliche Maßnahme empfohlen haben. Das war eine Langzeitveranstaltung nähe meiner Stadt, bei der ich jeden Mittwoch sowas wie Schule hatte und nebenher ein Langzeitpraktikum über 6 Monate machen sollte, welches wiederrum in einer Ausbildung enden sollte. Nach ein paar Wochen und mithilfe meines Betreuers habe ich dann tatsächlich ein Praktikum in einem sehr kleinen Unternehmen in irgendeinem Kaff gefunden, das aber nur durch meinen Betreuer - der war auch beim Vorstellungsgespräch dabei. Die haben zwar zu Beginn gesagt, dass es keine Ausbildungen bei denen gibt, war aber trotzdem froh, zumindest was zu haben. Die Zeit während dieser Maßnahme war ziemlich gut. Ich habe relativ zügig Anschluss gefunden, umzingelt von Ausländern, die selbst nichts auf die Reihe bekommen haben. Erst dachte ich, ach du meine Güte, ich passe hier gar nicht rein, aber es hat sich als große Überraschung entpuppt. Ich hatte sogar "Freunde". Das Praktikum lief nicht so, war ziemlich schüchtern und hab mich nie getraut, was zu sagen.
Als das Praktikum fast zu Ende war, habe ich übers Arbeitsamt tatsächlich eine Ausbildung gefunden, sogar ganz in meiner Nähe. Also Ausbildungsvertrag unterschrieben und gut. Mit meinen Kameraden von der Maßnahme habe ich leider gar keinen Kontakt mehr.
Aber dann begann der wirkliche Albtraum. Die Ausbildung war richtig blöd. Die Probezeit hatte ich zwar bestanden, aber danach hagelte es nur noch Kritik. Ich hab die einfachsten Sachen nicht hinbekommen, habe Fehler gemacht, war total unsicher und unselbstbewusst, hatte viele Gespräche mit dem Chef. Der war sogar mal bei mir zu Hause bei den Eltern... ich hab mich wie ein Loser gefühlt. Jemand, der kein Deutsch kann und sich im Leben verirrt hat. In der Schule war das krasse Gegenteil, ich habe wieder sofort Anschluss gefunden, da war sogar eine in meiner Klasse, die auch mit mir in diese Maßnahme gegangen ist, ging dann aber nach einem Semester wieder. Theoretisch gut, praktisch eine Katastrophe. Gegen Ende der Ausbildung ist auch noch meine Oma gestorben, weswegen ich für eine Woche in die Türkei geflogen bin, um sie begraben zu lassen und um einfach dabei zu sein. Bei uns Türken ist das so, da konnte man nicht einfach sagen "Ich muss arbeiten". Naja, die Quittung bekam ich dann in der Türkei noch. Meine Ausbilderin hat mich auf dem Handy angerufen und meinte, ich hätte eine Abmahnung bekommen, weil ich einfach so in die Türkei gegangen bin. Ich habe sie an dem Tag, bevor ich geflogen bin angerufen und sie gefragt, ob das ok wäre. Sie meinte ja, das wäre ok. Naja, war vielleicht auch ein bisschen naiv, weil der Chef da nicht da war und ich hn hätte einfach fragen können bzw. etwas länger warten können. War in einem Dilemma. Ok, sehe ich ein.
Als ich zurückgekommen bin, war alles ganz normal. Niemand hat mich darauf angesprochen, alle haben sich ganz normal verhalten. Dann hat der Chef mit mir einen Termin ausgemacht und wir hatten ein Gespräch. Er meinte, das was ich gemacht haben, ginge gar nicht in Ordnung und dass das theoretisch ein Kündigungsgrund gewesen sei - er mich aber nicht kündigen wollte, weil die Ausbildung in ein paar Monaten zu Ende gewesen wäre. Allerdings hat er auch schnell betont, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht gewünscht wäre. Gut, das wollte ich sowieso nicht in dieser Firma. Ein paar Wochen zuvor habe ich noch ein kleines Praktikum beim Steuerberater gemacht, der einen Stock tiefer seinen Sitz hat. Da war es ganz angenehm, die Kollegen mochten mich und ich habe mir irgendwie eingebildet, das Praktikum zu mögen - keine Ahnung. Ein Kollege von dort hat mich beim Mittagessen mal angesprochen und gesagt, dass die einen Azubi suchen, ob ich mich dort bewerben wolle. Hab es natürlich gleich gemacht, aber dann überraschend eine Absage bekommen, weil die schon einen hatten angeblich.
