Sorry für die späten Antworten, aber komm' erst jetzt dazu.
Ich glaube, dass die Extremsituation, in die du reingerutscht bist, einen Rahmen geschaffen hat um eine tiefliegende Emotion freizulegen. Du hast zum ersten mal erfahren, was es wirklich bedeutet akzeptiert zu werden so wie du bist. Denn auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, die Lebensweise in unserer modernen Gesellschaft ist nicht mehr wirklich gesund für unseren Geist. Ohne es zu bemerken sind wir ständig damit beschäftigt, uns den immer schwierigeren sozialen Standarts anzupassen. Und dieser ganze Stress fällt in einer Situation wie deiner einfach weg.
Gut möglich, ja. Ich fühle mich zwar auch im "normalen" Leben von Familie, Freunden und Kollegen akzeptiert, aber natürlich überlegt man immer - wenn auch unbewusst, wie du ja schreibst - was andere von einem halten, wie man so "rüberkommt" und so weiter. In England fühlte ich mich wirklich frei, auch wenn ich alleine unterwegs war. Dort kennt mich keiner, da muss ich nicht "irgendwas" darstellen, muss mir keine Gedanken machen, ob ich jetzt bei irgendwem "gut" ankomme oder nicht. Oder was jemand, den ich da treffe, über mich denkt.
Wie lebst Du in Deutschland? Du schreibst von festem Job und Wohnung und geregeltem Leben.
Single. Nach Studium erst etwas freiberuflich gearbeitet, dann unbefristete Festanstellung. Kleines Appartment etwas ausserhalb einer größeren Stadt.
Wie sind Deine Beziehungen und Bindungen hier? Hast Du Familie? Freunde? Wie eingebunden bist Du hier in eine Gemeinschaft?
Meine Eltern leben in der Nähe, ansonsten ist die Familie weit verstreut (keine Kontakte mehr). Gemeinschaft? Naja, Kollegen halt, Nachbarn (öfters mal Grillen und so), Freunde vorwiegend aus der Studienzeit ...
Mit wem feierst Du hier? Mit wem trinkst Du am Feierabend mal ein Bier? Mit wem ziehst Du hier um die Häuser?
Um die Häuser zieh' ich eigentlich nicht (mehr). Aber treff' mich recht oft (alle ein bis zwei Wochen) mit Freunden, die ich wie gesagt vom Studium her kenne. Feierabendbier? Naja, entweder allein vor dem Fernseher oder mit Nachbarn. Hier am Ort ist keine Kneipe, aber wir machen öfter mal privat was am Abend. Ab und zu gehe ich mal aus, aber nicht sehr oft.
Noch was:
Du sagst Du bist vorher nie verreist.
Nein, meine Eltern sind praktisch nie in Urlaub gefahren. Während des Studiums fehlten Zeit und Geld. Außerdem habe ich erst jetzt das Reisen um des Reisens willen entdeckt (und nicht nur, um zum klischeehaften Mallorca zu gelangen, um dort in der Sonne zu braten - das ist nicht mein Ding).
Du kanntest also nur Deutschland und Deine bisherige Lebensart.
Ja.
Jetzt warst Du einmal als backpacker in England. Und bist die nächsten Male wieder nach England gereist. Hast die Lebensart der Obdachlosen und Drogenabhängigen kennengelernt.
Ja.
War das jetzt schon alles? Bist Du nicht neugierig auf anderes? Es gibt doch noch so viel mehr!
Wenn schon Auszeit, dann würde ich schauen, was die Welt sonst noch für Dich bereithält.
Hast schon Recht, darüber hab' ich auch nachgedacht. Ich bin mir noch nicht wirklich klar, was ich machen soll.
Die Freiheit, die Du da siehst, ist ja oftmals mit einem hohen Preis verbunden.
Spätestens, wenn man dringend auf ärztliche Hilfe angewiesen ist, auf regelmäßige ärztliche Betreuung und Medikamente, die man bezahlen muss oder wenn man alt ist und nicht mehr so kann, wie das in jungen Jahren möglich war.
Ich will das ja auch nur für relativ kurze Zeit machen. Was meine Bekannte angeht, in England ist die Krankenversicherung staatlich aus Steuergeldern finanziert (National Health Service), d.h. jeder Bürger ist automatisch und ohne zusätzliche Beiträge krankenversichert. Für ihre Hunde hat sie eine Art Versicherung (übernimmt Behandlungen bis hin zu chirurgischen Eingriffen bis zu einer Obergrenze von mehrern hundert Pfund). Ist die einzige Sozialleistung, die sie in Anspruch nimmt. [1]
Wenn man sich dann wünscht, in einer kleinen Wohnung mit einer ausreichenden Rente, in Ruhe alt zu werden und es nicht kann, weil man keine Rente bekommt, keine Wohnung hat....
Ja, das ist in der Tat ein Punkt.
Vielen Dank für Euro Antworten!
[1] Off-Topic: England scheint mir insgesamt sehr viel hundefreundlicher zu sein als Deutschland. Auch was die Reaktionen der Passanten angeht. Als wir da sassen, kamen wirklich andauernd Leute vorbei, die nach der obligatorischen Frage "are they friendly" die Hunde streichelten (die beiden würden in D als "gefährliche Hunde" (Listenhunde) gelten), Leckerlis gaben und ab und zu sind wirklich Leute in den nächsten Laden und haben Hundefutter für die beiden gekauft. Hab' ich so hier in Deutschland noch nie mitbekommen.