Ich kann das nachfühlen, was du schreibst. Ich habe auch große Selbstzweifel und fühle mich dadurch manchmal blockiert beim Verfolgen meiner Ziele, auch wenn ich dafür die Ursache nicht so genau kenne wie du.
Wenn dein Vater sich in deiner Kindheit und Jugend auch schon so verhalten hat, kann ich mir gut vorstellen, dass du vielleicht einen entscheidenden Entwicklungsschritt nicht erfolgreich beenden konntest. Kinder bauen Selbstvertrauen auf, wenn sie die Initiative ergreifen, ermuntert werden und Erfolge erleben. Ein Kind, was beispielsweise ständig zurückgehalten und mit den Ängsten seiner Eltern konfrontiert wird, wird diese Ängste vielleicht übernehmen. Das ist natürlich eine sehr Laienpsychologische Analyse
😀
Aber mir persönlich helfen solche Erklärungen, weil ich das dann irgendwo verankern kann und mich nicht mehr schuldig deshalb fühle. Du bist so, weil dir das und das passiert ist und jetzt hast du immer noch damit zu kämpfen. Und nun, da du das erkannt hast, musst du akzeptieren, dass du diesen emotionalen Ballast hast und deshalb härter kämpfen musst als andere. Andere können einfach so eine Gilde in einem Computerspiel erstellen und sich nichts dabei denken, aber du musst dich diesen schwierigen Emotionen dabei stellen. Ganz schön unfair, aber das macht es ja auch nicht besser. Andere Leute haben dafür ihren eigenen emotionalen Ballast.
Was ist eigentlich mit deiner Mutter? Spielt sie da auch eine Rolle?
Es klingt wahrscheinlich bescheuert für euch, aber ich habe eine Gilde in einem Computerspiel gegründet und hatte so Angst, dass keiner mitmachen will und ich mich sowieso nur lächerlich mache. Ich habe mir selbst einen riesen Druck gemacht, dass das klappen muss, sonst blamiere ich mich. Vor wem überhaupt? Logischerweise vor niemanden, das juckt keine Sau, dad ist das anonyme Internet, aber in mir drin ist das schon als schwere, seelische Katastrophe verankert, bevor ich überhaupt angefangen habe.
Klingt für mich nicht bescheuert
😀 Aber es klingt, als wärst du schon auf dem genau richtigen Weg. Du erkennst, was du machen willst, und dann siehst du die Blockade im Kopf und kannst klar benennen, was deine Ängste sind. Und du siehst auch, wie diese Gedanken im Kontext deines Lebens und deiner Familiengeschichte vielleicht zu erklären sind. Und du scheinst es ja dann geschafft zu haben, dich diesen schwierigen Emotionen zu stellen, sie als hinderlich und unnötig zu erkennen, und
es dann trotzdem zu tun.
Ich denke, das ist vermutlich der vielversprechendste Weg: die Emotionen erkennen, wenn sie dich blockieren, sie rational analysieren, und wenn du zum Schluss kommst, dass sie dich nicht weiterbringen, trotz der Angst die Sache zu tun, die du tun wolltest. Und dann als wichtigsten Schritt, dich zu feiern und emotional dafür zu belohnen, dass du es geschafft hast. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass du nach einem schwierigen Schritt Gedanken wie "das sollte eigentlich eine Kleinigkeit sein, wieso habe ich damit solche Probleme" von dir weist und stattdessen versuchst, dir selber auf die Schulter zu klopfen. Gerade WEIL es schwer für dich war, solltest du dich dafür feiern und in dir positive Emotionen über dich selber generieren. Vielleicht kannst du das auch mal rückblickend machen und eine Liste machen mit den Erfolgen, die du bisher erlebt hast in deinem Leben. Und ich würde konsequent jede Sache, die dir Angst gemacht hat, und die du dann trotzdem durchgezogen hast, aufzählen, auch wenn es dir vielleicht albern vorkommt. Es ist nicht albern, es ist beeindruckend und etwas, worauf man stolz sein darf, und sollte. Sich mit seinen eigenen schwierigen Gefühlen und Schwächen auseinander zu setzen, bedarf einer besonderen Stärke, und das solltest du anerkennen.