Nach der Ausbildung habe ich mich entschlossen, Fachabitur zu machen. Warum genau weiß ich selbst nicht, vermutlich um nicht arbeiten zu gehen, weil ich mich noch nicht so bereit gefühlt habe. Und danach irgendwie eventuell ein Studium zu machen, war alles noch planlos.
Zu meiner Überraschung ging wieder einer aus dieser Maßnahme von früher in meine Klasse, ich hatte also wieder Glück gehabt und einen einfacheren Start. Zu der Zeit hatte ich auch meinen Traummann kennengelernt, das war auch total Glück. Da ich keine Freundin hatte, dachte ich mir, ich melde mich mal in einem Chat an und lass es auf mich zukommen. Nach nicht einmal 10 Minuten schrieb mich mein Traummann an und es blieb dabei. Die Beziehung hat mir Kraft gegeben. Ich war selbstbewusster und habe sehr schnell Anschluss gefunden. Ich weiß auch nicht warum, vielleicht, weil mich die anderen alle für intelligent hielten oder ich einen vielversprechenden Eindruck gemacht habe. Die Schule lief prima. Ich hatte im ersten Halbjahr einen Durchschnitt von 1,5. Die Lehrer und vor allem unser Klassenlehrer mochte mich total. Er hat mich immer vor allen gelobt. Warum, weiß ich nicht genau.
Aus der puren Freude wurde schnell Ernüchterung. Der ganze Stress in der Schule und mein ziemlich anhänglicher Freund hat mich fertig gemacht. Ich muss mich für einen von beiden entscheiden. Habe mich dummerweise gegen meinen Freund entschieden. Das hat den richtig zerstört. Und dann lief alles nicht mehr so toll. Kontakte haben sich verirrt, Noten wurden schlechter, Zukunftsangst wurde stärker. Was mache ich nur aus meinem Leben?
Als die Schule vorbei war, wollte ich nahtlos anknüpfen: ein Studium. Ich wusste zwar nicht wie und wo und was ich überhaupt studieren soll, da ich keinen Plan hatte, aber ich habe mich mal auf irgendwelchen Hochschule beworben, die einen Namen hatten. Haben von allen 8 auch eine Zusage erhalten und auch vom Finanzamt wegen einem dualen Studium zum Gespräch eingeladen. Dies fand aber erst einen Monat später statt. Ich und meine Eltern (die einzigen die ich momentan habe) sind dann für 5 Wochen in die Türkei gereist. Auch wegen erbrechtlichen Angelegenheiten. Da ich Angst hatte, Fristen zu verpassen, wollte ich rechtzeitig zurück, meine Eltern meinten dann aber, ich könne mich ja auch einfach nächstes Semester bewerben. Ich war echt dumm, mich darauf einzulassen. Meine letzte Hoffnung war das Finanzamt. Ich habe mich darauf vorbereitet, war im Vorstellungsgespräch und dann auch der erste, weil der vor mir nicht gekommen ist. Beim Gespräch saßen drei Leute da, alle waren ganz nett. Der eine meinte dann, dass man an meinem Lebenslauf sieht, dass ich eine klare kaufmännische Linie verfolge. Erst dachte ich, das wäre etwas Positives, aber nach ein paar Tagen die Enttäuschung: eine Absage. Warum? Kann ich mir nicht wirklich denken, vielleicht war ich auch einfach nicht überzeugend genug. Die Enttäuschung war ja auch noch, dass ich wirklich nichts in den Händen hatte, keine Anschluss gefunden habe. Die Bewerbungen für das nächste Semester waren erst knapp 6 Monate später. Habe versucht, die Zeit mit Nebentätigkeiten zu füllen, aber ich habe einfach nichts gefunden. Habe bei Tankstellen gefragt, Absage. Als Bürohilfsarbeiter, Absage. Als Regaleinräumer, Absage. Bei KIK gefragt, ob ich helfen kann, Absage. Ich hätte auch einfach nach Praktika nachfragen können wegen Studium, aber auf die Idee bin ich damals net gekommen... ich fühlte mich wie ein Versager, total unselbstständig. Mein Vater war auch irgendwann genervt, weshalb ich ihm in der Firma ausgeholfen habe. Wow.
