Anzeige(1)

  • Liebe Forenteilnehmer,

    Im Sinne einer respektvollen Forenkultur, werden die Moderatoren künftig noch stärker darauf achten, dass ein freundlicher Umgangston untereinander eingehalten wird. Unpassende Off-Topic Beiträge, Verunglimpfungen oder subtile bzw. direkte Provokationen und Unterstellungen oder abwertende Aussagen gegenüber Nutzern haben hier keinen Platz und werden nicht toleriert.

Wie schaffe ich es, meine Gefühle für einen alten Mann abzustellen?

A

Aljona

Gast
Danke für eure Meinungen.

Ich arbeite jetzt seit Anfang letzten Jahres in dem Job und hatte schon viel mit dementen Menschen zu tun.

Anfangs war es wirklich schwer, adäquat zu reagieren und mit bestimmten Situationen umzugehen.
In den ersten paar Monaten gab es einen Bewohner, der schon lange in seiner eigenen Welt lebte und sich wohl in seine Jugend zurückversetzt fühlte. Er hat mich jedes Mal umarmt und gedrückt, wenn ich ihn besucht habe und auch versucht, mich zu küssen. Ich habe mein Bestes gegeben, um ihn auf Abstand zu halten, aber das verstand er natürlich nicht und meinte, ich solle mich nicht so genieren. Ich habe vesucht, ihm klar zu machen, dass ich zum Personal gehöre, aber wie soll ein dementer Bewohner das auch verstehen?
Das wirklich Schlimme daran war, dass ich ausgerechnet bei ihm kurze Zeit später Sterbebegleitung machen musste. Auch wenn ich mich nicht zu ihm hingezogen fühlte wie jetzt bei dem alten Herrn, so habe ich ihn sehr gern gehabt und bin fast daran zerbrochen. An seinem Todestag habe ich den ganzen Abend geweint.

Es mag sich blöd anhören, aber ich befasse mich ja schon ständig mit dem Vertragsende im Januar. Es wird für mich ein Trost sein, nicht miterleben zu müssen, wenn der alte Herr sterben wird. Für mich wäre es unvorstellbar, an seinem Bett zu sitzen und seine Hand zu halten.
Der geistige Verfall, die beginnende Demenz bei ihm jetzt mitzuerleben ist schrecklich genug.

Ich habe für diesen Job eine Weiterbildung von zwei Monaten gemacht. Natürlich wurde im Unterricht auch die Validation, also das Reinversetzen in die Gefühlswelt des dementen Menschen und eine wertschätzende und wertfreie Haltung bezüglich seines Verhaltens behandelt.
Auch gab es in dem Job eine Fortbildung zum Thema "Herausforderndem Verhalten begegnen".

Ich würde es für mich so einschätzen, dass es mir meistens gelingt, adäquat mit den besonderen Verhaltensweisen von dementen Menschen und ihrer Gedankenwelt umzugehen. Vieles erreiche ich schon durch meine geduldige Art und meine beruhigende Stimme. Ich diskutiere auch nicht mit den Betroffenen, wenn sie nachhause wollen, weil die Kinder warten oder sie wissen wollen, wo sie ihren Führerschein und Ausweis für die Abreise abholen können.

Nur ist das jetzt mit dem alten Herrn eine besondere Situation. Wochenlang hat er geweint, wenn er angefangen hat, vom Tod seiner Frau und seines Sohnes zu sprechen. Erst vorletzte Woche sagte er, dass er ja mich habe, jetzt, wo er so allein sei.
Plötzlich aber glaubt er fest daran, dass seine Frau noch lebt.

Ich habe das Problem heute bei der Teambesprechung angesprochen. Meine Kollegin meinte, sie habe das auch schon bei ihm erlebt. Er sei aber noch in dem Stadium, indem man ihm durch zweimaligen Hinweis darauf, dass seine Frau verstorben ist, die Situation begreiflich machen kann.
Das müsste dann aber unter allen Beteiligten kommuniziert werden.
Heute saß der alte Herr ganz gelöst da und lächelte. Er sagte, er habe recht gehabt. Er habe die Präsenzkraft gefragt und die habe ihm bestätigt, dass seine Frau tatsächlich vor ein paar Tagen mit ihm zu Abend gegessen hat.
In dem Moment konnte ich ihm einfach nicht wehtun und habe gesagt, dass ich mich für ihn freue.

