Warum ist das eine Missbrauch und das andere nicht?

Uri meinte:

Hallo Finnik,

hier würde mich sehr interessieren, ob in feministischen Kreisen tatsächlich der Missbrauch an Männern/Jungen, hier an Herrn Grey erörtert wurde (es geht im obigen Beispiel nicht um den Missbrauch an der Frau bezüglich S/M etc.).
Sehr gerne mit einer Quelle. Das wäre interessant, weil ich nichts gefunden hatte.

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Ich erinnere mich auf jeden Fall, Erörterungen diesbezüglich gelesen zu haben. Es ging konkret darum, dass der Typ wohl minderjährig war, und von seiner Stiefmutter (?) "verführt" wurde, was aufgrund des massiven Altersunterschied und dem Machtgefüge absolut inakzeptabel wäre. Es wurde kritisiert, dass das wohl im Text wohl nicht als problematisch dargestellt oder aber vom Publikum nicht als unangemessen erkannt würde?
Konkrete Quellen habe ich leider nicht, wahrscheinlich habe ich den Diskurs auf Twitter oder YouTube verfolgt. In jedem Fall war es auf Englisch. Ob das nun eine wissenschaftliche Analyse war oder eine Diskussion zwischen mehreren Personen, die ich zufällig verfolgt habe - das kann ich leider nicht sagen, zu lange her.
Falls ich es nochmal finde, poste ich den Link hier.

Man sollte bei solchen Geschichten die Mechanik von sozialen Geschlechtern im Blick haben.

Es heißt: Frauen sind schwächer als Männer.
Das heißt: Es ist klar, dass eine Frau oder ein Mädchen von einem Mann missbraucht werden kann. Das ist nach geschlechtsstereotypen "normal".

Es heißt: Männer sind stärker als Frauen.
Das heißt: Ein Mann oder ein Junge kann nicht von einer Frau missbraucht werden. Das bedeutet nämlich, dass er schwächer ist als eine Frau. Ein Mann, der schwächer ist als eine Frau ist in der Gesellschaft ganz unten. Als Mann "weibische" Erfahrungen zu machen ist immer eine Abwertung seiner ganzen Person. Weibliches ist schwach und ein Mann darf nicht weiblich sein, denn dann ist er schwach.

Deswegen schweigen (oder verdrängen) Männer eher, bevor sie mit jemandem über ihre Gefühle sprechen. Sie würden sonst ihren sozialen Status riskieren.

---- Das spiegelt nicht meine persönliche Meinung wieder ----

Der Missbrauch durch ältere Erwachsene an Kindern und Jugendlichen begründet sich durch idR sehr unterschiedliche Machtgefälle. Ein Erwachsener kann einem Kind einreden, dass eine Handlung normal oder sogar toll ist; Das Kind kann darüber kein objektives Urteil haben, weil ihm in diesem Alter Wissen und Erfahrung fehlt. DAS ist das Machtgefälle. Wie man sich dabei oder danach fühlt, spielt keine Rolle. Der Missbrauch ist nicht in persönlichen Gefühlen begründet.

Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, wenn ich den Sex nicht wollte. Ob es mir danach dreckig geht oder nicht ist egal. Ob andere Menschen das gut oder schlecht finden, ist auch egal.

Ich habe mal eine Dokumentation über einen Missbrauchsfall durch eine Lehrerin gesehen. Die Frau war hübsch, sexy und hatte Sex mit minderjährigen Schülern. Sie selbst war dem Glauben verfallen, dass Jungs Sex mit einer heißen Erwachsenen toll finden müssten; kein Wunder, wird es doch im TV so propagiert.

Ein gutes Beispiel: Paris Hilton in "Nothing In This World"

Blendet bitte mal den Song und das Video komplett aus und versetzt euch in die realen Dreharbeiten. Paris sitzt mit einem 12-jährigen auf einem Bett, räkelt sich, macht ihn sexy an, betätschelt ihn. Was ganz niedlich aussieht, ist es nicht mehr, wenn man die Geschlechter umdreht. Ein Mädchen sitzt auf dem Bett und wird von einem Mann in freizügigen Klamotten beflirtet. Das wäre unglaublich.

Wir haben ein total verdrehtes Verständnis über Geschlechter und Sexualität und das trägt den großen Teil dazu bei, dass Jungen und Männer keine Hilfe bekommen können.

Finnick meinte:

Warum fand ich das voll okay, für andere (und erfahrungsgemäß eher Mädchen) wäre das aber etwas Schlimmes?
Oder Geld für sexuelle Leistungen annehmen et cetera.

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Wie gesagt "voll ok" finde ich eher befremdlich. Da kann man ja eigentlich schon von einvernehmlicher Handlung sprechen....

Aber lass Dich nicht beirren. Du verfügt vermutlich über eine hohe Resilienz - das ist gut.