Zwar hab ich mich dann nochmal bei den gleichen Hochschulen beworben und auch wieder von allen eine Zusage bekommen, aber ich habe jetzt eine fette Lücke im Lebenslauf von 6 Monaten. Wie soll ich das aufhübschen? Nebenjobs erfinden? Auslandsreisen?
Nach den Zusagen kam dann auch schnell der nächste Fall: in welche Hochschule gehe ich? Es gab eine in Stuttgart, in Esslingen, in Konstanz, in Nürtingen/Geisslingen und in Pforzheim, und nochmal paar andere. Ich hatte mich für den Studiengang Wirtschaftsrecht entschieden, der unter anderem in Pforzheim, also rund 30 km von mir entfernt liegt. Da ich einen engen Kontakt zu meinen Eltern habe, wollte mein Vater nicht, dass ich "so weit" weggehe. Wir haben dann nach längerem Hin und Her gesagt dass ich dort eine Studentenwohnung beziehen darf. Ich, natürlich wieder mal zu spät, hab mich dann schnell für eine beworben, ein Monat bevor das Studium anfing und hab dann auch glücklicherweise nach 3 Tagen ein Zimmer bekommen.
Am 1. März fuhr ich dann in diese Stadt und dann direkt ins Zimmer. Ich wollte neu anfangen und mich nicht mehr so von mir selbst beeinflussen lassen und ging alles ganz locker an. Die erste Veranstaltung war eine Einführungsphase. Ich habe dann einfach Leute angesprochen und ein paar Stunden später hatte ich dann 3 Leute, mit dene ich herumgehangen bin. Die ganzen zwei Wochen lang.
Als das Studium dann richtig anfing, musste ich in ein Seminar gehen für 2-3 Tage, wo nur Leute aus meinem Studiengang waren. Erstmal nur die Hälfte, so 10, 11 Leute oder so. Habe mich mit allen gleich verstanden, habe auch eine WhatsApp-Gruppe gegründet und wir hatten alle, auch mit der anderen Hälfte, einen super Kontakt. Meine Schüchternheit habe ich so gut wie abgelegt, konnte mich freier bewegen, ich selbst sein. Die wollten sogar, dass ich Semestersprecher werde, aber dazu hab ich mich dann doch nicht getraut... Mist. Wäre gut im Lebenslauf gekommen.
Das ganze Tralala ging dann so 2 Semester, bis sich jeder nur noch selbst um sich und seine Gruppe gekümmert hat. Wir wurden alle gesplittet und es haben sich Grüppchen gebildet. So richtige Freundschaften gab es bei mir nicht. Zwar hatte ich eine im zweiten Semester richtig gut kennengelernt, konnte mir mit ihr auch viel vorstellen, aber seitdem sie einen Drittversuch hatte, verlief alles im Sand und wir hatten kaum Kontakt. Ich war auch 2, 3 Studentenpartys, habe aber auch bisschen meine Zukunft außer Augen gelassen. Mehr oder weniger habe ich so bisschen das Ziel verpasst, ich habe während des 1 und 2 Semesters kein Praktikum gemacht und auch kein Werkstudentenjob ausgeübt. Einen Nebenjob hatte ich auch nicht. Meine Eltern finanzieren mich noch, was mir auch total unangenehm ist.
Meine Noten? Naja, ich weiß auch nicht, wie ich das einem potentiellen Arbeitgeber erklären soll. Ich habe einen Durchschnitt von einer 2,9 im Grundtstudium. Bin momentan im 4. Semester, muss das 3. aber noch machen, weil ich es wegen nicht bestanden Klausuren schieben musste. Das Praxissemester, das mir immer noch Magenschmerzen bereitet, ist zwar erst im 5. aber wir müssen bis Ende des Jahres einen Vertrag vorlegen, das habe ich auch vor ein paar Wochen zufällig erfahren. Wenn ich meine Kommilitonen anschaue: deren Studium verläuft gut. Die haben Werkstudententätigkeiten in den Ferien, haben eine Ferienjob gemacht, Praktika absolviert, eine macht ihr Praxis sogar im Ausland... und ich? Ich habe das Grundstudium bestanden. Wow. Und ich muss nichtmal arbeiten gehen.
Da ich jetzt noch kein Praxis machen möchte, habe ich meinen Beauftragten gebeten, es zu verschieben, muss noch zu seinem Kolloquium gehen... Angst habe ich halt, wenn er die Verschiebung net genehmigt, aber mir fehlen einfach noch einige Klausuren für das Praxissemester. Ich weiß auch nicht genau, in welchem Bereich ich das machen möchte.