Gleichzeitig hat er mich gefragt, wann wir diese Woche zum Friedhof gehen. Ich habe ihm zugesagt, dass wir das am Wochenende machen. Wobei ich mich frage, wie er sich verhalten wird, wenn er dann realisieren muss, dass wir am Grab seiner Frau stehen. Im Moment denkt er vielleicht, dass "nur" sein Sohn dort beerdigt ist.
Was ist, wenn er dann weint und sich nicht beruhigen lässt?
Ehrlich gesagt graut mir davor!

Im Übrigen hat die Teambesprechung auch kein gutes Gefühl bei mir hinterlassen. Meine Kollegin begegnete mir ziemlich vorwurfsvoll, was die Betreuung von zwei bestimmten Bewohnern betrifft. Ihrer Meinung nach würde ich zum Teil zu viel erwarten und ich müsse mir auch mal anderes einfallen lassen, wenn ich sie mit bestimmten Aktivitäten nicht motivieren kann.

Dann noch die Panne am Computer... Klar, schlecht ist, dass jeder ihn benutzen kann und viele machen sich nicht die Mühe, sich auszuloggen bei Beendigung der Dokumentation. Ich melde mich sogar jedes Mal ab, wenn ich fertig bin. Ich hoffe, dass mir das nicht noch mal passiert. Meine Chefin war verständlicherweise nicht begeistert.

Vielleicht ist es wirklich so, dass ich manches zu persönlich nehme.
Ich bin ein Mensch, der jedes Wort, jedes Verhalten von vorn bis hinten durchanalysiert.

Heute habe ich den Dienstplan für Dezember gesehen und wieder kommt mir etwas seltsam vor.
Meine Chefin ist immer dankbar, wenn sich Mitarbeiter in die Feiertagsliste für Dienste eintragen, für die sie nicht vorgesehen waren.
Ich habe gesehen, dass ich Weihnachten an allen Tagen frei habe. Man könnte jetzt meinen, das müsste mich doch freuen. Mich aber macht das stutzig, weil gerade an Weihnachten möglichst viele Mitarbeiter gebraucht werden, auch wenn in diesem Jahr die große Weihnachtsfeier im Restaurant für alle Wohnbereiche ausfallen wird. Doch es wird ja sicherlich an Heiligabend und an einem der beiden Feiertage etwas im Wohnbereich stattfinden. Stattdessen werde ich nur an Silvester Dienst haben. Dafür hatte ich mich auch eingetragen.

Diese Tatsache gibt mir nun gleich das Gefühl, dass meine Chefin schon gar nicht mehr auf mich zählt.

Würdet ihr das auch so empfinden?

Ich bin total deprimiert und denke, die Dinge werden jetzt ihren Lauf nehmen. Ändern kann ich in der kurzen Zeit wohl nichts mehr daran.
 

-sofia-

Sehr aktives Mitglied
Warum fragst du deine Chefin nicht, ob dein Vertrag entfristet wird?
Das kann doch nicht so schwer sein.

So hast du wenigstens Klarheit und brauchst nicht mehr zu spekulieren, warum du an den Feiertagen nicht eingetragen bist.

Hast du schon einen Plan B, falls du nicht übernommen wirst?

Nach allem was du hier geschrieben hast, glaube ich kaum, dass du für den Job geeignet bist.

Demente alte Männer, können nicht deine Lücken im privaten Bereich füllen.
 
A

Aljona

Gast
Hallo ihr,

vielleicht ist es wirklich so, dass ich für die Arbeit mit kranken und dementen Menschen nicht geeignet bin.
In meiner Weiterbildung zur Betreuungskraft hat mir eine Dozentin schon gesagt, dass sie mich eher nicht in dem Job sieht. Damals habe ich das noch als Frechheit empfunden, denn sie stand hingegen voll hinter einer Kursteilnehmerin, die extrem mit ihrer respektlosen und etwas vulgären Art auffiel. Sie hatte schon mit behinderten Menschen gearbeitet, die sie als "Mongos" bezeichnete.

