Hallo Hilfesuchender,
als ich deine lange Liste an negativen Eigenschaften gelesen hab, dachte ich zuerst: "Was kann er denn dann überhaupt noch an ihr lieben? Warum ist er noch mit ihr zusammen?" Als ich dann aber den Absatz gelesen habe, wo du beschreibst, was du an ihr liebst und was sie dir bedeutet, hat mich das sehr berührt, aber auch verwirrt. Es klingt sehr widersprüchlich, paradox... Aber bei genauerem Drübernachdenken, hatte ich doch ein paar Ideen, woher das kommen könnte, dass du ihr gegenüber so widersprüchliche Gefühle und Gedanken hast. Ich stelle diese Ideen einfach mal in den Raum. Ob etwas davon zutreffen könnte, musst du selber wissen.
Also: Zunächst mal, ist mir bei deinen Negativpunkten aufgefallen, dass ich da sehr wenig "für sie" raushören kann. Weißt du, ich bin auch jemand, der Interesse daran hat, Neues zu lernen. Ich finde viele naturwissenschaftlichen Themen spannend, mag auch mal philosophische Fragestellungen, diskutiere gerne über die Feinheiten der Sprache uvm. Und ich kann mit Leuten, die daran so gar kein Interesse zeigen zugegebenermaßen meist nicht so viel anfangen. Aber sollte der (wohl eher unwahrscheinliche) Fall eintreten, dass ich so einen Menschen liebe, wäre es wohl eher die Sorge um diesen Menschen, die dann aus mir sprechen würde. Ich hätte Angst, dass dieser Mensch langsam verkümmert. Ich bin davon überzeugt, dass kein Mensch auf Dauer damit glücklich sein kann, die meiste Zeit seines Lebens vor dem Fernseher zu verbringen. Deshalb wäre es mir wichtig, seine Begeisterung für gewisse Dinge zu wecken. Bei dir klingt es - sei mir nicht böse - vor allem so, als ginge es hauptsächlich darum, dass DIR mit ihr zu langweilig ist. Zu ziehst für mein Empfinden zu wenig in Betracht, wie es ihr mit ihrem Leben eigentlich geht...
Bevor du jetzt vorschnell abwehrst und sagst: "Nein, nein, so egoistisch bin ich nicht. Es geht mir natürlich vorrangig um sie!" denk nochmal nach und sei ehrlich - wenigstens zu dir selber, nicht zwingend hier öffentlich. Ich finde, es ist völlig legitim, zu sagen, dass man sich mehr von einer Beziehung erwartet. Und wenn das so sein sollte, dann halte ich es für ganz wichtig, dazu zu stehen und das auch zu beenden.
Ein zweiter Gedanke zu deinem Problem, hängt mit dem vorherigen eng zusammen. Vielleicht ist mein erster Eindruck tatsächlich falsch und es geht dir bei diesen Punkten in erster Linie um das Wohlergehen deiner Freundin. Dann könnte ich mir gut vorstellen, dass das bei ihr nicht so richtig ankommt. Ich denke, dass deine Versuche, sie für bestimmte Dinge zu begeistern, bei ihr das Gefühl erzeugen, abgewertet zu werden. Mit so einem Gefühl, ist es praktisch unmöglich, dass sie Begeisterung und Interesse entwickelt. Es erzeugt das genaue Gegenteil, nämlich, dass sie sich und ihren Lebensstil abgrenzen und verteidigen muss und total dicht macht. Hast du manchmal den Eindruck, dass sie eine für dich völlig unverständlich Ablehnung für deine Vorschläge und Ideen hegt, evtl. ganz ohne es überhaupt probieren zu wollen? Wenn ja, denke ich, das kommt wahrscheinlich daher, dass sie sich tief im Inneren minderwertig fühlt oder Angst hat, minderwertig zu sein, Angesichts deiner Interessen und Fähigkeiten. Aber dieses Gefühl der Minderwertigkeit ist so schmerzhaft, dass sie es mit aller Macht wegdrücken muss. Sie darf quasi nicht zulassen, dass du ihr etwas Neues zeigst und schmackhaft machst, weil sonst die Illusion, dass alles gut ist, wie es ist, zerstört wird. Ich glaube, es ist sehr, sehr schwer, bei einem Menschen, der so viel Angst hat, minderwertig zu sein, irgendeine Änderung zu bewirken. Das gelingt nur ganz wenigen.
Ich finde dein Fazit sehr interessant:
Ich liebe das Mädchen, die Person die an ihrem tiefsten „Seelengrund“ sitzt, und ich liebe sie so dass es schmerzt. Könnte ich Zaubern würde ich sie behalten, aber ihr Aussehen, ihren Charakter, ihre Biographie, ihre Freunde & Familie, ihre Interessen und ihre Ziele und Wünsche verändern. Nur was davon wäre dann noch „Sie“ ? 😕
Du sagst so wunderschön, du liebst die Person, die an ihrem tiefsten Seelengrund sitzt. Wenn das wirklich so ist, dann denke ich fehlt dir (oder euch) einfach nur Vertrauen. Aber ich glaube ich muss da weiter ausholen, weil ich nicht weiß, ob du das so meinst, wie ich das verstehe...
Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder einzelne Mensch etwas ganz Besonderes und absolut Einzigartiges in sich trägt. Dieses Einzigartige in uns, unser "wahres ICH", möchte immer mehr zur Entfaltung kommen. Und je besser uns das gelingt, desto glücklicher und zufriedener sind wir. Aber wir kommen nicht als voll entwickelte Persönlichkeit auf die Welt. Genauso wenig wie unserer Körper bei unserer Geburt schon voll entwickelt ist. Das ist ein Wachstumsprozess, auf den ganz viele Dinge Einfluss haben und ihn fördern oder auch hemmen. Aber ich schweife ab... Es geht ja um die Liebe. Ganz oft fällt der Satz: "Ich will so geliebt werden, wie ich bin!" Aber wie bin ich denn? Irgendwie bin ich doch jeden Tag ein bisschen anders und eben erst (hoffentlich) auf dem Weg zu meinem "wahren Ich". Es ist also gut und wichtig, dass ich nicht so bleibe, wie ich bin. Zum Glück kann und darf ich mich verändern. Zum Glück kann und darf ich noch wachsen und reifen. Deshalb finde ich es so gut, was du schreibst: Du liebst die Person, die an ihrem tiefsten Seelegrund sitzt. So sollte man lieben - sowohl sich selber, als auch andere. Nicht indem man stur sagt: Es ist doch alles toll so wie es ist, sondern indem man offen ist, für das, was da noch an Entwicklungspotential schlummert. Es besteht hier allerdings die ganz große Gefahr, dass man das verwechselt mit dem, was man gerne haben möchte. Man sagt zum anderen: "Ich liebe das, was aus dir werden könnte." Und meint im Grunde: "Ich hab ein Idealbild von dir im Kopf und möchte, dass du so wirst." So ein zementiertes Idealbild ist schrecklich. Viele machen das übrigens auch mit sich selber, dass sie das, was sie für ihr "wahres Ich" halten, zu sehr zementieren, ohne offen für das zu sein, was da tatsächlich in ihnen schlummert. So ein Verhalten deutet m. E. immer darauf hin, dass man zu wenig Vertrauen in das hat, was da wachsen könnte. Man vertraut zu wenig darauf, dass es was Gutes ist und versucht deshalb krampfhaft irgendwas zu erreichen was einem richtig scheint.
Mir scheint, damit kämpfst du auch bei deiner Freundin (vielleicht auch bei dir selber). Ich vermute, dass du eine Ahnung hast von dem, was da in ihr ist und wachsen könnte. Das ist das, was dich anrührt und verzaubert. Aber du kannst es nicht konkretisieren. Es ist eben nur eine leise Ahnung. (Es kann naturgemäß nicht mehr sein als das.) Aber du bist, so scheint mir, ein ziemlich rationaler Mensch, weshalb es dir schwer fällt, auf solche Ahnungen zu bauen. Rational traust du ihr gar nicht viel zu. Du bezweifelst, dass sie ihr Alkoholproblem in den Griff bekommt, du bezweifelst, dass sie eine gute Mutter wäre, du bezweifelst, dass sie aus ihrer Faulheit und Selbstsucht rauskommen kann. Obwohl du schreibst, dass du die Person liebst, die an ihrem tiefsten Seelengrund sitzt, fällt es die soo schwer, an diese Person zu glauben. Du glaubst, du müsstest zaubern können und all das, was dich stört einfach verschwinden lassen und du fragst zurecht, was dann noch von ihr übrig bliebe. Nein... du darfst nicht zaubern, du müsstest vertrauen.
Ein letzter Punkt noch:
Unsere Dating-Phase war sensationell, der Sex Atemberaubend, wir haben wunderschöne Erlebnisse geteilt und ich verbinde einige der besten Erinnerungen meines Lebens mit ihr. 🙂
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Sie ist der erste Mensch dem es jemals gelungen ist meine „harte Schale“ zu durchbrechen, und auch der erste Mensch der jemals eine so tiefe Verbundenheit mit mir eingegangen ist.
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Und sie hat mir in unserer Beziehung nicht nur sehr oft geholfen, sondern mir auch Möglichkeiten aufgezeigt ein besserer, selbstsicherere und glücklicherer Mensch zu werden.
Das klingt für mich leider sehr danach, als wäre das, was ihr beide euch geben konntet, vorbei. Ich höre da raus, dass sie sehr sehr wichtig für dich war. Dass sie etwas in dir bewirkt hat, was niemand anders gekonnt hätte. Und das liebst du an ihr. Das ist das Besondere an ihr.... für dich... Jetzt wäre es Zeit für dich, weiterzugehen. Du hast durch sie etwas Wunderbares erfahren dürfen. Du bist aber ein Mensch, der auf so etwas aufbauen und weiter wachsen möchte. Ich vermute, ihr fällt das schwer. Sie klammert sich lieber an das, was sie hat und bleibt da stehen. Wenn sie nicht den Mut fasst und auch bereit ist, weiterzugehen, dann habt ihr vermutlich keine gemeinsame Zukunft...
Aber tief in ihrem inneren ist sie auch ein sehr verletzliches kleines Wesen das eine Menge liebe verdient hat.
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Wenn ich sie in den Armen halte durchzieht mich ein Gefühl das ich nur mit „Seelenfrieden“ umschreiben kann.
Mir stellt sich da die Frage, kann es dir gelingen, diesem verletzlichen Wesen soviel Sicherheit zu vermitteln, dass es sich traut, sich wirklich auf das Leben einzulassen und den sicheren Hafen zu verlassen?
Ich wünsche euch alles Gute - zusammen oder getrennt!
Liebe Grüße
M.