Jetzt bin ich da. Ich hatte bzw. habe noch Semesterferien von 3 Monaten, habe jetzt noch einen Monat Zeit und ich muss meine letzte Hausarbeit schreiben, habe aber noch nicht angefangen, weil mir die Zukunft Angst bereitet. Ich versuche mir innerlich immer einen anderen Plan zu überlegen, falls es mit dem Studium nicht klappen sollte. Aber es gibt einfach nichts. Ich habe zwar eine Ausbildung als Bürokaufmann, aber mein Arbeitszeugnis ist jetzt nicht gerade bombe und ich befürchte, dass es mein Leben vernichten wird. Ob ich in dem Beruf mal ganz normal jobben könnte mit einem abgebrochenen Studium oder einem schlechten Abschluss? Als Hilfsarbeiter kann ich auf Dauer auch nicht leben, außerdem wären meine Eltern extrem enttäuscht. Meine Mutter baut mich zwar auf und sagt, dass man im Leben nichts vorhersehen kann und dass ich das auf mich zukommen lassen soll... aber ich meine, ich bin 23 Jahre, ich kann jetzt nicht einfach so planlos vor mich herstudieren, und alles auf mich zukommen lassen, das habe ich während meines ganzen Lebens schon gemacht. Meine Eltern stellen sich das irgendwie zu einfach vor: so nach dem Motto, jetzt mach das mal fertig und dann sehen wir weiter. Vielleicht haben die Recht. Meine Kommilitonen meinten auch, ich solle mir da nicht so viele Sorgen machen, jeder würde etwas finden.
Ich bin aber nicht jeder. Ich bekomme nicht mal einen Minijob (siehe oben), dazu noch meine mehr oder weniger guten Referenzen und meinen blöden Lebenslauf. Von Hartz 4 möchte ich nicht leben, darf ich auch nicht. Ich könnte eventuell bei meinem Vater in seiner kleinen Industrie arbeiten, Plastikröhre schleifen, aber wie lange sollte das gehen? Was mache ich, wenn mein Vater nicht mehr lebt? Ich habe Angst, dass ich irgendwann alles verliere. Wir haben hier eine Eigentumswohnung, und ich weiß nicht, was passieren würde, wenn ich arbeitslos werden würde. Oder was ich sonst noch tun könnte, falls es mit dem Studium nicht klappt? Neue Ausbildung? Wenn, ja, als was? Momentan möchte ich einfach nur ein ganz normales Leben haben. Habe mich zwar mittlerweile wieder etwas beruhigt aber ich habe einfach so dermaßen Angst...
Ich bin nach dem Studium ein Akademiker, fühle mich aber noch wie ein Schüler. Habe von der Welt kaum Ahnung, stelle mich oft doof an und ich soll mal später in einer hohen Position arbeiten?
Einen kleinen Trost gibt es noch: Mein Exfreund, mit dem ich seit fast 4 Jahren keinen Kontakt hatte, möchte isch heute mit mir treffen. Ich weiß nicht ob das was Ernstes ist, ob er überhaupt kommt, aber ich hoffe es so sehr, dass ich mit ihm wenigstens neuanfangen kann.
Was meint ihr?
ich sitze wieder einmal an meinem Tisch, und weiß nicht mehr weiter. Seit Tagen kann ich nicht mehr richtig atmen, und muss immer an meine unsichere Zukunft denken. Ich möchte innerlich aufgeben, aber ich weiß, dass ich es nicht darf! Bin ich einfach zu unfähig für diese Welt? Zu unreif? Zu unselbstständig? Zu unselbstbewusst?
Möchte gerne bisschen was aus meinem Leben erzählen, damit ihr einen Einblick bekommt und mich besser einschätzen könnt... tief durchatmen!
Ich bin männlich, 23 Jahre und bin Türke. Schon ganz zu Beginn meines Lebens hatte ich Probleme. Mein Vater meinte, im Kindergarten hätte ich lieber für mich alleine gespielt. Das wäre so die erste Prognose für meine Zukunft gewesen... Leider hat sich das im Verlauf bestätigt. In der Grundschule hatte ich zwar Leute um mich herum, aber keine richtigen Freunde. In der Realschule wurde alles noch schlimmer, da hab ich alles intensiver wahrgenommen. Ich war schon ein Außenseiter, bevor die Schule angefangen hat. Sehr zurückgezogen, sehr verschlossen, sehr schüchtern, kaum bis gar kein Selbstbewusstsein, besonders auf mein Aussehen habe ich auch nicht geachtet. Das Resultat: 5 Jahre Außenseiter und keine greifbare Zukunft.