Fakt ist jedenfalls, dass ich keine Grenzen setzen kann, wenn jemand sie immer wieder überschreitet, weil er keinen Respekt vor mir hat. Genauso ist es ein Problem, dass ich mich eben schlecht von Menschen distanzieren kann, die ich sehr ins Herz geschlossen habe.

Was mir auch absolut nicht gut tut - da habt ihr vollkommen recht - ist, dass ich in meiner Freizeit nicht abschalten kann. Ich nehme zu viel mit nach Hause und komme nie richtig zur Ruhe.

Ja, und schwierig ist auch, dass ich manchmal überfordert bin, adäquat mich Menschen umzugehen, bei denen ich von ihrer Demenz überrascht bin. Anders ist es bei Bewohnern, die ich schon so kennengelernt und über einen längeren Zeitraum in diesem Zustand erlebt habe. Da hatte ich mehr Zeit, mich auf sie einzustellen bzw. hatte schon Tipps von Kolleginnen bekommen.

Gestern bin ich in eine sehr unangenehme Situation mit dem alten Herrn gekommen.
Als ich zum Dienst kam, saß er im Aufenthaltsraum und wartete wieder verzweifelt auf seine Frau. Seiner Meinung nach müsse es ihr schlecht gehen, sonst würde sie doch zu ihm kommen.
Daraufhin bat ich ihn, zusammen in sein Zimmer zu gehen, weil ich kurz mit ihm allein sprechen wollte. Da habe ich ihm dann sehr vorsichtig gesagt, dass seine Frau doch verstorben ist - auch im Hinblick auf den anstehenden Friedhofsbesuch. Er hat mich entsetzt angeguckt und angefangen zu weinen. Ich habe mich nicht getraut, ihn anzufassen, um ihn zu beruhigen. Ich spürte, dass er mir böse war und fühlte mich total schlecht dabei. Den Ratschlag, den mir die Kollegin am Vortag gegeben hatte, war wohl nicht so gut.

Als er beim Kaffee saß, habe ich ihm ein zweites Stück Kuchen angeboten, doch er lehnte ziemlich aggressiv ab.
Abends hatte er das zu meiner Erleichterung aber wieder vergessen. Er sagte, er hoffe, seine Frau würde ihn nicht blamieren. Nicht, dass es Gerede gebe, dass sie verkracht sind. Sie habe tatsächlich vor ein paar Tagen mit ihm zu Abend gegessen. Auch der Azubi habe das bestätigt.
Er war wieder ganz in seiner Welt.

Heute habe ich mit einer Gruppe gekegelt, und die Stimmung war lustig und ausgelassen.
Auch mit dem alten Herrn war alles wieder in Ordnung. Er benötigte ein paar Kleinigkeiten, die er nicht am Kioskwagen kaufen kann und ich habe ihm angeboten, sie für ihn zu besorgen. Ich finde es süß, wenn er beim Abschied sagt: "Bis morgen, und verlauf dich nicht". Ich habe ihm beim ersten Mal scherzhaft geantwortet, dass das passieren könnte, da ich meinen Kompass nicht dabei habe.

So hätte ich heute mit einem guten Gefühl nach Hause gehen können, aber dem war leider nicht so.
Eine Kollegin wollte wissen, ob ich auch eine Nachricht im Fach hatte, dass ich mir eine "Nurse-App" auf mein Handy laden soll. Ich hatte kurz vorher schon eine andere Betreuungskraft mit unserer Chefin sprechen hören, dass sie das ungern auf ihrem Privathandy mache. Also ging es da wohl auch um diese App.
Ich hatte keine Benachrichtigung im Fach. Was für mich bedeutet, dass die App, auf der man Fortbildungsangebote nachgucken kann, für mich nicht mehr relevant sein wird.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Chefin mich einfach vergessen hat.

