Mit dem Wiederbeleben eingeschlafener Freundschaften, das in oberschlauen Lebenshilferatgebern so oft empfohlen wird, habe ich persönlich schlechte Erfahrungen gemacht. Das zieht sich gequält dahin, wenn die Lebensumstände nicht zueinander passen und die Leute andere Vorstellungen haben.
Eine ehemalige Schulfreundin (verheiratet, kinderlos) wohnt, wie der Zufall es will, nur 25 km und maximal 25 Minuten Fahrzeit mit dem Auto von mir entfernt. Sie arbeitet sogar in derselben Stadt wie ich. Wir hatten vom 2. Schuljahr an bis zur 10. Klasse des Gymnasiums engen freundschaftlichen Kontakt, der auch in der Oberstufenzeit noch bestand, wenn auch aufgrund unterschiedlicher Kurse etwas distanzierter wurde. Auch die Elternpaare kannten und besuchten sich sogar hin und wieder. Mein Vater und der Vater dieser Schulfreundin waren mehrere Jahre zusammen im Pfarrgemeinderat.
Dennoch hat sich die Freundschaft - wenn es denn wirklich jemals eine war - nach 15-jähriger Pause (bedingt u.a. durch verschiedene Studienorte und Studiengänge) nicht wiederbeleben lassen. Der Wiederbelebungsversuch wurde anlässlich ihrer Hochzeit vor 20 Jahren gestartet. Damals waren wir beide 39 Jahre alt. Kontakt hatte allerdings auch nicht sie, sondern ihr Vater zu mir aufgenommen.
Treffen kamen danach innerhalb eines Zeitraums von mehreren Jahren nur höchst selten zustande. Es gab auch keine regelmäßigen Anrufe oder dergleichen. Auch keine Urlaubsgrüße, nachdem ich ein- oder zweimal eine Ansichtskarte aus dem Urlaub geschrieben hatte.
Auf einem Abijubiläumstreffen vor 15 Jahren verhielt sich meine ehemalige Freundin mir gegenüber vor den anderen sogar so distanziert, als ob wir uns kaum kennen würden. Sie ignorierte mich stundenlang zugunsten anderer Personen und gesellte sich erst am späten Abend zu der Gruppe, in der ich gerade stand, als die ersten sich schon wieder auf den Heimweg machten. Dabei hatte ich die Einladung zu dem Abitreffen an sie weitergeleitet. Bezeichnenderweise hatte sie mir noch nicht mal eine Antwort geschickt, mich also im Unklaren gelassen, ob sie die Nachricht erhalten hatte und ob sie teilnehmen würde.
Angesichts ihres Verhaltens bei diesem Abijubiläumstreffen wäre garantiert niemand der Anwesenden auf die Idee gekommen, dass ich ein halbes Jahr vorher noch bei ihr und ihrem Mann eingeladen gewesen war (allerdings auch als einziger Gast). Nach meinem Empfinden hatten wir uns damals gut und angeregt über Gott und die Welt unterhalten.
Das sind enttäuschende Erlebnisse, die ich nicht vergesse. Der Kontakt ist seit einigen Jahren wieder komplett eingeschlafen. Ich werde auch keine weiteren Wiederbelebungsversuche mehr unternehmen. Sie hatte schnell heraus, dass ich außer meinem Partner kaum private Kontakte hatte, jedenfalls nicht zu einflussreichen Menschen. Daher war ich uninteressant für sie. Es nützte mir auch nichts, dass ich mich mit meinem beruflichen Werdegang - Juristin im höheren Dienst bei einer nicht unbedeutenden Verwaltungsbehörde - nicht zu verstecken brauche.
Meinem (im Mai 2022 verstorbenen) Partner, mit dem ich immerhin seit 2011 zusammen war, war es leider nie gelungen, beruflich richtig Fuß zu fassen. Er hatte aber ein Studium sowie zwei weitere - ganz andere - Berufsausbildungen erfolgreich abgeschlossen und war überdurchschnittlich gebildet. Wahrscheinlich war er schon lange (unerkannt) krank. Zum Arzt ging er ja leider nicht, sonst würde er wahrscheinlich jetzt noch leben. Ungeachtet all dieser Probleme hatte er einen guten und anständigen Charakter.
Meine ehemalige (vermeintliche) Schulfreundin wollte meinen Partner aber offenbar erst gar nicht kennen lernen. Dass er beruflich nicht erfolgreich war, reichte ihr offenbar schon, um nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Er wurde nie mit eingeladen. Sie hat auch nie von sich aus nach ihm gefragt. Ich habe dann später auch Einladungen zu ihrer Geburtstagsfeier (außer mir meist ausschließlich Familienmitglieder) ausgeschlagen und nahm mir dann bewusst etwas anderes vor. Diese Einladungen kamen sehr häufig erst einen Tag vorher!
Sie verkehrt vorzugsweise in Kreisen, die ich als abgehoben empfinde (u.a. beruflich erfolgreiche und gesellschaftlich angesehene Verwandte von prominenten Spitzenpolitikern sowie "Verbindungsbrüder" aus der sehr konservativen Studentenverbindung ihres Mannes). Ein Verwandter ihrer Familie war mal Landesminister und später Landtagspräsident. In diese Kreise passte ich nach ihrer Einschätzung wahrscheinlich nicht. Ich habe diese Leute auch nie persönlich kennen lernt. Denn bezeichnenderweise war ich nie gleichzeitig mit ihnen eingeladen. So etwas ist keine Freundschaft, sondern Berechnung, Überheblichkeit und Dünkelhaftigkeit.
Ich könnte mich über mich selbst schwarz ärgern, dass ich überhaupt zur Schulzeit und bis in die ersten Studienjahre hinein mit ihr befreundet war bzw. befreundet sein wollte und mich später nach jahrelanger Funkstille im Alter von 39 Jahren noch auf diesen Wiederbelebungsversuch eingelassen habe. Für Letzteren war allerdings ein von ihrem Vater verursachtes Missverständnis anlässlich ihrer relativ späten Heirat ursächlich. So gesehen, habe nicht ich, sondern er die Initiative ergriffen, offenbar über den Kopf seiner Tochter hinweg. Ich trauere ihr auch in keiner Weise mehr nach. Ich vergebe meine Sympathien nicht nach sozialer Herkunft, Wohlstand, Ansehen und gesellschaftlicher Position. Für mich sind der Charakter und ein gewisses Bildungsniveau sowie gemeinsame Interessen ausschlaggebend dafür, ob ich mich mit jemandem anfreunden möchte. Aber wenn es um das Thema Freundschaften oder die Wiederbelebung alter Freundschaften geht, fällt mir diese Episode meines Lebens unweigerlich wieder ein.