In der 10. Klasse war ich der einzige (!) Schüler, der keine Ausbildung gefunden hatte. Meine Mitschüler haben sich schon teilweise über mich lustig gemacht. Ich hab's einfach net hinbekommen, wusste aber auch nicht, was ich wirklich wollte. Die Realität lies nicht lange auf sich warten... als die Mittlere Reife dann noch mit unterdurchschnittlichen Noten bestanden wurde, saß ich da mit leeren Händen. Ich hatte einfach nichts.
Mein Vater war natürlich enttäuscht, ich saß wochenlang zu Hause herum und wusste nicht, was mit mir anfangen, bis ich zum Arbeitsamt gegangen bin und die mir eine berufliche Maßnahme empfohlen haben. Das war eine Langzeitveranstaltung nähe meiner Stadt, bei der ich jeden Mittwoch sowas wie Schule hatte und nebenher ein Langzeitpraktikum über 6 Monate machen sollte, welches wiederrum in einer Ausbildung enden sollte. Nach ein paar Wochen und mithilfe meines Betreuers habe ich dann tatsächlich ein Praktikum in einem sehr kleinen Unternehmen in irgendeinem Kaff gefunden, das aber nur durch meinen Betreuer - der war auch beim Vorstellungsgespräch dabei. Die haben zwar zu Beginn gesagt, dass es keine Ausbildungen bei denen gibt, war aber trotzdem froh, zumindest was zu haben. Die Zeit während dieser Maßnahme war ziemlich gut. Ich habe relativ zügig Anschluss gefunden, umzingelt von Ausländern, die selbst nichts auf die Reihe bekommen haben. Erst dachte ich, ach du meine Güte, ich passe hier gar nicht rein, aber es hat sich als große Überraschung entpuppt. Ich hatte sogar "Freunde". Das Praktikum lief nicht so, war ziemlich schüchtern und hab mich nie getraut, was zu sagen.
Als das Praktikum fast zu Ende war, habe ich übers Arbeitsamt tatsächlich eine Ausbildung gefunden, sogar ganz in meiner Nähe. Also Ausbildungsvertrag unterschrieben und gut. Mit meinen Kameraden von der Maßnahme habe ich leider gar keinen Kontakt mehr.
Aber dann begann der wirkliche Albtraum. Die Ausbildung war richtig blöd. Die Probezeit hatte ich zwar bestanden, aber danach hagelte es nur noch Kritik. Ich hab die einfachsten Sachen nicht hinbekommen, habe Fehler gemacht, war total unsicher und unselbstbewusst, hatte viele Gespräche mit dem Chef. Der war sogar mal bei mir zu Hause bei den Eltern... ich hab mich wie ein Loser gefühlt. Jemand, der kein Deutsch kann und sich im Leben verirrt hat. In der Schule war das krasse Gegenteil, ich habe wieder sofort Anschluss gefunden, da war sogar eine in meiner Klasse, die auch mit mir in diese Maßnahme gegangen ist, ging dann aber nach einem Semester wieder. Theoretisch gut, praktisch eine Katastrophe. Gegen Ende der Ausbildung ist auch noch meine Oma gestorben, weswegen ich für eine Woche in die Türkei geflogen bin, um sie begraben zu lassen und um einfach dabei zu sein. Bei uns Türken ist das so, da konnte man nicht einfach sagen "Ich muss arbeiten". Naja, die Quittung bekam ich dann in der Türkei noch. Meine Ausbilderin hat mich auf dem Handy angerufen und meinte, ich hätte eine Abmahnung bekommen, weil ich einfach so in die Türkei gegangen bin. Ich habe sie an dem Tag, bevor ich geflogen bin angerufen und sie gefragt, ob das ok wäre. Sie meinte ja, das wäre ok. Naja, war vielleicht auch ein bisschen naiv, weil der Chef da nicht da war und ich hn hätte einfach fragen können bzw. etwas länger warten können. War in einem Dilemma. Ok, sehe ich ein.
