Meine Vermutung ist dass die Menschen nicht das Gefühl haben mit ihrer Stimmabgabe tatsächlich etwas verändern zu können, also eine Form von Resignation. Es also sowieso auf das selbe hinaus läuft, egal was sie wählen, weil doch eh alle das gleiche tun.
Und in gewisser Weise stimmt das aus meiner Sicht aus. So zahlt der normale Bürger eben eh immer die Zeche, egal wo im System die Kosten anfallen. Über Preise oder Steuern landet immer alles beim Nettosteuerzahler, der dafür mehr arbeiten muss.
Möchte man also Nichtwähler aktivieren müssten man ihnen glaubhaft versichern dass sich mit der Wahl tatsächlich etwas ändern könnte und dies dann auch in ihrem Sinne ist. Allein die Aufstellung einer Alternative hat ja in vielen Bundesländern bereits zu einer deutlich höheren Wahlbeteiligung geführt.
Tatsächlich halte ich allerdings einen anderen Wahlzettel für viel entscheidender als den wo die Parteien draufstehen: Nämlich den Einkaufszettel. Wofür wir Geld ausgeben und wem wir unsere Daten anvertrauen hat inzwischen einen imensen Einfluss auf die Politik. Wir haben eine Machtkonzentration bei einigen wenigen Superreichen, die kein Mensch je gewählt hat, aber enorm viel Einfluss auf wichtige Richtungsentscheidungen in der Politik ausüben. Da kann einem so ein Wahlkreuz schon ziemlich sinnlos vorkommen.
Das Andere ist dass Politiker seit Jahrzehnten versuchen dem Bürger zu erzählen dass dieser die Lage ja gar nicht beurteilen könnte. Deswegen wird auch so wenig mit sachlichen Argumenten Wahlkampf gemacht, sondern mit Positionen, Gesichtern oder schlicht die eigene (angebliche) moralische Hochwertigkeit in der Vordergrund gestellt.
Das sorgt natürlich dafür dass die Leute meinen sie könnten es eh nicht beurteilen und überlassen das Wählen eben jenen die es sich zutrauen.
Ich denke außerdem dass Politik für viele insbesondere junge Menschen etwas sehr Abstraktes ist, von dem sie (noch) gar nicht verstehen dass diese sich ganz direkt auf ihren Alltag und ihre Lebenswirklichkeit auswirken kann. Selbst wenn die Konsequenzen sich erst in 10 oder mehr Jahren zeigen.
Sich damit zu beschäftigen ist zudem durch teils (mit Absicht) sehr aufgeladene emotionalisierte Diskussionen nicht leicht, man will da nicht zwischen die Fronten und evtl. in einen Streit geraten. Also rettet man sich in die Ahnungslosigkeit, gibt vor sich nicht für Politik zu interessieren und meidet den Konflikt. Zu aufgeheizten Themen hat man dann eben keine Meinung oder, wenn es gar nicht anders geht, sagt man eben dass man beide Seiten irgendwo verstehen könnte aber XY natürlich gar nicht geht. Quasi der minimalste Nenner auf den sich sowie alle einigen könnten.
Ich meine, bevor ich 21 wurde habe ich mich auch nicht mit Politik beschäftigt und bin nur wählen gegangen weil man "das halt so macht". Auch hatte ich weder aus den Medien, meinem familiären Umfeld noch der Schule je einen Impuls erhalten, dass es da noch viel mehr Informationen gibt als das was man in der Tagesschau sieht. Dass so viel mehr politisch lange vorher geplant und dann umgesetzt wird, wo unsere Politiker dann ganz überrascht tun dass damit ja niemand hätte rechnen können (obwohls Jahre vorher im Internet stand).
Erst als der Leidensdruck und die Konsequenzen politischer Verfehlungen immer größer wurden begann ich mich diverser Themen anzunehmen und ganz langsam zu verstehen was da vor sich ging.
Ich kann also jeden jungen Menschen verstehen der sich das bisher nicht angetan hat und auch keinen Impuls bekommen hat bzw. wenig Sinn daran sieht, eben weil es so abstrakt wirkt. Zumal die Scheindiskussionen in den Medien wirklich völlig realitätsfern wirken und mit den aktuellen Problemen der Menschen rein gar nichts zu tun haben.
In gewisser Weise würde also vermutlich ein noch höherer Leidensdruck "helfen" sich damit zu beschäftigen, wie eben damals auch bei mir. Gut möglich dass ich mich ohne diesen erst viel später überhaupt mal damit beschäftigt hätte. Denn diese Dinge lösen keine Probleme die man jetzt gerade hat, sondern verhindern dass man später welche bekommen wird, die man dann eben nicht zu überwinden hat.
Eine politische Richtungsentscheidung hilft also Probleme zu vermeiden die erst in der Zukunft auftreten werden, das meine ich mit abstrakt. Aber wenn man sich jetzt gerade den Strom wegen der EEG Umlage* nicht mehr leisten kann sucht man die Lösung vermutlich nicht zuerst beim Wahlzettel, obwohl ein entsprechendes Kreuz vor ~8+ Jahren dieses heute auftretende Problem hätte verhindern können.
Aber dafür ist es jetzt zu spät und wem das Wasser heute bis zum Hals steht, wen kümmern da die Probleme von morgen. Vor allem wenn eben die erwähnten Hürden noch dazu kommen.
* Das ist kein Beispiel von etwas das regional geregelt wird, aber die entsprechenden Probleme spreche ich nicht an weil das wieder die falschen Leute / Reaktionen auf den Plan ruft. Soll nur als greifbares Beispiel dienen und möge gedanklich durch lokal auftretende und zu lösende Probleme ersetzt werden.