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Ballast abwerfen

Mevina

Neues Mitglied
Hallo ihr Lieben!

Ich versuche momentan mein Leben ein bisschen zu ordnen und wollte dabei ein bisschen seelischen Ballast abwerfen.

Wenn ich so zurück denke weiß ich gar nicht genau, wie ich das alles bewerten kann. Meine Mutter ist früh gestorben, und ich bin immer davon ausgegangen dass sie einfach krank war. Erst vor ein paar Jahren (heute bin ich 20) kam mir die Erkenntnis, dass das alles nicht so ganz zusammenpasst – mein Papa hat mir dann auf Nachfrage die ganze Geschichte erzählt, damals wollte er mich verständlicher Weise schützen. Meine Mutter war Alkoholikerin, schon lange vor meiner Geburt. Mein Vater hat alles für sie getan, jegliche Unterstützung geboten und sie auf ihrem Therapieweg begleitet. Aber es war immer sehr schwer, und meine Geburt hat das nicht besser gemacht. Mein Vater liebt mich unendlich,da bin ich mir sicher, aber in den letzten Tagen kam mir immer mehr die Einsicht dass meine Mutter mich nie geliebt hat. Ich erinnere mich, wie sie meinem Vater eine Pfanne mit Essen ins Gesicht geworfen hat, und das während er mich auf dem Arm hatte. Im Endeffekt hat er sich für mich und gegen sie entschieden, denn er wollte mich nicht mit so einer Mutter aufwachsen lassen, auch wenn er sie geliebt hat. Da kommt noch hinzu, dass mein Vater zu diesem Zeitpunkt einen schweren Arbeitsunfall mit Wirbelsäulenbruch hatte und seitdem Frührentner ist – von meiner Mutter hat er in dieser Situation keine Unterstützung bekommen. Er ist dann gegangen, und sie hat meines Wissens nach den nächsten Entzug begonnen. In dieser Zeit hat sie jemanden kennengelernt, nach dem Entzug ihre Wohnung gekündigt, ist zu diesem mir unbekannten Mann gefahren und hat ihm in der Tür verkündet, dass sie mit ihm leben möchte, und als er sie abwies fuhr sie in ein Hotel und nahm sich das Leben. Da war ich vier.


Soweit also die Geschichte meiner Eltern, auch wenn ich die genauen Umstände wahrscheinlich nie erfahren werde. Es war lange Zeit eine tragische Geschichte für mich, so wie man Filme tragisch findet oder Bücher – schlimm, aber weit entfernt. Ich habe so gut wie keine Erinnerungen an diese Frau,und mit diesem Wissen war ich da auch ganz froh drüber. Der Schmerz meines Vaters ist schwer zu ertragen, deswegen habe ich nie weiter nachgeforscht. In meiner Grundschulzeit hat er eine andere Frau kennengelernt, die seitdem meine Mutterfigur ist und mit der ich mich meistens ganz gut verstehe. Sie war nie „Mama“ für mich, aber ich kenne es ja nicht anders und das war schon ok. Sie und Papa sind alles, was ich brauche.


Ich wünschte ich könnte sagen, dass ich eine Entschädigung für all das Leid bin. Aber schon in der Grundschule hatte ich Probleme, meine Noten waren zwar immer gut, ich war selbstbewusst (eigentlich schon zu bestimmt) und hab geredet wie ein Wasserfall, aber schon da kamen psychische Probleme und Zwangsgedanken auf. Mein Vater hat mich dann zu einem Kinderpsychologen begleitet, einfach weil es mir damit nicht gut ging und diese Gedanken mich vom Schlafen abgehalten haben. Bis heute bin ich mich eigentlich in ständiger Behandlung, verschiedene Psychologen, ein Klinikaufenthalt während der Oberstufe. Ich hatte immer das Gefühl, meine Probleme seien im Vergleich zu den Lasten anderer einfach geringfügig und diesen Aufwand nicht wert,vielleicht steigere ich mich da einfach zu sehr hinein, aber so wirklich gut ging es mir psychisch nie – und das tut mir so leid für meinen Papa, der wirklich alles tut und der der wichtigste Mensch in meinem Leben ist.