Als ich zurückgekommen bin, war alles ganz normal. Niemand hat mich darauf angesprochen, alle haben sich ganz normal verhalten. Dann hat der Chef mit mir einen Termin ausgemacht und wir hatten ein Gespräch. Er meinte, das was ich gemacht haben, ginge gar nicht in Ordnung und dass das theoretisch ein Kündigungsgrund gewesen sei - er mich aber nicht kündigen wollte, weil die Ausbildung in ein paar Monaten zu Ende gewesen wäre. Allerdings hat er auch schnell betont, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht gewünscht wäre. Gut, das wollte ich sowieso nicht in dieser Firma. Ein paar Wochen zuvor habe ich noch ein kleines Praktikum beim Steuerberater gemacht, der einen Stock tiefer seinen Sitz hat. Da war es ganz angenehm, die Kollegen mochten mich und ich habe mir irgendwie eingebildet, das Praktikum zu mögen - keine Ahnung. Ein Kollege von dort hat mich beim Mittagessen mal angesprochen und gesagt, dass die einen Azubi suchen, ob ich mich dort bewerben wolle. Hab es natürlich gleich gemacht, aber dann überraschend eine Absage bekommen, weil die schon einen hatten angeblich.
Nach der Ausbildung habe ich mich entschlossen, Fachabitur zu machen. Warum genau weiß ich selbst nicht, vermutlich um nicht arbeiten zu gehen, weil ich mich noch nicht so bereit gefühlt habe. Und danach irgendwie eventuell ein Studium zu machen, war alles noch planlos.
Zu meiner Überraschung ging wieder einer aus dieser Maßnahme von früher in meine Klasse, ich hatte also wieder Glück gehabt und einen einfacheren Start. Zu der Zeit hatte ich auch meinen Traummann kennengelernt, das war auch total Glück. Da ich keine Freundin hatte, dachte ich mir, ich melde mich mal in einem Chat an und lass es auf mich zukommen. Nach nicht einmal 10 Minuten schrieb mich mein Traummann an und es blieb dabei. Die Beziehung hat mir Kraft gegeben. Ich war selbstbewusster und habe sehr schnell Anschluss gefunden. Ich weiß auch nicht warum, vielleicht, weil mich die anderen alle für intelligent hielten oder ich einen vielversprechenden Eindruck gemacht habe. Die Schule lief prima. Ich hatte im ersten Halbjahr einen Durchschnitt von 1,5. Die Lehrer und vor allem unser Klassenlehrer mochte mich total. Er hat mich immer vor allen gelobt. Warum, weiß ich nicht genau.
Aus der puren Freude wurde schnell Ernüchterung. Der ganze Stress in der Schule und mein ziemlich anhänglicher Freund hat mich fertig gemacht. Ich muss mich für einen von beiden entscheiden. Habe mich dummerweise gegen meinen Freund entschieden. Das hat den richtig zerstört. Und dann lief alles nicht mehr so toll. Kontakte haben sich verirrt, Noten wurden schlechter, Zukunftsangst wurde stärker. Was mache ich nur aus meinem Leben?
Als die Schule vorbei war, wollte ich nahtlos anknüpfen: ein Studium. Ich wusste zwar nicht wie und wo und was ich überhaupt studieren soll, da ich keinen Plan hatte, aber ich habe mich mal auf irgendwelchen Hochschule beworben, die einen Namen hatten. Haben von allen 8 auch eine Zusage erhalten und auch vom Finanzamt wegen einem dualen Studium zum Gespräch eingeladen. Dies fand aber erst einen Monat später statt. Ich und meine Eltern (die einzigen die ich momentan habe) sind dann für 5 Wochen in die Türkei gereist. Auch wegen erbrechtlichen Angelegenheiten. Da ich Angst hatte, Fristen zu verpassen, wollte ich rechtzeitig zurück, meine Eltern meinten dann aber, ich könne mich ja auch einfach nächstes Semester bewerben. Ich war echt dumm, mich darauf einzulassen. Meine letzte Hoffnung war das Finanzamt. Ich habe mich darauf vorbereitet, war im Vorstellungsgespräch und dann auch der erste, weil der vor mir nicht gekommen ist. Beim Gespräch saßen drei Leute da, alle waren ganz nett. Der eine meinte dann, dass man an meinem Lebenslauf sieht, dass ich eine klare kaufmännische Linie verfolge. Erst dachte ich, das wäre etwas Positives, aber nach ein paar Tagen die Enttäuschung: eine Absage. Warum? Kann ich mir nicht wirklich denken, vielleicht war ich auch einfach nicht überzeugend genug. Die Enttäuschung war ja auch noch, dass ich wirklich nichts in den Händen hatte, keine Anschluss gefunden habe. Die Bewerbungen für das nächste Semester waren erst knapp 6 Monate später. Habe versucht, die Zeit mit Nebentätigkeiten zu füllen, aber ich habe einfach nichts gefunden. Habe bei Tankstellen gefragt, Absage. Als Bürohilfsarbeiter, Absage. Als Regaleinräumer, Absage. Bei KIK gefragt, ob ich helfen kann, Absage. Ich hätte auch einfach nach Praktika nachfragen können wegen Studium, aber auf die Idee bin ich damals net gekommen... ich fühlte mich wie ein Versager, total unselbstständig. Mein Vater war auch irgendwann genervt, weshalb ich ihm in der Firma ausgeholfen habe. Wow.
