Hallo!
Ich mache momentan eine Verhaltenstherapie, aber es gibt da etwas was mich stört.
Ich kann nicht so wirklich Vertrauen zu meinem Therapeuten aufbauen. Dafür gibt es ein paar Gründe....
- Er hat einmal eine Stunde vergessen
- Seine Freundlichkeit kommt mir gespielt vor (Wenn ich ihn "heimlich" angucke dann schaut er ziemlich ernst und genervt)
- Er seufzt oft, als wäre er genervt
- Auf eine Antwort per E-Mail kann ich vergebens warten
Das hört sich vielleicht alles nicht so schlimm an, aber das habe ich immer im Kopf. Der Gedanke, dass ich ihn total annerve, macht mich traurig. Ich werde dieses Gefühl einfach nicht los. Ist das normal? So finde ich ihn eigentlich schon symphatisch. Sollte ich abbrechen, wenn kein Vertrauen entsteht?
Danke fürs Lesen und hoffentlich auch antworten!
Gruß Melly
Hallo Melly,
ich habe mich die erste Zeit in der Therapie mit ähnlichen Fragen rumgeschlagen. Ich war sicher, daß mein Therapeut von mir genervt ist, sich langweilt, mich für eine dusselige Kuh hält mit der er seine Zeit verschwendet. Außerdem dachte ich immer, ich habe kein Recht dort zu sein, weil es andere Menschen gibt, denen es viel schlechter geht als mir. Ich dachte der Therapeut wartet nur darauf, wann er mich endlich loswird und sich einem Menschen zuwenden kann, der schlimmer leidet, interessantere Themen hat und bessere und schnellere Fortschritte macht.
Diese Gedanken sind Teil der Störung, warum wir eine Therapie benötigen. Es hat was mit mangelndem Selbstwert zu tun.
Heute habe ich begriffen, daß der Therapeut einfach Profi ist und seine Arbeit macht. Er bewertet nicht. Die bedingungslose Zugewandheit in der Stunde ist tatsächlich zum Teil "vorgespielt". Es ist Teil seiner Berufsausübung. Die sog. therapeutische Haltung. Und das ist ok so.
Der Therapeut ist auch Privatmensch. Er hat Eheprobleme, eine kranke Schwiegermutter, einen Wasserrohrbruch, keine Lust auf Sport heute abend, ihm ist heiß, er muß noch ein langes Gutachten schreiben, er hat Kopfschmerzen, er hatte gerade eben eine sehr intensive Stunde, die ihn innerlich mitgenommen hat, er hat Hunger, seine Mitarbeiterin ist krank.... All das wird er uns gegenüber üblicherweise nicht thematisieren. Weil es nicht in unsere Stunde gehört. Trotzdem merkt man es ihm manchmal an. Er seufzt oder ist auch mal unkonzentriert.
Auch wenn er professionell über Dich nachdenkt, wird sein Gesicht wohl eher ernst oder nachdenklich sein.
Mein Therapeut antwortet auf e-mails auch entweder nicht oder mit großer Zeitverzögerung. Du mußt bedenken, daß er zwischen den Stunden nur 10 Min. Zeit hat für Vor- und Nachbereitung, Toilettengang, Telefonate, Trinken, praxisrelevantes mit seiner Mitarbeiterin besprechen etc. Abends schreibt er Gutachten, diktiert sonstige Korrespondenz, organisiert seine Praxis etc.
Ich habe allerdings von mir aus auch nur in ganz wenigen Ausnahmesituationen (2 x ) eine mail geschrieben. Alles andere kann ich in "meiner" Stunde mit ihm besprechen.
Ich finde es sehr wichtig, daß ein gutes Vertrauensverhältnis zum Therapeuten besteht. Das heißt nicht, daß Du darauf vertrauen mußt, daß er Dich mag, sondern darauf vertraust, daß er professionell ist, eine gute Ausbildung hat, sein Handwerk versteht, die therapeutischen Grundsätze wie Abstinenzgebot, Schweigepflicht etc. einhält und er Dir den geschützten und sicheren Raum bietet, indem Du dich öffnen kannst ohne bewertet zu werden und er Dich in Deiner Entwicklung kontinuierlich und geduldig begleitet.
Hast du mal versucht, Deine Sorge ihm gegenüber zu benennen? Ihm zu sagen, "ich befürchte, daß Sie genervt sind, das hemmt mich"? "Ich deute ihren Gesichtsausdruck so als ob ich Sie annerve, ich vertraue Ihnen daher noch nicht"?
Mir haben solche Gespräche mit meinem Therapeuten oft sehr weitergeholfen. Sie waren sowohl für den Fortgang der Therapie hilfreich als auch für mein übriges Leben. Denn auch dort hatte ich oft in andere hineininterpretiert, ich sei ihnen lästig, sie seien genervt, sie mögen mich nicht, wollten mich loswerden. Ich habe anhand der Auseinandersetzung mit meinem Therapeuten erkennen dürfen, welche Mechanismen bei mir dahinterstehen, wo das herkommt. Und daß oft allein meine Interpretation ausschlaggebend ist und sich vieles auch anders deuten läßt. Das im Therapieraum erlernte, konnte ich dann gut in den Alltag übertragen. Das ist ein sehr schöner Nebeneffekt der Therapie, daß man in dem Therapeuten auch einen prima Sparringpartner hat, um sowas zu erkennen auszusprechen und zu üben.