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Wie steige ich als Psychologe aus dem Hamsterrad der Wissenschaft aus?

G

Gelöscht 120878

Gast
Hallo,

ich hoffe, es ist Ok, dass ich ohne vorherige Vorstellung hier einfach einen neuen Thread aufmache - ich nutze zum ersten mal seit über 10 Jahren ein Forum :).

Vielleicht hat ja jemand von euch Ideen bezüglich folgender beruflicher Situation/Problematik:

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Kurze Fassung: Wo kann ich als promovierter Psychologe, der gerne praktische Dinge macht und umsetzt - Programmieren, Daten analysieren, anderen Menschen wissen vermitteln/unterrichten/qualifizieren - arbeiten? Wo werden mir konkrete Ziele vorgegeben, so dass ich meine Energie darauf verwenden kann, diese Ziele bestmöglich zu erreichen, ohne selbst ständig darüber nachdenken zu müssen, was ich eigentlich tun soll, d.h. was die Ziele sind?
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Lange Fassung mit Hintergrundinfos:

Ich bin 34 Jahre und arbeite als promovierter Psychologe an der Uni. Ich bin enorm unglücklich mit meiner Situation, was für Außenstehende kaum nachvollziehbar ist: Meine Vorgesetzte und meine Kollegen sind sehr angenehm, ich kann mir meine Zeit theoretisch frei einteilen, ich verdiene (für meine Arbeiterklasse-Eltern) viel Geld.

Aber ich komme absolut nicht mit dem gesamten wissenschaftlichen Umfeld und Arbeitsstil klar. Ich bin ein "Wie"-Typ, d.h. ich setze gerne Dinge um, löse mir vorgegebene Probleme, analysiere gerne Daten, programmiere in verschiedenen Programmiersprachen, und schreibe auch gerne Ergebnisse nieder und ziehe Schlüsse daraus.

Aber ich bin nicht der "Was"-Typ, der man wohl sein muss, d.h. ich hasse es, über Inhalte/Theorien etc. zu diskutieren, ich bin absolut nicht gut darin, Forschungsfragen/-lücken zu finden etc. Und vor allem hasse ich es, das, was ich tue, ständig in Publikationen und auf Konferenzen oder überall sonst verkaufen zu müssen - denn dabei weiß ich nie, was eigentlich von mir erwartet wird: Ich habe nicht einen Chef, an dem ich mich orientieren kann, sondern dutzende, die und deren Anforderungen ich nicht kenne - Reviewer in Zeitschriften, bei denen ich Artikel einreiche, ohne zu wissen, was sie eigentlich erwarten und welche Kriterien sie anlegen, wenn sie den Artikel annehmen oder ablehnen; Gutachter bei Anträgen für Projekte, über die ich mich finanzieren muss; Projektpartner in Projekten, mit denen ich zusammenarbeiten muss, und die ganz andere Perspektiven haben als ich oder meine Vorgesetzte.

In anderen Worten: Ich bin ein "Umsetzer", aber nicht jemand, der entscheidet, was eigentlich getan werden soll. Und, was mir Freude bereitet, neben dem konkreten "Tun" im Sinne von Programmieren, Daten auswerten etc., ist die Lehre, also Vorlesungen/Seminare halten, Dinge erklären, Beispielprojekte mit Studenten machen, sie beraten, und dabei zu sehen, dass ich etwas gutes tun kann. Am schönsten ist es für mich, wenn ich das Gefühl habe, dass ich - das klingt jetzt pathetisch - irgendwie ihr Leben positiv beeinflussen kann, indem ich ihnen vermittle, dass jemand sie fördern will, sie ernst nimmt und an ihrem Erfolg interessiert ist.

Was ich möchte, ist mir also eigentlich ganz klar: Ich wünsche mir eine Tätigkeit, wo ich für andere etwas positives erreichen kann, und ich wünsche mir klare, wohldefinierte und begrenzte Aufgaben und Ziele, an deren Erreichung ich arbeiten kann - aktuell habe ich das absolut nicht, sondern ich arbeite in Projekten, wo eigentlich niemand weiß, was wir eigentlich machen, und das Ziel ist nur, irgendwie Output zu generien, also Publikationen schreiben etc., damit man was für den Lebenslauf hat und damit man was vorweisen kann, wenn man das nächste Projekt bei einem Fördermittelgeber beantragt, wo man dann in höchsten Tönen alles mögliche verspricht, nur um in der Realität dann wieder wild herumzuwursteln und irgendwie output zu generieren, damit man was vorzuweisen hat, wenn man das nächste Projekt beantragt ... und so weiter und so fort.

