Hallo Gast,
Deine Zeilen haben mich sehr beschäftigt, weil es im Grunde darum geht, was uns Menschen zueinander führt, beieinander hält und auseinander bringt. Wie können wir auf das vertrauen, was ist, was wir fühlen und was wir tun? Ja, ich glaube, dass eure Beziehung noch (viele) Chancen hat, weil unser Verstand mit unseren Gründen FÜR und GEGEN eine Partnerschaft ohnehin völlig überfordert ist und diese "Wenn er das getan hat, dann ..." und "Wenn nicht das passiert, dann ..." - Argumentationsketten sind oft nur mehr oder weniger schöne Luftblasen, die ganz schnell vergessen werden können. Vor kurzem habe ich den schönen Satz gelesen:
"Das Herz malt immer über den Rand".
Was kannst Du ändern? Was kann er verzeihen? Wenn ich zurückschaue, was ich Menschen habe tun sehn, sagen hören und denken erlebt habe, dann sind die vier Grenzen in uns selbst immer nur unser eigener Wagemut, der Verstand, unser Vertrauen und hoffentlich ein Quäntchen Anstand. Jeder Mensch hat seine Gründe für jede Tat, die Frage ist nur, ob wir diese aushalten können und wollen. Du hast Deinen Freund nicht umgebracht, Du hast ihm keine Körperteile zerquetscht, es waren größtenteils nur Worte und auch die waren nicht immer gelogen. Und Du hast die Nähe zu einem anderen Menschen zugelassen und hey, was finden wir nicht alle für "gute Gründe", genau das zu tun und sind so oft damit weit weg von jeder Rationalität.
Eine kluge Frau hat mir einmal gesagt, dass wir uns immer Partner suchen, an denen wir wachsen können, neben all den anderen Gründen der Evolution, menschlicher Größe und den weniger hellen Ecken unserer Seele. So oft sind gute Dinge aus unverständlichen Taten entstanden. Was kann ich da schon beurteilen? Du hast "sein Geheimnis" öffentlich gemacht. Vielleicht war das notwendig, damit es ihn weniger drückt? Du hast ihn betrogen. OK, Du hast auch schon vor eurer Beziehung ein Leben geführt. Was ich damit sagen will, ist: ich bin heute morgen einfach erschrocken, über meinen "Versuch der moralischen Integrität" und mein Pharisäertum.
Ich möchte mich bei Dir entschuldigen, denn es stand mir nicht zu und bekommt mir sicher auch nicht gut, anzunehmen, ich wüßte mehr über Dich und ihn, als das Leben selbst.
Wie oft verschwenden wir unsere Kraft, unsere Leidenschaft und unsere Zeit, mit dem Wunsch nach einem schönen Schein? Er hat Dich als zerstörerische Göttin Kali erlebt, eine Vorstellung von Millionen von Menschen, in dem sich viel der menschlichen Seele und Realität wiederfinden kann. Na gut, dann hast Du eben 6 Arme und bist blau?! Es gibt Schlimmeres. Was können wir Menschen nicht alles lieben und verzeihen. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber als Jesus gefragt wurde, wie oft man einem Menschen verzeihen sollte, fand ich die ihm zugeschriebene Antwort recht klug.
Wie sagte vor einigen Tagen meine elfjährige Tochter zu mir: "Komm drüber weg!". Ich musste so lachen und weinen zugleich, dass sie mich mit ganz großen Augen angesehen hat. Wenn wir Männer ein paar im Zorn gesprochene Worte und eine Tat im Alkohol nicht mehr verzeihen können (oder noch schlimmer: zu glauben, es nicht zu sollen! (Ohje, mein Deutschlehrer dreht durch)), dann wird es erst richtig eng. Das Herz will, was es will.
Nein, ich will seinen Schmerz, die Blamage und all die Schicksalsschläge nicht kleinreden, oder jemandem einen Freibrief für dämliches Handeln ausstellen, in dem ich "Habt euch doch alle lieb" zu einer Weisheit erhebe. Ich wünsche mir aber auch eine Partnerin an meiner Seite, die mir zutraut, dass ich mit ihrer Kraft und ihrer Stärke umgehen kann und groß genug dafür bin, oder zumindest noch Wachstumpotential habe. Ich sehe keinen tieferen Sinn darin, miteinander umzugehen wie die Stachelschweine: ganz vorsichtig! OK, neben Ramboline will ich auch nicht einschlafen müssen, aber das ist eine andere Geschichte.
Versuch es! Ich hoffe, Du siehst den Grad zwischen Besessenheit und Hartnäckigkeit. Und das mit Deiner "freiwilligen Selbstkontrolle" bedarf noch etwas Übung. Wir Menschen haben schon viel, viel mehr vergeben. Dem einen sein "Feuer im Leib" ist dem anderen sein "Wahnsinn". "Ist sie zu stark, bist Du zu schwach."
Und vielleicht sind meine Zeilen auch nur ein idotischer Ausdruck der Hoffnung für die Liebe und was uns Menschen zusammenhält. Danke für Deinen Mut so offen zu schreiben.
Alles Gute
PS: Nichts ist wie vorher, niemals. Und manchmal ist das auch gut so. Ich muss die Tür eben noch finden.