Oder wie würdet ihr das empfinden?

Ich weiß, ich werde mich im neuen Jahr neu orientieren müssen.
Nur glaube ich nicht, dass Einkaufs-oder Haushaltshilfe das Richtige für mich wäre.
Bevor ich diesen Job angetreten habe, habe ich bei zwei mobilen Hilfsdiensten Probe gearbeitet. Man wird da überwiegend als Reinigungskraft eingesetzt, und die Haushalte sind teilweise eine echte Zumutung. Ich möchte damit aber nicht in erster Linie sagen, dass ich mir für solche Tätigkeiten zu fein bin, sondern ich würde das körperlich nicht schaffen.

Mit Erwachsenenbildung habe ich mich noch gar nicht befasst. Mir fällt jetzt leider nichts ein, was ich in dem Bereich machen könnte. Außerdem besteht ja weiterhin das Problem, dass ich nicht gerade eine Respektperson bin. Da hätte ich wahrscheinlich nicht das nötige Selbstvertrauen und hätte immer die Befürchtung, dass ich den Menschen dort intellektuell unterlegen wäre.

Trotzdem glaube ich, dass mein aktueller Job mir zumindest in dieser Hinsicht etwas gebracht hat. Ich habe gelernt, aufgeschlossener und selbstsicherer auf Menschen zuzugehen.

Nur begleitet mich jetzt Tag für Tag eine große Traurigkeit, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dort naht.

Ich habe mich Ende Oktober, also drei Monate vor Ablauf des befristeten Vertrages, bei der Arbeitsagentur arbeitsuchend gemeldet.
 

weidebirke

Urgestein
Ich empfehle Dir die Kurzfilmreihe zur Validation mit Nicole Richards https://www.youtube.com/watch?v=BtLu1ikbvEQ (es sind acht Folgen). Ihr habt im Kurs doch bestimmt über Validation gesprochen. Dabei geht es darum, den dementen Menschen "in seiner Welt zu besuchen", ihn eben nicht versuchen zu korrigieren, wenn er falsch liegt.

Allerdings ihn auch nicht belügen, sondern seine Gefühle anzunehmen und zu bestätigen. Wenn er also davon spricht, dass er Sorge habe, die Leute könnten reden, weil seine Frau ihn nicht besuchen komme, mit ihm über seine Sorge um seinen Ruf sprechen, was der Ruf für ihn bedeute usw.

Ich halte nichts davon, mit ihm zum Friedhof zu gehen. Wozu? Und für wen? Vielleicht, wenn er es gerade präsent hat, dass seine Frau tot ist und er es möchte und es gerade passt.

Sonst macht doch einfach so einen Spaziergang.
 
A

Aljona

Gast
Ich danke vor allem dir, weidebirke, für die hilfreiche Antwort und den Link!
Ich werde mir die Kurzfilmreihe auf jeden Fall ansehen. Sie kann mir bestimmt weiterhelfen, in Zukunft besser auf demente Menschen eingehen zu können.

Denn heute war es wirklich schlimm. Mir tut es weh, mit ansehen zu müssen, wie sehr der alte Herr leidet.
Die Mitarbeiterin vom Büro des sozialen Dienstes riet mir davon ab, mit ihm zum Friedhof zu gehen. Sie sagte mir, dass er völlig verwirrt sei und am Morgen bei ihr gewesen sei und nach seiner Frau gefragt habe.

Als ich in den Wohnbereich kam, sah ich ihn schon verzweifelt im Aufenthaltsraum sitzen. Er jammerte, dass er auch heute seine Frau noch nicht gesehen habe und sich das Ganze nicht erklären könne. Er glaubte, es fand heute eine Fahrt statt und sie sei einfach mitgefahren, ohne ihm Bescheid zu geben.
Ich war wieder hilflos und sagte, dass ich von einer Fahrt nichts gehört habe. Seine Frau würde sich aber ganz bestimmt bei ihm melden, wenn sie wieder im Haus ist.