Meine „Probleme“ wandeln sich ständig, was meine Schuldgefühle nicht mindert. Auf dem Gymnasium wurde ich von „sehr ausdrucksstark“ zu „unglaublich still“,ich hatte Angst vor meinen Mitschülern, war unzufrieden mit mir,hatte keine Freunde. Im Nachhinein denke ich, dass da auch viel an mir lag – die Leute in meiner Stufe waren nie die Art Mensch, mit der ich befreundet sein wollte. Ich wurde nicht wirklich gemobbt,hatte sehr gute Noten, aber ich habe diese Jahre ohne Freude gelebt und meine Zeit mit Computerspielen gefüllt. Und mit der Schüchternheit kam der Mangel an sozialer Interaktion, und damit kam immer mehr Angst. Mit Beginn meines Studiums hat sich das für kurze Zeit gewandelt, der Neuanfang hat mir wieder Schwung gebracht und ich habe gemerkt, dass ich gut darin bin Selbstbewusstsein vorzutäuschen.Für kurze Zeit war ich beliebt, und vor allem war ich glücklich.Über diese neuen Erfahrungen habe ich jedoch das studieren vergessen, und ich bin lange davon ausgegangen dass mir die guten Noten einfach weiter zukommen würden. Falsch gedacht. Mittlerweile weiß ich, dass dieser Studiengang nichts für mich ist, und dass ich nicht einmal ansatzweise so intelligent bin wie ich immer gehofft hatte (wisst ihr, das war in der Zeit ohne Freunde immer mein Hoffnungsschimmer - „wenigstens hast du gute Noten, wenigstens hast du später einen guten Job“) Mit dieser Erkenntnis kam die Angst zurück, und ich verlor meinen Anschluss und meine Motivation. Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt der wirklich nicht gesund für mich ist – keine Freunde, kein Studium und immer, immer Angst. Ich habe mich für das WS für einen neuen Studiengang beworben, aber mittlerweile habe ich so gut wie kein Selbstvertrauen mehr – ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich noch Brötchen verkaufen könnte.Ich zitter in den unmöglichsten Situationen, habe ständig Bauchschmerzen, Schlafstörungen und generell absolut keine Motivation für irgendwas. Ich bin unfähig eine Beziehung aufzubauen, denn sobald die Person mich mag und ich nicht mehr„kämpfen“ muss, nicht mehr schwärmen brauche sondern mit der Realität konfrontiert werde, sofort finde ich diesen Menschen schon fast eklig, mir wird wirklich übel und ich breche den Kontakt mit einem Schlag völlig ab. „Wer mich mag, der kann ja nur widerlich sein“, auch wenn ich weiß dass das ungerecht ist. Und vor allem sorgt es oft für den Vorwurf, dass ich Leuten „schöne Augen“machen würde nur um sie dann zu demütigen. Ich brauche ständig Bestätigung, bekomme aber dann Panik und werde kalt und gemein, das ist echt sympathisch. Ich verlange dass alle Welt mich liebt, aber selber bin ich einfach absolut nicht liebenswert – ich bin egoistisch, arrogant, halte mich abwechselnd für was Besseres und für den absoluten Dreck, ich bin faul und undiszipliniert und wenn mich Leute mögen, dann nur weil ich gut im Schauspielern bin.


Manchmal würde ich gerne meiner Mutter die Schuld dafür geben dass ich jetzt Probleme habe, einfach weil sie der Mensch war der mich am meisten hätte lieben sollen, und sie hat einfach versagt. Wenn nicht einmal meine Mutter mich lieben konnte, wieso sollten es dann andere können?
Und jetzt mit dieser ständigen Angst vor allem bekomme ich es einfach nicht hin an all diesen Schwächen zuarbeiten. Ich habe Angst, keinen Studienplatz zu bekommen, Angst zu Sterben, Angst vor anderen Leuten die mich bewerten könnten, Angst vor dem Auto fahren, Angst vor der Zukunft, Angst zu Versagen, immer nur Angst und Faulheit. Manchmal verlasse ich tagelang das Haus nicht. Und vor allem hab ich Angst dass es nie anders wird, weil meine Probleme nie definiert wurden und nicht greifbar genug sind für eine Therapie (und ich hab es wirklich schon mein ganzes Leben versucht) und weil einfach zu wenig Disziplin in mir steckt, zu viel Selbstmitleid und zu viel von der Frau die mich gehasst hat. Und ich habe Angst meinen Vater zu enttäuschen, das ist wahrscheinlich das Schlimmste.


Nun gut, ich bin fertig mit jammern. Danke fürs Lesen!
 