Übrigens kann es auch ganz nützlich und unterhaltsam sein, sich darüber Gedanken zu machen, welche Fehler man denn bereits begangen hat und wie man sich in dem Moment gefühlt hat. Und wie das Leben dann einfach weitergegangen ist. Ich habe schon viele super peinliche Momente erlebt und in den Momenten selber wollte ich immer am liebsten das Land verlassen und eine neue Identität annehmen, aber am Ende war es doch immer gar nicht so schlimm wie gedacht
😀 Ich habe auch ernsthafte Fehler gemacht, die ich bereue, aber mich daran zu erinnern, wird mich hoffentlich davor bewahren, sie noch einmal zu machen, und damit waren sie eine wichtige Lektion auf meinem Weg in eine gute Zukunft.
Die rationale Analyse der Ängste ist auch ein wichtiger Teil. Ängste können ja auch ein nützlicher Hinweis auf etwas sein. Beim Thema Selbständigkeit könntest du ja beispielsweise zwei Ängste haben:
- dass du Fördergelder oder sowas bei der IHK beantragst und dich bei der Präsentation deiner Geschäftsidee alle auslachen und mit dem Finger auf dich zeigen. Das ist eine ziemlich irrationale Angst, denn dort arbeiten ja erfahrene Erwachsene, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit professionell und höflich auf dich reagieren werden. Also eine nicht wirklich nützliche Angst, die du getrost abblocken und ignorieren kannst, wenn sie sich meldet.
- dass du Fördergelder beantragst, aber nicht bekommst, weil den Leuten da deine Geschäftsidee nicht gefällt und dann mit leeren Händen nach Hause gehst und deinen Traum nicht verwirklichen kannst. Diese Angst könnte schädlich sein, wenn sie dich so lähmt, dass du es dann gar nicht erst versuchen willst. Aber sie könnte auch dazu führen, dass du dich besonders gut auf die Präsentation vorbereitest und versuchst, einen hieb- und stichfesten Businessplan vorzulegen. Damit würdest du am Ende sogar deine Chancen steigern. Solche Ängste bekämpft man am besten, indem man versucht, sein allerbestes zu geben, um sie abzuwenden - und dann den Rest in Gottes Hände (oder in die Hände des Schicksals, des Universums, des Zufalls, etc.) legt.
Für den Umgang mit deinem Vater würde ich dir empfehlen, Pläne und Ziele möglichst nicht mit ihm zu besprechen, wenn er sie dann sowieso nur wieder schlecht reden würde. Das ist ja auch nicht nötig, denn es geht ihn ja nichts an. Aber da er vermutlich auch ungefragt und allgemein seine Ratschläge zum besten geben wird, denke ich, du solltest üben, ihm Empathie zu schenken. Sieh es als eine Art logischen Folgeschritt nach der Schuldzuweisung. Du hast bereits erkannt, dass er Fehler gemacht hat, die dir geschadet haben. Nun ist der nächste Schritt, zu erkennen und auch zu spüren, dass er ein schwacher, fehlerbehafteter Mensch ist (genauso wie alle Menschen) und dass er sozusagen nicht anders kann, als dir zu schaden. Klingt seltsam, und es ist auch nicht 100% korrekt, aber es hilft meiner Erfahrung nach, sich von schädlichem Verhalten unabhängiger zu machen. Also sag ihm, in Gedanken oder auch in echt, wenn du willst: "danke Papa, dass du mich mit deinen Bedenken davor bewahren möchtest, einen Fehler zu machen. Ich sehe, dass du es gut meinst." - Und dann nimmst du aus seinen Worten ganz bewusst nur die Fürsorge und die guten Absichten. Für den Rest brauchst du deinen Vater nicht. Du bist erwachsen und hast dein Leben offenbar bisher ganz gut auf die Reihe bekommen. Du bist intelligent und vorsichtig genug, um keine unwiderruflichen Fehler zu begehen, die dein komplettes Leben ruinieren. Du kannst deinem Urteil vertrauen.