Zwar hab ich mich dann nochmal bei den gleichen Hochschulen beworben und auch wieder von allen eine Zusage bekommen, aber ich habe jetzt eine fette Lücke im Lebenslauf von 6 Monaten. Wie soll ich das aufhübschen? Nebenjobs erfinden? Auslandsreisen?
Nach den Zusagen kam dann auch schnell der nächste Fall: in welche Hochschule gehe ich? Es gab eine in Stuttgart, in Esslingen, in Konstanz, in Nürtingen/Geisslingen und in Pforzheim, und nochmal paar andere. Ich hatte mich für den Studiengang Wirtschaftsrecht entschieden, der unter anderem in Pforzheim, also rund 30 km von mir entfernt liegt. Da ich einen engen Kontakt zu meinen Eltern habe, wollte mein Vater nicht, dass ich "so weit" weggehe. Wir haben dann nach längerem Hin und Her gesagt dass ich dort eine Studentenwohnung beziehen darf. Ich, natürlich wieder mal zu spät, hab mich dann schnell für eine beworben, ein Monat bevor das Studium anfing und hab dann auch glücklicherweise nach 3 Tagen ein Zimmer bekommen.
Am 1. März fuhr ich dann in diese Stadt und dann direkt ins Zimmer. Ich wollte neu anfangen und mich nicht mehr so von mir selbst beeinflussen lassen und ging alles ganz locker an. Die erste Veranstaltung war eine Einführungsphase. Ich habe dann einfach Leute angesprochen und ein paar Stunden später hatte ich dann 3 Leute, mit dene ich herumgehangen bin. Die ganzen zwei Wochen lang.
Als das Studium dann richtig anfing, musste ich in ein Seminar gehen für 2-3 Tage, wo nur Leute aus meinem Studiengang waren. Erstmal nur die Hälfte, so 10, 11 Leute oder so. Habe mich mit allen gleich verstanden, habe auch eine WhatsApp-Gruppe gegründet und wir hatten alle, auch mit der anderen Hälfte, einen super Kontakt. Meine Schüchternheit habe ich so gut wie abgelegt, konnte mich freier bewegen, ich selbst sein. Die wollten sogar, dass ich Semestersprecher werde, aber dazu hab ich mich dann doch nicht getraut... Mist. Wäre gut im Lebenslauf gekommen.
Das ganze Tralala ging dann so 2 Semester, bis sich jeder nur noch selbst um sich und seine Gruppe gekümmert hat. Wir wurden alle gesplittet und es haben sich Grüppchen gebildet. So richtige Freundschaften gab es bei mir nicht. Zwar hatte ich eine im zweiten Semester richtig gut kennengelernt, konnte mir mit ihr auch viel vorstellen, aber seitdem sie einen Drittversuch hatte, verlief alles im Sand und wir hatten kaum Kontakt. Ich war auch 2, 3 Studentenpartys, habe aber auch bisschen meine Zukunft außer Augen gelassen. Mehr oder weniger habe ich so bisschen das Ziel verpasst, ich habe während des 1 und 2 Semesters kein Praktikum gemacht und auch kein Werkstudentenjob ausgeübt. Einen Nebenjob hatte ich auch nicht. Meine Eltern finanzieren mich noch, was mir auch total unangenehm ist.
