Warum der österreichische Maulwurf nicht gesund werden konnte.
Eines Tages fragte sich der Maulwurf, weshalb er so unglücklich sei. Immer traurig. Immer im Dunklen wühlend. Bedacht darauf, außer Sicht zu bleiben. Und dabei noch entsetzlich gefräßig.
Er fühlte sich sehr allein. Von seiner Frau hatte er sich getrennt, nachdem sie ihre gemeinsamen Kinder nur wenige Wochen nach deren Geburt zur Adoption freigab. Sie lebte auch ungesellig -, aber das hätte ja nicht sein müssen. Er wusste nicht viel darüber, was sie tat. Vielleicht hatte sie manchmal einen anderen.
Der Maulwurf dachte, so wolle er eigentlich nicht weiterleben. Und weil er von Selbstmord noch nichts gehört hatte, suchte er nach einer Lösung für seine Probleme. Alles musste anders werden!
Da er ein sehr gutes Gehör hatte, belauschte er eines Tages ein Gespräch zweier Menschen, die über seinem Bau spazieren gingen. Dabei musste er sich von einem seiner unterirdischen Gänge in den anderen schieben und hatte Schwierigkeiten, alles mitzubekommen, was die oben sagten.
Aber er hörte etwas von Freude - und hatte sogleich die Idee, daß es wohl das sei, was ihm fehle: Freude. Sie sprachen es wie "Freud' " aus, weil man in diesem Land ja so redet.- Freude fehlte ihm -, das wußte er. Freude würde ihm über Vieles hinweghelfen. Würde vielleicht auch mehr Licht in sein Dunkel bringen, das er für seine schwachen Augen so dringend benötigte.- Die Schwierigkeit war nur: Wo sollte er Freude suchen? Vielleicht wussten die oben etwas. Er hörte wieder genauer hin. Sie sagten: "Freud' muess ma erst mal verstehn."
Der Maulwurf wurde nachdenklich. Vielleicht mangelte es ihm an Freude, weil er nicht studiert hatte. Weil niemand ihm beigebracht hatte, Freude zu verstehen. Und wenn man sie erst verstehen musste, ehe man sie haben konnte ...
Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als schnell etwas zu lernen. Damit er danach nicht mehr so unglücklich sein müsse.
"Geh' aus, mein Herz, und suche Freud' ", zwitscherte der Maulwurf zaghaft - und machte sich auf den Weg zur Universität, um Freude verstehen zu lernen.- Dort angekommen, wurde er aufgegriffen und in die Psychiatrische Klinik gebracht. Sie waren irritiert über sein trauriges Gefasel um das Erlernen von Freude. Für das sie keinen Lehrstuhl hatten. Sie hielten ihn für krank.
Der Psychiater stellte dann auch eine Depression fest: Einzelgänger und außer-Sicht-bleiben (Isolation), grabende und wühlende Lebensweise (Grübeln) und Fress-Sucht (Ersatzbefriedigung). Konflikt-Ursachen sah der Psychiater in der Trennung von der Ehefrau und dem dadurch bedingten Trieb-Verzicht.
Er erklärte dem Maulwurf, dass vor allem Freude für ihn wichtig sei, damit er gesund werde.
Der Maulwurf entgegnete, das sei ja der Grund gewesen, weshalb er studieren wollte.
"Um Freude zu haben, braucht man nicht zu studieren," korrigierte der Psychiater.
"Aber man muss sie doch verstehen?" fragte der Maulwurf.
"Nein," erklärte der Psychiater, "man kann sie fühlen."
"Dann sollte ich wohl in eine Gefühls-Schule gehen?" ahnte der Maulwurf.
"In einer solchen bist du ja jetzt," lächelte der Psychiater.
"Is hier Freud'?" atmete der Maulwurf auf - und verfiel vor Hoffnung in seinen Landesdialekt.
"Schon lange nicht mehr," beendete der Psychiater, der den Maulwurf nicht überfordern wollte, die analytische Sitzung.
Auch in den nächsten Sitzungen redeten die beiden aneinander vorbei. Der Psychiater tat, was er konnte, um dem Maulwurf zu helfen.
Sie versuchten eine Schlaf-Therapie und schickten ihn zu einem Siebenschläfer. Aber der Maulwurf litt - wie viele Depressive - so sehr unter Schlafstörungen, dass sich der Siebenschläfer auch gestört fühlte.
Eine Gesprächs-Therapie erreichte wegen der ständigen Missverständnisse um die Freude rein gar nichts. Sogar wurde der Maulwurf etwas aggressiv, weil er wahrscheinlich doch studieren müsse, sie ihn aber nicht ließen. Und mißtrauisch. Denn wenn Freude nicht einmal mehr in dieser Klinik war -, wie sollten sie ihm dann helfen, Freude zu fühlen.
Er fühlte nur sein Unglück. Er verließ die freud-lose Klinik und kehrte in seinen Bau zurück.
So kam es, dass der Maulwurf auch heute noch ein ungeselliger Einzelgänger ist, der sich grabend und wühlend seinen Depressionen überlassen mss.
Jedenfalls in der Gegend um Wien.
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