Dann konnte ich ihn kurze Zeit ablenken, weil ich ihm gestern ein paar Dinge besorgt habe. Doch es dauerte nicht lange und er war mit seinen Gedanken wieder woanders. Er fragte, ob wir heute zum Friedhof gehen. Ich antwortete, dass wir das besser auf nächste Woche verschieben, weil es im Moment so kalt ist. Das sah er ein. Ich hatte aber das Gefühl, dass er froh war, als ich das Zimmer verließ.

Später las ich im Computer, dass eine Pflegekraft geschrieben hat, dass sie ihm klar gemacht habe, dass seine Frau tot ist.
Was soll er denn da noch glauben?
Er kam dann auch wieder ganz panisch ins Dienstzimmer und fragte wieder nach mit den Worten "Womit habe ich das verdient". Ich habe ihn wieder rausgelotst und ihm gesagt, er solle bitte die Kollegin fragen. Die wiederholte, dass seine Frau schon längere Zeit tot und nun auf dem Friedhof sei. Er konnte es nicht fassen und fing an zu weinen.
Es war für mich schrecklich, sein Leid ansehen zu müssen, weil ich ihn doch so mag!

Ich werde jetzt auch abwarten, in welcher Verfassung er nächste Woche ist. Wenn er einen Tag hat, wo er den Tod seiner Frau gerade präsent hat, kann man noch mal über einen Friedhofbesuch nachdenken.

Hinzu kam, dass meine Chefin mich dieses Wochenende für die Sterbebegleitung einer mir unbekannten Bewohnerin eingeteilt hat.
Als ich ins Zimmer kam, schlief die Bewohnerin. Bei Ansprache wurde sie wach und griff nach meiner Hand. Dann machte ich wohl den Fehler, ihr kurz über den Arm zu streicheln. Sie guckte mich total erschrocken an und wollte wissen, was ich von ihr wolle. Ich habe beruhigend mit ihr gesprochen und war froh, als sie wieder eingeschlafen war.
Ich finde, es ist eine schwierige Aufgabe, bei einem völlig fremden Menschen Sterbebegleitung zu machen. Die Bewohnerin war ja noch bei Bewusstsein und hatte sicher Angst vor mir.

Hinzu kam noch die Information, dass die Tochter einer Bewohnerin in "meinem" Wohnbereich positiv auf Corona getestet worden ist. Sie war vor ein paar Tagen noch im Haus. Die alte Dame darf jetzt natürlich ihr Zimmer nicht verlassen. Es ist ausgerechnet eine Bewohnerin, die ich diese Woche zum Gottesdienst begleitet habe und die - kaum, dass sie an ihrem Platz saß - ihre FPP2-Maske ablegte. Als ich sie aufforderte, die Maske wieder anzuziehen, weigerte sie sich.

An solchen Tagen wie heute bin ich echt deprimiert, wenn ich vom Dienst komme.
Trotzdem sage ich mir auch jetzt noch nicht, dass ich besser in einem anderen Job mein Glück versuchen sollte.
 
A

Aljona

Gast
Hallo Berdine,

es ist so vorgesehen, dass man versuchen soll, sterbende Menschen mitttels Ansprache und Initialberührungen zu erreichen. Das war in dem Fall wohl nicht angebracht. Wie ich schon geschrieben habe, finde ich es schwierig, bei fremden Menschen Sterbebegleitung zu machen.
Gestern ist mir das zum Glück erspart geblieben. Ich ging zweimal zum Zimmer der alten Dame, hörte aber durch die Tür Stimmen. Wenn Angehörige zu Besuch sind, möchte ich nicht stören.

Ich habe gestern auch noch mal mit der Kollegin gesprochen, die im Büro des sozialen Dienstes arbeitet.
Sie sagte, wir sollten alle versuchen, dem alten Herrn klarzumachen, dass seine Frau verstorben ist. Vielleicht würde er es dann wieder realisieren, so wie er das bis vor kurzem ja auch noch getan hat.
Ich habe aber den Eindruck, dass es nichts bringt und er sich weiterhin quälen wird.