Hallo Mevina,

ich bin gleich alt wie du und kann dich nur zu gut verstehen. Besonders in dem Abschnitt, wo du dich selbst beschreibst und sagst du brauchst viel Bestätigung etc. doch eigentlich bist du arrogant - ja, dass kenne ich irgendwoher. Auch ich gebe meiner Mutter Schuld an allem.

Ich wollte dir nur mitteilen du bist nicht allein! <3
 
Liebe Mevina,

die Fähigkeit Probleme und Aufgaben des Lebens zu meistern hängt eng mit der Fähigkeit zusammen, gute soziale Bindungen aufzubauen und menschlich angenehme Kontakte zu pflegen. Die Liebe, die Du von Deinem Vater erhalten hast, sollte dazu ausreichen, dass Du Widerstandskraft aufbaust, wenn das Leben schwer wird.

Wenn wir Menschen regridieren, sehnen uns nach einer Kindheit voller Liebe und ohne Probleme zurück. Wenn wir so leben, nehmen wir uns die Kraft für unsere Aufgaben von heute. Wir beschäftigen uns mit der Vergangenheit, obwohl die Gegenwart uns genügend Zeit kostet, wollen wir sie gut bewältigen.

Solche Menschen scheitern oft. Die Probleme, die aus dem Scheitern folgen, dienen als Beweis, dass man nicht liebenswert ist und dass es gut wäre, wäre man wieder in Sicherheit, wie es als kleines Kind mal war. Und so beginnt die Negativspirale, die Dich runterzieht.

Dem gegenüber stehen Deine guten Erfahrungen mit Deinem Leistungsvermögen. Du hast schon so viel erreicht. Das sollte Dir zu denken geben. "Ja ich kann es schaffen" sollte Dein Denken sein. Nach vorne denken, für jedes Problem eine Lösung suchen, bedeutet progredieren. Es ist dazu die Freude am Leben wichtig, die auf der Dankbarkeit (Deinem Vater und seiner Frau gegenüber) wächst.

Dankbarkeit ist mehr als nur ein Wort. Dankbarkeit ist auch das gute Tun mit dem, was man geschenkt bekam. Bei Dir war es die große väterliche Liebe. Mach was draus!

Das Leben des erwachsenen Menschen ist immer ein Leben mit Unsicherheiten. Unsicherheiten müssen wir aushalten. Nur dann gelangen wir auch zu guten Lösungen. Wenn Du jedoch vor Risiken und Aufgaben und vor Problemen flüchtest, dann wirst Du wieder regridieren, Dich eher zurück entwickeln.

LG, Nordrheiner
 
hallo und herzlich willkommen,
ich würde deinen text nicht als jammern bezeichnen, sondern als völlig legitimes aussprechen deiner sorgen und nöte. besser als herum zu grübeln ist es allemal, denn nun können wir uns äussern und dir vllt einen anderen blick auf deine geschichte öffnen.
ich bin älter als du, aber habe bis heute noch an der vernachlässigung durch meine eltern zu laborieren. es gibt ja den spruch 'schenkt dir das leben zitronen, mach limonade daraus.' ich kann diesen spruch bis heute nicht leiden, weil er meinen schmerz ignoriert. dennoch bleibt einem ja nichts anderes übrig, als mit dem was man nun hat, durchs leben zu gehen. ab jz bist du selbst für dich und deine entwicklung verantwortlich. du kennst vllt die geschichte von orpheus und euridike, in der orpheus die mahnung erhält, niemals zurück zu blicken. das würde ich dir auch empfehlen - 'blick niemals zurück!' allerhöchstens im geschützten raum einer therapie, ansonsten niemals.
notiere dir deine gefühlten defizite und arbeite sie eine nach der anderen ab. mir zb. fehlt(e) die entwicklung der feinmotorik. ich habe mir daher ua. deshalb einen sport gesucht, mit dem ich dies nachentwickle. der punkt ist aber, dass mir diese arbeit auch wenn sie mir schwer fällt, spass macht und ich es nicht mehr tue, weil ich mich als mangelhaft empfinde.
du wirst sicher noch den einen oder anderen fehlschlag erleiden, aber blick trdm nicht zurück. schau nach vorn, finde heraus wer du wirklich bist und arbeite diesen deinen wesenskern heraus.
viel mut und kraft dafür
marut
 

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