Ich sehe darin keinen Sinn und keinen echten Nutzen, und ich sehe auf die Realität des Wissenschaftsbetriebs nur noch mit Zynismus und Frustration (auch, nebenbei, in der Corona-Krise; ich rechne selbst komplexe Vorhersage- oder Machine-Learning-Modelle, und weiß, wie fragil diese sind, wenn sich nur wenige Variablen oder Daten ändern, und ich weiß, wie kritisch Studienergebnisse zu bewerten sind, wenn noch nicht sehr viele Studien zu einem Thema vorliegen; und wenn sich dann Wissenschaftler hinztellen so zu tun als wüssten sie Lösungen, oder sich anmaßen, auf Basis extrem unsicherer Datenlage und unsauberer Begriffsdefinitionen, die wir sonst nicht einmal in einer Bachelorarbeit durchgehen lassen würden, zu empfehlen, Freiheitsrechte einzuschränken und die wirtschaftliche Existenz von Millionen zu gefährden, dann kommt mir nur das K*tzen --- und ich weiß auch, wie sehr sich seit Corona sehr viele Wissenschaftlicher freuen, dass sie bzw. ihr Forschungsfeld endlich ernst genommen werden, sie wichtig sind, und auch dass Fördergeld fließt).

Sorry für die Abschweifung.

Jedenfalls: Ich hatte, bevor ich promotiverte, mich schon bei Marktforschungsinstituten wie der GFK beworben, weil ich dachte, dass das gut passen würde - klare Kundenprojekte und -anforderungen, ich könnte Studien umsetzen, auswerten und dokumentieren, müsste mir aber nicht um das "warum" und "was" Gedanken machen. Leider bekam ich meist gar keine Antworten, und wenn ja, dann Absagen - trotz 1.1er Abitur, 1.3er Master und perfekten Arbeitszeugnissen. Daher dann auch die Promotion.

Ich war in den letzten 10 Jahren auch schon bei 4 Coaches - keiner hat wirklich etwas gebracht, außer viel Reden und Selbstreflexion. Selbst refklektieren kann ich ganz gut, und ich kann ja auch die Faktoren, die mich unglücklich machen, benennen ---- aber ich sehe halt einfach keinen Ausweg.

Bei XING bekomme ich immer wieder generische/vorformulierte Anfragen von Headhuntern - immer irgendwelche Jobs als IT-Berater - das heißt Burnout-Stellen als Programmierleihsklave mit Hoffnung, zum festangestellten Dauersklaven aufzusteigen.

Das möchte ich auch nicht. Ich stelle mir irgendwie so etwas wie Erwachsenenbildung außerhalb der Uni vor - aber da finde ich nur prekäre Honorartätigkeiten.

Meine Frage an alle, die bis hier durchgehalten haben :): Habt ihr irgendwelche Ideen, wofür die Welt jemand wie mich, mit meinen Fähigkeiten und mit meiner Arbeits-/Denkweise (mehr das "Wie" als das "Was") brauchen könnte? D.h. Tätigkeitsbereiche, Berufsfelder, Firmen etc.

Oder habt ihr einfach sonst (im Idealfall positive) Gedanken für mich? Ich habe einfach das Gefühl, dass mir selbst die Gedanken langsam ausgehen.

Schonmal vielen Dank & liebe Grüße.
 

Q-cumber

Aktives Mitglied
Lieber TE,

da Du aktuell an der Uni arbeitest, gehe ich jetzt einfach mal davon aus, dass Du in einer größeren Stadt lebst.
Ich würde Dir empfehlen, mal ein paar Bewerbungen als Dozent an den kleineren Privatunis rauszuhauen. Ich habe gehört, dass die ganz ordentlich zahlen und Engagement in der Forschung wird größtenteils gar nicht erwartet. Dafür könntest Du Dich vollständig auf die Lehre konzentrieren.
Vielleicht wäre das etwas für Dich?
 
G

Gelöscht 119860

Gast
Hallo Fragesteller!
Das kommt ja auch immer ganz drauf an, was einem so in Zukunft im privaten Bereich so vorschwebt. Familie? Kinder? Eigenes Haus bzw. sich irgendwo fest niederlassen? Wie flexibel bzgl. "Arbeitsort"? Usw...
Mit den genannten Qualifikationen und dem Wunsch raus aus der Forschung und rein in die freie Wirtschaft/öffentlicher Dienst zu gehen könnte vielleicht ein Job im IT-Umfeld (vielleicht Projekt-/oder Testmanagement) interessant sein (als Brotjob) und z. B. fürs Seelenheil/Selbstverwirklichung nebenher z.B. auf Honorarbasis VHS-Kurse geben, wenn Erwachsenenbildung das Richtige sein könnte.. Vielleicht dann auch bei Firmen bewerben, die IT-Projekte im Rahmen der Erwachsenenbildung haben bzw. sich genau in dem Bereich spezialisiert haben?! Die dort z.B. entsprechende Software/Lernplattformen entwickeln oder Ännliches. Letzteres wäre dann quasi das notwendige (Brotjob) mit dem Gewünschten (Spaß an Erwachsenenbildung) verbinden...
 
