Ich sehe es schon so, dass ich die Corona-Problematik verinnerlicht habe.
In erster Linie geht es mir dabei natürlich um die alten Menschen, allerdings auch um meinen eigenen Schutz, da ich Asthma habe und somit zur Risikogruppe gehöre. Ich bin im Allgemeinen sehr anfällig für Atemwegsinfekte und habe mich schon einige Male angesteckt seit ich im Altenheim arbeite.
Ich habe bisher immer einen angemessenen Abstand zu den Bewohnern eingehalten und trage selbstverständlich permanent eine Atemschutzmaske. Seit ein paar Wochen sind wir sogar verpflichtet, trotz regelmäßiger Schnelltests eine FFP2-Maske zu tragen.
Die einzige Ausnahme war tatsächlich, als ich letzte Woche mit dem alten Herrn auf dem Friedhof war. Da haben wir beide die Masken abgelegt und eben auch so auf der Bank zusammen gesessen.
Ich gebe zu, dass das ein bisschen leichtsinnig von mir war.
Gestern habe ich geweint, aber heute habe ich Frieden damit geschlossen, dass er auf einen anderen Wohnbereich ziehen wird. Wie ich gestern schon geschrieben habe, ist das für uns beide nur zum Vorteil. Auch wenn meine Kollegin meinte, dass es für den alten Herrn schwierig wird, weil er dort von den Pflege-und Betreuungskräften evtl. nicht so verstanden wird wie von uns bezüglich der ständigen Fragen nach seiner Frau.
Auch wenn es mir schwer fällt das so zu sehen, aber er ist dement und wird mich schnell vergessen haben. So wird es für ihn kein Problem darstellen, sich an neue Bezugspersonen zu gewöhnen.
Heute war Weihnachtsfeier und ich wusste vorher schon, dass ich mich nicht zu ihm an den Tisch setzen konnte. Damit wäre ich wieder unangenehm aufgefallen.
Daher habe ich ihn vor Beginn der Feier in seinem Zimmer besucht. Er wollte mir wieder näher kommen, aber ich habe das ganz gut abgewehrt.
Bei Dienstschluss habe ich mich von ihm verabschiedet. Er hat mich gefragt, ob wir Weihnachten nicht noch mal spazieren gehen können. In dem Moment hat es mir schon sehr weh getan, denn wir werden nie wieder zusammen spazieren gehen. Doch es hätte nichts gebracht, zu versuchen, ihm das zu erklären. So antwortete ich nur, dass ich Weihnachten nicht im Dienst bin. Ich überspielte meine Traurigkeit und sagte, dass ich mir sein neues Zimmer auf jeden Fall mal ansehen werde.
Ich war sogar in der Lage, noch ein wenig mit ihm zu scherzen. Er meinte, er könne ja mal ganz überraschend bei mir zuhause vor der Tür stehen. Ich sagte daraufhin, das könne er machen, ich würde ihn bestimmt nicht draußen stehen lassen. Seine Antwort mit einem Augenzwinkern war, dass er nicht wisse, ob das gut wäre.
Als ich ging, begleitete er mich noch zur Zimmertür. Sein Mitbewohner fragte hämisch, ob er wieder mit mir flirten würde. Der alte Herr drückte mich ganz kurz und ich verabschiedete mich dann schnell.
Es war ein letztes Zusammensein...
Nein, ich bin ganz sicher, dass ich nicht wieder einen alten, dementen Mann benutzen werde, um meine Einsamkeit zu kompensieren. Wobei ich mein Verhalten dem alten Herrn gegenüber nicht als Benutzen sehe, weil ich ehrliche Gefühle für ihn habe. Ich habe ihn einfach lieb, und das ist mir seit dem Bewohner, der im Frühjahr letzten Jahres verstorben ist, nicht mehr passiert.
Ich wünsche euch ein frohes Weihnachtsfest und ein besseres Jahr 2021!