Als ich in den Aufenthaltsraum kam, sah ich ihm schon an, dass er wieder völlig verwirrt war.
Er gab mir ein Blatt zu lesen, auf dem er seine Gefühle bezüglich des Verlusts seiner Frau aufgeschrieben hatte. Er schrieb von großer Traurigkeit und Enttäuschung, weil er nicht verstehen könne, warum sie ihn nach über 60 gemeinsamen glücklichen Jahren verlassen hat. Ich war total gerührt und habe noch einmal versucht, ihm in seinem Zimmer klarzumachen, dass seine Frau verstorben ist und ihn nicht verlassen hat. Er sagte, er wisse doch, dass sie tot sei, aber er habe sie vor einigen Tagen noch gesehen.

Da er mir so leid tut, hoffe ich nun auch, meine Gefühle für ihn abstellen zu können. Ich mache mir klar, dass er er nicht nur sehr alt ist, sondern inzwischen auch seine Demenz weit fortgeschritten zu sein scheint.
So kann ich auch damit umgehen, dass er für mich rein väterliche Gefühle hat. In der Hinsicht ist er wohl noch der liebevolle und fürsorgliche Mensch, der er immer war.

Er sagte mir gestern, dass es ihm leid tue, dass ich allein lebe. Zu zweit sei es doch schöner.
Lieb fand ich, als er meinte, er würde mich am liebsten nach Hause bringen. Er mache sich Sorgen, dass ich als Frau abends noch im Dunkeln unterwegs sei. Ja, und süß fand ich auch, wie er sich freute, als ich ihn einmal versehentlich duzte.

Ich bin im Moment hin-und hergerissen.
Einerseits möchte ich in diesem Job bleiben. Andererseits mag ich gar nicht daran denken, dass ich dann den Tod vieler Bewohner, die ich so ins Herz geschlossen habe, miterleben müsste.

Ich hatte mir fest vorgenommen, diese Woche das Gespräch mit meiner Chefin zu suchen.
Doch leider muss das nun verschoben werden, da sie bis nächste Woche Urlaub hat.
 
S

SchwesterS.

Gast
Liebe Aljona,
ich möchte Dir kurz meine Gedanken zum Thema schreiben. Nicht zu allem, aber beim Lesen des Threads ging mir das ein und andere durch den Kopf.

Ich bin seit 20 Jahren Pflegefachkraft auf einer "beschützenden Station". Das heißt, hier leben 20 demente Bewohner. Nach all den Jahren hier, kann ich sagen, dass ich meinen Beruf liebe. Sonst macht man das nicht so viele Jahre.

Ich finde, es ist eine Mischung aus Empathie, Verständnis, Mitgefühl, Liebe zu Menschen (hier kann man sicher noch vieles erweitern) aber auch dringend Distanz nötig, um in diesem Beruf (sei es nun in der Pflege oder in der Betreuung) glücklich zu werden. man muss dringend "abschalten können".

Was ich jetzt schreibe, klingt sicher "hart", aber:

Ich bin 8 Stunden am Tag Pflegekraft, was davor / danach passiert muss mich interessieren, aber darf mich nicht verfolgen. Auch ich überlege hin und wieder nach einem Dienst ein "was wäre, wenn". Aber glaub mir, Distanz ist wichtig. Die Arbeit darf Dich nicht nach Hause verfolgen.

Du schreibst "the Show must go on". Ja, es ist so. Ein Heim / ein Krankenhaus muss funktionieren. Ich weiß selbst, es ist schwer. Aber es ist nun mal so. Bewohner sterben, neue ziehen ein...
Haltet mich für, hmmm - ich weiß kein Wort dafür? Kalt? Ja, nennen wirs mal so. Aber genau so ist es...
Auch ich bin oft traurig, wenn Bewohner versterben, die manchmal über Jahre bei mir waren. Aber das ist der Lauf des Lebens.

Und ja, Diskussionen mit Dementen führen zu nichts. Validation ist hier das Richtige. Aber darauf wurde ja schon mal hingewiesen.