Ich will Dir anhand zweier Beispiele zeigen, dass auch Frauen völlig unterschiedlich damit umgehen.
Beide Taten waren ungefähr gleich schrecklich - man kann nicht sagen, das eine war schlimmer als das andere.
Beide Taten waren eine Geiselnahme mit Vergewaltgung. Beides fand im Gefängnis statt. Beides ging über Stunden.

Während Frau Bennefeld-Kersten am nächsten Tag wieder zum Dienst erschien und 2014 sagte "Die Geiselnahme und Vergewaltigung gehören zu meinem Leben. Aber sie sind nicht wichtig.", zerbrach Frau Preuskar und beging 2018 leider Suizid.


Die Empfindungen beim Missbrauch sind etwas vollkommen individuelles. Sie lassen überhaupt keine Rückschlüsse auf die Härte der Tat zu.

Es wäre völlig unverschämt und anmaßend, wenn man jetzt interpretieren würde, das Verbrechen an Frau Bennefeld-Kersten wäre weniger schlimm.

Dementsprechend ist der Missbrauch/Übergriff an Jungen und Männern auch nicht weniger schlimm, nur weil man vielleicht weniger nachträgliches Leid von ihnen hört.

Hallo Finnick,

Du sagst, du fandest es "voll okay", dass dieser älteren Mann dich angefasst hat. Vielleicht war es das vom Kopf her in diesem Moment auch für dich. Aber unbewusst hast du vielleicht doch Schwierigkeiten damit, ich denke dabei an dein Erbrechen, diesen Zwang.
Vielleicht ist das Ausdruck deines Körpers, dass du es eigentlich furchtbar fandest?... Ich weiß es nicht,
aber könnte es mir vorstellen, dass da evtl. ein Zusammenhang besteht. Und es war ja nicht nur diese eine Erfahrung mit einem älteren Mann, wo du noch minderjährig warst, wenn ich das recht gelesen habe.

Ich habe neulich gerade eine Literaturkritik gehört, da ging es um ein Buch, ich glaube es hieß "Aus dieser Welt", darin geht es um einen Lehrer, der sich in ein 13-jähriges Mädchen verliebt hat. Ich habe das Buch nicht gelesen und weiß daher nicht, ob es auch zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden kam.
Was mir aber auffiel, war, dass dieses Buch (928 Seiten) fast überall hochgelobt wurde, der Autor erhielt wohl auch einige Preise. Aber in dieser einen Kritik wurde gesagt, dass dieses Buch heute eigentlich gar nicht mehr veröffentlicht werden sollte, weil das einen schweren Missbrauch darstellt!

Missbrauch für Jungen oder auch junge Männer kann auch sehr traumatisierend sein. Ich schreibe jetzt lieber keine Beispiele, evtl. zu triggernd für andere. Auf jeden Fall reden Jungs wohl seltener bis gar nicht darüber, sie leiden eher still.

Mondsonne meinte:

Du sagst, du fandest es "voll okay", dass dieser älteren Mann dich angefasst hat. Vielleicht war es das vom Kopf her in diesem Moment auch für dich. Aber unbewusst hast du vielleicht doch Schwierigkeiten damit, ich denke dabei an dein Erbrechen, diesen Zwang.

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Da könnte wirklich was dran sein, das solltest du dir mal näher ansehen, Finnick.

Konntest oder kannst du Grenzen setzen, wenn etwas nicht mehr ok für dich ist oder redest du es dir dann schön, um weiter wie gewünscht zu funktionieren?

Ich hatte fast damit gerechnet, dass derartige Vermutungen kommen würden - ich bin mir aber sicher, dass da (zum Glück) nichts dran ist. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, wenn ich etwas nicht will. Hatte ich auch als Jugendlicher nicht. Beispiel: mir hat wie oben erwähnt mal jemand Geld für sexuelle Gefälligkeiten geboten. OV hab ich gemacht, bei AV hab ich abgelehnt. Wenn das nicht akzeptiert worden wäre, dann hätte ich wahrscheinlich auch ein Problem bekommen. Das war aber kein Thema und wurde problemlos akzeptiert.
Ich frage mich im Nachhinein einfach, ob ich es problematisch finden sollte, dass ich von älteren angemacht wurde. Auch wenn es einvernehmlich war, habe ich das Gefühl, dass ich es wegen des Altersunterschieds nicht okay finden sollte. Vom Gefühl war und ist es für mich vollkommen in Ordnung, aber wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen minderjährigen Sohn (und wäre selbst älter ^^) und jemand älteres würde sich an ihn ranmachen - ich würde ausrasten. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist.

Finnick meinte:

Ich frage mich im Nachhinein einfach, ob ich es problematisch finden sollte, dass ich von älteren angemacht wurde. Auch wenn es einvernehmlich war, habe ich das Gefühl, dass ich es wegen des Altersunterschieds nicht okay finden sollte.

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Ich sage: Nein. Traue deinem Gefühl. Lass dir nicht von anderen einreden, was du zu fühlen hast.

