Hallo Julius,
darf ich Dich fragen, warum Du ihn hasst? Hass ist eine Mischung aus mehreren Gefühlen: Wut (Ist er ein Konkurrent um die Liebe Deiner Mutter?), Angst (Befürchtest Du, er könnte Deinen Platz in ihrem Herzen einnehmen?) und Trauer. Dadurch, dass diese Gefühle Dein Inneres so durcheinander wirbeln, ist es nicht leicht, sich damit "vernünftig" auseinanderzusetzen. Ist er gemein zu Dir? Was verursacht Deinen Hass?
Mein Vater war etwas mehr als ein Jahr verstorben, als meine Mutter "einen Neuen" in den Arm nahm und ihn ansah, wie ich sie meinen Vater noch nie habe anlächeln sehen. Ich war über Wochen wütend, verunsichert, traurig und vieles mehr. Ich hätte ihn am liebsten zum geschlossenen Fenster hinaus getreten. Es kam mir wie ein Verrat an meinem Vater vor, sowohl von meiner Mutter, als auch von mir. Ich wollte ihn nicht mögen, fand seine Witze bescheuert und fast jeden seiner Sätze eine Provokation. Aber ich war einige Jahre älter als Du es heute bist.
Nach einigen Wochen fing ich an zu erkennen, dass manche Sprüche doch lustig waren und ich habe auch realisiert, dass er meiner Mutter gut tat. Und dann habe ich angefangen, ihn zu akzeptieren aus einem einfachen Grund: meine Mutter hatte ihn in ihr Herz geschlossen. Warum sollte ich meiner Mutter das Leben schwer machen? Wegen meiner Eifersucht? Wegen meines Neids?
Deine Zeilen klingen sehr "besitzergreifend". Ist es wirklich DEIN Haus? Ich weiß, was Du damit ausdrücken willst. Er ist der Eindringling. Er beansprucht einen Platz, den Du ihm nicht zugestehen willst und Du willst auch nicht akzeptieren, dass das Deine Mutter tut. Du wurdest nicht gefragt. Der Liebe Deiner Mutter warst Du bisher sicher und nun wird Dein Anteil an ihrer Liebe scheinbar kleiner. Das kann einen schon ziemlich treffen. Aber ist es wirklich so?
Der Ausspruch Deiner Mutter, dass sie sich vorstellen könnte, dass Du in ein Heim gehen könntest, wurde wahrscheinlich im Zorn und im Streit gesagt, oder?
Versuche einmal das Ganze aus der Sicht Deiner Mutter zu sehen: ihre letzte Beziehung ist gescheitert. Ab einem gewissen Alter eine neue Beziehung zu finden, einen Menschen, mit dem man sich ein gemeinsames Leben vorstellen kann, das ist wirklich nicht einfach. Nun hat sie diesen Mann und er will mit ihr und auch mit Dir unter einem Dach wohnen. Und nun hasst der eigene Sohn diesen neuen Mann, möchte ihn nicht akzeptieren, will ihn lieber heute als morgen los werden. Sie wird also vor die Wahl gestellt: wähle zwischen dem neuen Glück und dem zornigen Sohn. Ist das nicht furchtbar? Wie soll man da wählen? Sie möchte ihren Partner nicht verlieren, aber vielleicht versteht sie auch nicht, warum Du diesen Mann so hasst? Was hat er Dir getan?
Ich verstehe gut, dass es für Dich sehr schwer ist, wenn sich so viele Dinge ändern, die sich für ein Kind nicht ändern sollten. Siehst Du Deinen Vater regelmäßig? Wie ist Deine Beziehung zu ihm? Hält er den Kontakt mit Dir?
Ich würde Dir raten, dass Du Dir Deinen Hass einmal genauer betrachtest. Worüber bist Du wütend, traurig und ängstlich? Wenn Du diese Dinge unterscheidest, kannst Du leichter Deine nächsten Schritte wählen. Ja, man fühlt was man fühlt, aber welche Entscheidungen Du triffst, das ist Deine Verantwortung. Kannst Du mit Deiner Mutter über das ganze "vernünftig" reden? Ist sie jemand, mit der Du das kannst? Auch Mütter stoßen ebenso an ihre Grenzen wie Väter. Du solltest das nicht alleine bewältigen müssen.
Ich weiß nicht, ob dieser Mann eine Chance von Dir "verdient" hat, ich kenne ihn nicht. Was spricht dagegen? In Deinem Text hast Du bislang nur Deinen Hass als Grund genannt. Ist das als Grund wirklich ausreichend? Klar ist es das, wenn Du nur "aus dem Bauch heraus" entscheidest. Aber Du bist inzwischen 13 Jahre alt, hast einen logisch denkenden Verstand zwischen Deinen Ohren. Was sagt Dir Dein Verstand, wenn Du Deinen Hass mal für einen Moment beiseite schiebst? Das geht nicht? Doch, das geht schon, aber Du musst dazu bereit sein, über Deinen "Tellerrand" hinauszuschauen.
Die Situation Deiner Familie "zwingt" Dich zu Gedanken und Überlegungen, die Du Dir nicht gewünscht hast, die ein Kind überfordern können. Vielleicht kommt Dein Zorn auch ein wenig daher. Aber es ist nun mal, wie es ist.
Was Du jetzt machen sollst? Unterscheide Deine Gefühle. Schreibe darüber (hier, wenn Du willst) und sprich darüber, wie es Dir geht, was Dich bedrückt. Nutze Deinen Verstand! Arbeite mit an einer Lösung. Manches ist einfach erst einmal beschissen, und das musst Du Dir nicht schön reden (lassen). Deine Gefühle wurden verletzt, der Spruch Deiner Mutter war verdammt hart. Was wäre aus Deiner Sicht "vernünftig"?
Du musst diesen Mann nicht mögen. Er ist und wird nicht Dein Vater und er ist auch kein Ersatz. Über all das musst Du Dir Gedanken machen und Du darfst die Gefühle haben, die Du nun mal hast. Aber auch Gefühle können sich ändern, wenn man an Einsicht und Erfahrung gewinnt. Vielleicht steckt in Deinem Hass auch eine gehörige Portion Trauer, dass Dein Vater nicht mehr in Deiner Nähe ist? Wir Jungs verdecken Traurigkeit gerne mit Wut, um den Schmerz nicht so sehr spüren zu müssen.
Ich schreibe viel. Verzeih. Vieles von dem, was Du gerade erlebst, habe ich auch erlebt. Es sprudelt etwas aus mir heraus. Ich finde toll, dass Du schon Worte dafür gefunden hast. Sie zeigen Deine Aufrichtigkeit und Deinen Wunsch nach einer Lösung. Alle Achtung.
Ich würde mich freuen, wieder von Dir zu lesen.
Hab ein gutes Wochenende.