G

Gelöscht 120287

Gast
2 Ideen:

Könntest du noch einen Master als psychologischer Psychotherapeut drauf setzen (Anforderungen haben sich in letzter Zeit geändert)?

So,wie du deinen Typ beschreibst, wäre vielleicht Verhaltenstherapeut was für dich.

Vielleicht könntest du mit deinen Vorerfahrungen als Lehrer quereinsteigen und z. B Programmieren lehren?
 

LW84

Aktives Mitglied
Hallo @NorwegischerWaldkater ,

die Situation kommt mir irgendwie bekannt vor, allerdings in völlig anderer Konstellation. Da ich ebenfalls schon an einer großen Uni angestellt war, weiß ich um die "Freuden" des heutigen Wissenschaftsbetriebs. Das ständige Generieren von Output und die Jagd nach Fördergeldern und Drittmitteln ist an sich fraglich, aber leider Ausdruck der neoliberal verqueren Wissenschaftspolitik. Das ist allerdings ein anderes Thema, über das man lange und ausgiebig philosophieren könnte... Deine Arbeitsumgebung und die Entlohnung (vermutlich E13) wären zwar für viele durchaus ein Grund zur Freude. Andererseits verstehe ich dein Dilemma.

An sich stehst du mit deiner Qualifikation nicht wirklich schlecht da, das sollte dir bewusst sein. Dafür brauchst du auch kein Coaching und ähnliches. Ich würde mich an deiner Stelle im psychotherapeutischen Bereich fortbilden, wobei ich keine Ahnung habe, ob man als promovierter Psychologe nicht direkt ins Gesundheitswesen einsteigen kann. Eine andere Option wäre der öffentliche Dienst, also Behörden und Ministerien. Auch dort werden an diversen Stellen Psychologen eingestellt. Eventuell auch in der Studienberatung oder der psychologischen Beratung der Studierendenwerke. Oder, wie hier schon vorgeschlagen, der Quereinstieg in den Lehrerberuf. Das könnte deinen Wünschen und Vorstellungen durchaus entsprechen, während die berufliche Absicherung gegeben ist. Die Regeln und Vorgaben für den Quereinstieg sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, wie auch der Bedarf an Lehrkräften. Aber vielleicht wäre das eine oder mehrere Überlegungen wert.
 
Zuletzt bearbeitet:

Jobwechsler

Mitglied
Hallo,

ergänzend zu den anderen Antworten: Es gibt durchaus auch unbefristete Stellen im Mittelbau, wo man weniger forscht, als sich komplett auf die Lehre konzentriert. Leider gibt es die nicht oft, aber wenn dir Lehre Spass macht, kann man gezielt danach Ausschau halten.

Ansonsten kann man auch 2-3 Jahre Unternehmensberatung machen um dann den Direkteinstieg zu einem Kunden zu suchen.

Der Vorteil hier: Einige Unternehmensberater schauen mehr auf deine Titel (die lassen sich teuer verkaufen) als auf deine Berufserfahrung (du hast keine in der Wirtschaft). Dann hättest du den Einstieg in die Wirtschaft schon mal geschafft und mit Berufserfahrung ist vieles leichter.

Grüße
 
G

Gelöscht 118103

Gast
@NorwegischerWaldkater hast Du schon einmal daran gedacht, einfach den ganzen Berufszweig zu wechseln? Noch einmal ganz von vorne anzufangen und zwar in einem Beruf, der genau das beinhaltet, was Du Dir in Deinem Herzen ersehnst?

Man ist nie zu alt noch einmal von vorne zu beginnen. Ich kann das bestätigen, da ich aus diesem "Hamsterrad der Wissenschaft" ausgestiegen bin. Hätte ich schon viel eher machen sollen!
 
G

Gelöscht 119860

Gast
@NorwegischerWaldkater
Man ist nie zu alt noch einmal von vorne zu beginnen.
Das kann man aber doch nur, wenn man keinen Druck hat, jeden Monat ein bestimmtes Einkommen erzielen zu müssen und/oder örtlich flexibel ist und sich deshalb eben diese Freiheit rausnehmen kann. Für den sehr gut qualifizierten Fragesteller mag das zutreffen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass bei ihm z.B. familiere Verpflichtungen oder Job in der Nähe des festen Wohnsitzes eine Rolle spielen.
Ich denke, die meisten Menschen können sich das aus genannten Gründen eben nicht leisten. Da geht dann maximal noch "Fortbildung/Weiterbildung/Fernstudium" neben dem Job und den ganzen Verpflichtungen...
 

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