"Darf"? Man wird doch gar nicht gefragt, man hat gar keine Wahl!
Meine Frau starb vor 7 Jahren, im Alter von 54 Jahren. Ich habe in der Zeit kein Lebensglück wiedergefunden, bin inzwischen 61 und bekomme allmählich den Eindruck, daß ich mein Leben in Einsamkeit weiterführen werde: Denn nicht nur meine Frau ist verstorben, sondern zugleich sämtliche mir mental nahestehende Verwandtschaft sowie alle Freunde, mit denen mich tiefer Interessen verbanden. Bis zur Erkrankung meiner Frau (im Jahr 2003 diagnostiziert) war mein Leben prall gefüllt. Seitdem erlebe ich ausschließlich Verluste. Eine Chance, mich aus der Trauer hinauszuentwickeln, bestand für mich meinem Empfinden nicht: Sobald ich mir einbildete, es tue sich etwas, kam der nächste k.o.-Schlag. Zwei Frauen haben sich nach dem Tod meiner Frau für mich interessiert, die eine aber nur aus sexuellen Gründen, und die andere suchte einen Versorger für sich (verlassen) und ihren Sohn mit Down-Syndrom. Vielleicht ist es zu hart, es so zu formulieren, vielleicht war da von ihrer Seite aus tatsächlich mehr, aber jedenfalls war ich definitiv nicht frei genug, mich auf sie einzulassen; sie kam viel zu früh nach meinem Verlust. Ich versuche aber inzwischen zum wiederholten Mal, mich freizuschaufeln. Zu meinem Entsetzen gelingt es mir aber einfach nicht, mich in eine Frau zu verlieben. Ich kann nicht auf eine Frau zugehen, ohne Anziehung zu verspüren. Vielleicht hat mich meine Ehe diesem allen entwöhnt. Für wahrscheinlicher halte ich es aber, daß mich trotz der vergangenen 7 Jahre immer noch die Trauer fest im Griff hält. Denn solange ich die Ehe mit meiner verstorbenen Frau nicht innerlich abschließen kann, bin ich für eine andere Anziehung offenbar nicht frei. Auch habe ich schon gedacht, daß es eine Bestimmung für mich geben könnte, allein bleiben zu müssen. Jedenfalls ist mir von meiner Gefühlslage aus vollständlich unverständlich, wie andere - sogar der hochbetagte Helmut Schmidt jetzt - innerhalb kurzer Zeit eine neue Partnerschaft eingehen können.
Eine einzige Frau hat bei mir echte Gefühle von Zuneigung erweckt, eine Freundin von früher, die sich plötzlich gemeldet hat. Sie ahnte wahrscheinlich, daß sie mich würde "anwärmen" können. Kaum war ich auf dem Wege, mich zu entflammen, da ließ sie mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Ich bin inzwischen sicher, daß ich für sie die Rolle einer Spielkarte spielte: Um einem anderen Partner wieder mehr wert zu sein, demonstrierte sie ihm, welche Chancen sie bei einem anderen hatte. Dieses Erleben reiht sich wunderbar als k.o.-Schlag in die Verlust-Erlebnisse der letzten Jahre ein - zumal es wirklich das einzige Mal war, daß ich so etwas spürte wie vor 40 Jahren...
Trauer blockiert, das scheint mir deutlich zu sein. Eben daran, daß ich keine neue Bindung eingehen kann, erkenne ich, daß ich immer noch im Trauer-Zustand bin, trotz aller Befreiungsversuche. So habe ich auch den Startsatz dieses Beitrags gemeint.
Dann die Sachen, auf die man nie eine Antwort bekommt: Was soll es eigentlich für einen Sinn haben, allein weiterzumachen? Solange meine Frau da war, kam diese Frage gar nicht auf. Alles hatte Sinn: Einkaufen, Fernsehen, Urlaub planen, Wagen waschen - einfach alles. Und jetzt: Nichts. Die Frage "Was soll das alles?" stellt sich seit 7 Jahren ununterbrochen, davor aber eigentlich nie... Auch hätte ich früher nie verstehen können, daß diese Frage derart an einem nagen könnte.
Ich weiß nicht, ob alle diese Veränderungen Reifungen bedeuten. Was ich nur sagen kann ist, daß das allgemeine Lebensgefühl dabei von Sarkasmus (s. z.T. oben) und Kälte durchdrungen wird. Die Außenwelt (Beruf, Hobbies, Nachbarschaft) sieht den freundlichen Herrn, der erfolgreich in seinem Beruf ist und sich längst gefangen hat. Man attestiert mir sogar alten Schwung. Herzlichen Glückwunsch.
So sieht Trauer bei mir nach 7 Jahren aus.