Ich würde sagen, ich bin eine gute Pflegekraft. Wir lachen hier, machen Spässe, ich halte Hände, ich nehme Abschied, ich rede, ich gebe Acht... Aber es ist mein Job - nicht mein ganzes Leben.

Viele Grüße!
 
L

Lohntsich

Gast
Ging mir auch so in der Arbeit mit Menschen.
War im Kopf 24 Stunden in der Firma, das hat bis zum Zusammenbruch geführt.
Konnte auch niemand leiden sehen, das war kein Mitleid, ich habe das Mitgefühlt und mit nach Hause genommen.
Verantwortlich gefühlt, wollte die Welt und Menschen retten.
Nur vor was?
Nach der Reha nun umgeschult , zum Haustechniker, arbeite nur 4 Stunden mit anerkannter Erwerbsminderung Rente zum Ausgleich.
Ging hierüber:
DRV - Reha - Berufliche Rehabilitation (deutsche-rentenversicherung.de)
 
A

Aljona

Gast
Vielen Dank für die weiteren Antworten.
Ich bin wirklich dankbar, dass sich User hier noch immer mit meiner Problematik auseinandersetzen!
Als ich den Thread reingesetzt habe, hatte ich anfangs echt Angst, dass mich einige von euch für verrückt erklären könnten.

Ich danke auch SchwesterS. und Enjoy97 für die hilfreichen Beiträge.
Dabei hat mich eine Sache sehr zum Nachdenken angeregt. Wenn meine Grübeleien sich ständig um meine Konzentrationsschwächen und mein teilweise unpraktisches Handeln kreisten, habe ich etwas Wichtiges außer acht gelassen.
Vielleicht bin ich tatsächlich ungeeignet für diesen Job, weil ich zuhause nicht abschalten kann und mich die Probleme am Arbeitsplatz eigentlich rund um die Uhr beschäftigen und belasten. Ich versuche mich mit Lesen oder Fernsehen abzulenken, doch das gelingt mir schlecht. Abends im Bett kann ich erst spät einschlafen, weil ich die Gedankenspirale nicht abstellen kann. So bin ich oft wie gerädert, was möglicherweise auch zu meinen zahlreichen Patzern beiträgt.

Ich habe versucht, im Laufe der Zeit emotionale Distanz zu den hilfsbedürftigen Menschen aufzubauen und nicht zu sehr mitzuleiden. Ich hatte Phasen, wo mir das besser gelang. Doch mein Eindruck ist, dass seit mir eine Kollegin gesagt hat, dass die Entfristung bei einer weiteren Mitarbeiterin auf der Kippe steht, sich das wieder verschlechtert hat. Vielleicht, weil meine ganze Energie für den Druck, den ich mir seit August selbst gemacht habe, draufging.
Ich bemerke ja auch, dass meine Kolleginnen in der Hinsicht viel weiter sind als ich.

@ Lohntsich

Ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwann zu einem Zusammenbruch führen kann, wenn man rund um die Uhr gedanklich mit dem Job beschäftigt ist.
Wie zermürbend das sein kann, erfahre ich selbst gerade am eigenen Leib. Ich habe es oft verdrängt, aber Kolleginnen haben mich schon desöfteren darauf angesprochen, dass ich angeschlagen aussehe. Ich habe dann immer geantwortet, dass das nicht so schlimm sei und ich nur gerade ein paar gesundheitliche Probleme habe.

Es freut mich, dass du für dich einen Weg gefunden hast, der hoffentlich zufriedenstellend für dich ist.

@ Berdine

Was die Sterbebegleitung betrifft, so empfinde ich das als schwierig.
Man bekommt etwas Allgemeines an die Hand, wie man vorgehen sollte. Doch kann das stark variieren. Der Eine möchte vielleicht Körperkontakt, beruhigende Musik, etc. in der Finalphase, der Andere möchte lieber seine Ruhe haben.
Es wäre gut gewesen, wenn mich eine Mitarbeiterin begleitet und mir ein paar Informationen über die betreffende Bewohnerin gegeben hätte. Doch niemand hatte Zeit.
Man ist dort eigentlich immer komplett auf sich allein gestellt.