Meine Noten? Naja, ich weiß auch nicht, wie ich das einem potentiellen Arbeitgeber erklären soll. Ich habe einen Durchschnitt von einer 2,9 im Grundtstudium. Bin momentan im 4. Semester, muss das 3. aber noch machen, weil ich es wegen nicht bestanden Klausuren schieben musste. Das Praxissemester, das mir immer noch Magenschmerzen bereitet, ist zwar erst im 5. aber wir müssen bis Ende des Jahres einen Vertrag vorlegen, das habe ich auch vor ein paar Wochen zufällig erfahren. Wenn ich meine Kommilitonen anschaue: deren Studium verläuft gut. Die haben Werkstudententätigkeiten in den Ferien, haben eine Ferienjob gemacht, Praktika absolviert, eine macht ihr Praxis sogar im Ausland... und ich? Ich habe das Grundstudium bestanden. Wow. Und ich muss nichtmal arbeiten gehen.
Da ich jetzt noch kein Praxis machen möchte, habe ich meinen Beauftragten gebeten, es zu verschieben, muss noch zu seinem Kolloquium gehen... Angst habe ich halt, wenn er die Verschiebung net genehmigt, aber mir fehlen einfach noch einige Klausuren für das Praxissemester. Ich weiß auch nicht genau, in welchem Bereich ich das machen möchte.
Jetzt bin ich da. Ich hatte bzw. habe noch Semesterferien von 3 Monaten, habe jetzt noch einen Monat Zeit und ich muss meine letzte Hausarbeit schreiben, habe aber noch nicht angefangen, weil mir die Zukunft Angst bereitet. Ich versuche mir innerlich immer einen anderen Plan zu überlegen, falls es mit dem Studium nicht klappen sollte. Aber es gibt einfach nichts. Ich habe zwar eine Ausbildung als Bürokaufmann, aber mein Arbeitszeugnis ist jetzt nicht gerade bombe und ich befürchte, dass es mein Leben vernichten wird. Ob ich in dem Beruf mal ganz normal jobben könnte mit einem abgebrochenen Studium oder einem schlechten Abschluss? Als Hilfsarbeiter kann ich auf Dauer auch nicht leben, außerdem wären meine Eltern extrem enttäuscht. Meine Mutter baut mich zwar auf und sagt, dass man im Leben nichts vorhersehen kann und dass ich das auf mich zukommen lassen soll... aber ich meine, ich bin 23 Jahre, ich kann jetzt nicht einfach so planlos vor mich herstudieren, und alles auf mich zukommen lassen, das habe ich während meines ganzen Lebens schon gemacht. Meine Eltern stellen sich das irgendwie zu einfach vor: so nach dem Motto, jetzt mach das mal fertig und dann sehen wir weiter. Vielleicht haben die Recht. Meine Kommilitonen meinten auch, ich solle mir da nicht so viele Sorgen machen, jeder würde etwas finden.
Ich bin aber nicht jeder. Ich bekomme nicht mal einen Minijob (siehe oben), dazu noch meine mehr oder weniger guten Referenzen und meinen blöden Lebenslauf. Von Hartz 4 möchte ich nicht leben, darf ich auch nicht. Ich könnte eventuell bei meinem Vater in seiner kleinen Industrie arbeiten, Plastikröhre schleifen, aber wie lange sollte das gehen? Was mache ich, wenn mein Vater nicht mehr lebt? Ich habe Angst, dass ich irgendwann alles verliere. Wir haben hier eine Eigentumswohnung, und ich weiß nicht, was passieren würde, wenn ich arbeitslos werden würde. Oder was ich sonst noch tun könnte, falls es mit dem Studium nicht klappt? Neue Ausbildung? Wenn, ja, als was? Momentan möchte ich einfach nur ein ganz normales Leben haben. Habe mich zwar mittlerweile wieder etwas beruhigt aber ich habe einfach so dermaßen Angst...
Ich bin nach dem Studium ein Akademiker, fühle mich aber noch wie ein Schüler. Habe von der Welt kaum Ahnung, stelle mich oft doof an und ich soll mal später in einer hohen Position arbeiten?
Einen kleinen Trost gibt es noch: Mein Exfreund, mit dem ich seit fast 4 Jahren keinen Kontakt hatte, möchte isch heute mit mir treffen. Ich weiß nicht ob das was Ernstes ist, ob er überhaupt kommt, aber ich hoffe es so sehr, dass ich mit ihm wenigstens neuanfangen kann.
Was meint ihr?