Diese Missbrauchs-Geschichte wird von unserer Gesellschaft gerade gehypt. Zuerst wurde das Thema komplett verdrängt. Nun spricht man darüber, was ja auch gut ist. Aber, typisch für unsere Gesellschaft, jetzt schwingt das Pendel in die andere Richtung. Alles ist mega Trauma und jeder muss in die Therepie. Was m.E. genau so ein Schwachsinn ist.

Menschen sind keine Maschinen. Ein gewisser Reiz löst nicht in jedem Menschen die selbe Reaktion aus.

Finnick meinte:

aber wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen minderjährigen Sohn (und wäre selbst älter ^^) und jemand älteres würde sich an ihn ranmachen - ich würde ausrasten. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist.

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Diese Reaktion is absolut normal. Ich sehe keinen Widerspruch. Vielleicht würde die Geschichte bei deinem Sohn ganz anders ausgehen? Und er würde dich nach Jahren unter Tränen fragen: Papa, du hast doch gewusst, was los war. Warum hast du nichts gemacht?


P.S.
Man könnte auch so sagen: Sexualität mit einer gewissen Altersdifferenz stellt aufgrund des Machtgefälles ein Risiko dar. Deswegen ist es verboten. Risiko heißt nicht, dass es immer schief geht.

Ein guter Freund von mir hat als Jugendlicher mit Schusswaffen und Sprengstoffen experimentiert. Das war super lustig, er erzählt gern davon. Wird er seinen Sohn auch mit Sprengstoff spielen lassen? Ich denke nicht.
Deswegen sehe in deinen Gefühlen null Widerspruch.

Finnick meinte:

Ich hatte fast damit gerechnet, dass derartige Vermutungen kommen würden - ich bin mir aber sicher, dass da (zum Glück) nichts dran ist. Ich habe kein Problem damit, zu sagen, wenn ich etwas nicht will. Hatte ich auch als Jugendlicher nicht. Beispiel: mir hat wie oben erwähnt mal jemand Geld für sexuelle Gefälligkeiten geboten. OV hab ich gemacht, bei AV hab ich abgelehnt. Wenn das nicht akzeptiert worden wäre, dann hätte ich wahrscheinlich auch ein Problem bekommen. Das war aber kein Thema und wurde problemlos akzeptiert.
Ich frage mich im Nachhinein einfach, ob ich es problematisch finden sollte, dass ich von älteren angemacht wurde. Auch wenn es einvernehmlich war, habe ich das Gefühl, dass ich es wegen des Altersunterschieds nicht okay finden sollte. Vom Gefühl war und ist es für mich vollkommen in Ordnung, aber wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen minderjährigen Sohn (und wäre selbst älter ^^) und jemand älteres würde sich an ihn ranmachen - ich würde ausrasten. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist.

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Ich denke, der Unterschied ist halt, dass du mit 15 durchaus einen eigenen sexuellen Willen hattest und zu anderen du nicht in einer gefährlichen Situation bei Gefahr auf Leib und Leben warst.

In der Schwulen-Community gibt es viele Pädophile und Männer, die's mit dem Alter nicht so ernst nehmen.

Ich denke, dass insbesondere Schwule auch viel "ungehemmter" sind, sich mehr sexuelle zutrauen, der freiwillige Sex mit einem älteren Mann auch nicht wirklich als "Gefahr" gesehen wird. Es ist übrigens - wie du vielleicht weißt - bei uns so, dass jüngere Gays einen Hang zu älteren Männern haben. Das kann am Vaterkomplex liegen.

Ältere Männer wollen junge Männer, junge Männer wollen reifere Herrschaften. Deswegen ist da die Hemmschwelle wahrscheinlich nicht so groß.

Ich hatte auch solche Erfahrungen in dieser Community. Es spielt sich viel im Hintergrund ab und man ist auch zu naiv.

Finnick meinte:

Ich hatte als Teenager mehrere sexuelle Erlebnisse mit Erwachsenen, die ich nicht im geringsten als traumatisch ansehen würde. Zu denken gibt es mir heute lediglich, weil ich jetzt als Erwachsener denke, dass es fragwürdig ist, wenn sich jemand an Jugendliche ranmacht, selbst aber deutlich über 20 ist. Mit 15 fand ich das nicht problematisch, aber jetzt bin ich selbst 25 und alles unter 18 ist für mich Tabu. Unter 20 finde ich schon fragwürdig, auch wenn es legal wäre.

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Ich finde es in beiden Fällen nicht okay, weil Jugendliche einfach noch sehr leicht beeinflussbar sind.
Das der Gesetzgeber also Jugendliche davor schützt, ist völlig in Ordnung.

Gleichzeitig glaube ich aber nicht, dass es für Jugendliche in jedem Fall traumatisch sein muss, ähnlich wie bei Dir.
Vor einigen Monaten schrieb hier allerdings ein Fori, den seine Tante sehr traumatisiert hat, quasi eine Gehirnwäsche gemacht hat. Das sind dann eben die Fälle, vor denen das Gesetz schützen will.