Einmal wurde ich in einen Wohnbereich geschickt, um eine Bewohnerin zu trösten, deren Sohn am Vortag verstorben war. Damit war ich auch ein wenig überfordert, weil ich die alte Dame überhaupt nicht kannte und nicht so recht wusste, wie ich ihr gegenübertreten sollte, ob sie Körperkontakt als tröstlich empfinden würde, etc. Ich hatte da auch leider sehr den Eindruck, dass sie sich vor einer fremden Person nicht "gehen lassen" wollte und sehr gefasst wirkte, was sie aber laut einer Kollegin gar nicht war.

Was mich eben auch sehr mitnimmt, ist der extreme geistige Verfall des alten Herrn innerhalb so kurzer Zeit!
Ja, ich gebe zu, ich habe mich immer darauf gefreut, mich mit ihm zu unterhalten, mit ihm zusammenzusein. Doch jetzt finde ich es schlimm und er tut mir nur noch leid.

Heute erzählte er jedem, er sei am Morgen auf dem Friedhof gewesen. Ich dachte, er bringt etwas durcheinander. Er war aber wirklich mit meiner Kollegin auf dem Friedhof. Was ich seltsam fand, denn ich bin für seine Betreuung zuständig und am Wochenende sollte ich wegen seines verwirrten Zustands nicht mit ihm gehen.

Denn er ist noch genauso verwirrt. Er war total orientierungslos und wollte von mir wissen, auf welcher Etage er seine Frau finden könne. Er habe sie nach dem Mittagessen gesehen und sie sei jetzt schon wieder verschwunden.
Ich dachte, vielleicht kann ich ihm helfen, sich doch noch mal zu erinnern. Ich sagte ihm, dass er heute Morgen mit der Kollegin auf dem Friedhof war, aber er hatte er schon wieder vergessen, dass er am Grab seiner Frau war.
Er überlegte nun, wie er sich an seiner Frau rächen könne und bestand darauf, mich nach Hause zu begleiten. Ich antwortete ihm, dass das nicht gehe, dass es kalt sei und er es sich lieber im Zimmer gemütlich machen solle. Er meinte, ich könne doch noch bleiben und mit ihm zusammen fernsehen. Er würde mir auch ein Taxi bezahlen. Als ich ging, war er sehr enttäuscht.

Mittlerweile mache ich mir auch Sorgen um den Mitbewohner in seinem Zimmer. Der Mann ist provokant wegen seiner leichten geistigen Behinderung, aber im Grunde harmlos.
Heute schrie der alte Herr ihn an, und als wir aus dem Zimmer raus waren, äußerte er, er würde ihm mal so richtig in die Fre..e hauen.
Ich habe das an die Pflegekraft weitergegeben.

Auch wurde ich komischerweise zum dritten Mal von einer Kollegin gefragt, ob ich mir auch die App für Fortbildungen auf mein Handy laden soll. Sie fand es eigenartig, als ich sagte, dass ich keine Benachrichtigung darüber bekommen habe. Ich stellte dann die Vermutung an, dass die App nur Fachkräfte betrifft (ich laufe immer noch unter "Nichtfachkraft"), doch die Kollegin sagte, dass auch eine andere Nichtfachkraft die Benachrichtigung von der Chefin in ihrem Fach hatte.

Klar, könnte ich deswegen schon wieder weinen, aber vielleicht sollte ich mich jetzt mehr auf einen Jobwechsel einstellen.
 

Anzeige (6)

Autor Ähnliche Themen Forum Antworten Datum
S Wie schaffe ich es emotionalen Abstand zu gewinnen? Liebe 74
C Kennenlernphase - Wie damit umgehen? Liebe 36
1995M Wie deute ich ihr Verhalten? Dating Liebe 81

Ähnliche Themen

Thema gelesen (Total: 257) Details

Anzeige (6)

Anzeige(8)

Regeln Hilfe Benutzer

Du bist keinem Raum beigetreten.

    Anzeige (2)

    Oben