Ich bin zu meinem Partner aufs Land gezogen. Hier im Dorf gibt es außer mir nur einen Menschen, der auf dem Gymasium war (er hat studiert). Es ist auffällig, dass die meisten Leute wenig bis kein Interesse an Bildung mitbringen.
Auf der anderen Seite bin es aber nicht ich, die andere von oben herab behandelt. Seine Cousine, einige seiner Freunde und diverse Nachbarn vermitteln mir das Gefühl, als ob ich noch nie richtig gearbeitet habe. Für viele Menschen hier zählt nur körperliche Arbeit als richtige Arbeit. Ich arbeite im Büro und bin somit in ihren Augen einfach nur faul.
Dümmlicher geht's wohl nicht mehr. Aber ich kenne das in abgemilderter Form von meinen Cousinen, die auch in Dörfern bzw. in einer Kleinstadt in eher ländlicher Umgebung aufgewachsen sind und dort bis heute leben. Sie haben zumindest ein Problem damit, wenn
Frauen studiert haben und ihren akademischen Beruf auch ausüben. Heiraten und Kinder bekommen ist in ihren Augen wichtiger. Dabei hat jede von ihnen nur ein einziges Kind, und zwar jeweils einen Sohn. Söhne dürfen natürlich zum Gymnasium gehen und studieren. Da wird dann geprahlt, was das Zeug hält. Und ist der Sohn - wie in
einem Fall - zu faul und wahrscheinlich auch zu unintelligent dazu (Realschule nicht geschafft, dann Hauptschulabschluss gemacht, Beruf mit fast ausschließlich körperlichen Tätigkeiten erlernt), glaubt die Mama, stolz darauf sein zu können, dass ihr "fleißiger" Sohnemann seinen Beruf sogar nach Feierabend und an den Wochenenden ausübt, m.a.W. also schwarz arbeitet. Aber keine Ambitionen, die Meisterprüfung abzulegen oder sich sonstwie weiterzuqualifizieren. Spätestens in zehn Jahren hat er den Rücken kaputt - und was dann?
Dieselbe Cousine musste mir übrigens letztes Jahr am Abend des 2. Weihnachtsfeiertags unbedingt am Telefon erzählen, dass ihr langjähriger Lebensgefährte vor ihr "auf die Knie gegangen" sei und ihr einen Heiratsantrag gemacht habe. Schiefgehen könne nun wohl nichts mehr, sie seien ja schließlich seit 26 Jahren zusammen. Sie weiß genau, dass mein Partner (im selben Alter wie ihrer) Ende Mai letzten Jahres plötzlich und unerwartet verstorben ist und ich das erste Weihnachtsfest ohne ihn und zudem ganz allein verbringen musste. Aber der Neid darauf, dass ich studiert habe, seit rund 30 Jahren einen entsprechenden Beruf in Vollzeit ausübe und mehrmals befördert wurde (sie war auf der Hauptschule, danach auf einer Frauenfachschule und hat dann einen sozialen Beruf ergriffen, den sie seit Jahrzehnten nur noch in Teilzeit ausübt - ihr Sohn wird in Kürze 30!), ließ anscheinend kein anderes Verhalten zu. Der Hochzeitstermin steht noch gar nicht fest. Mit der "Neuigkeit" hätte sie also durchaus noch zu einem späteren Zeitpunkt auftrumpfen können als ausgerechnet zu Weihnachten. Wie es mir am ersten Weihnachtsfest ohne meinen Partner ging, interessierte offensichtlich nicht. Sonst hätte sie sicher auch schon am 1. Feiertag und nicht erst am Abend des 2. angerufen. Ich habe ihr Verhalten als ausgesprochen taktlos empfunden. Diesen Anruf hätte sie sich aus meiner Sicht komplett sparen können.
Beruflich hat sie sich nie weiterqualifiziert und für ihre Bequemlichkeit immer ihren Sohn als Grund vorgeschoben. Dabei ist ja nun wirklich nicht allzu viel aus ihm geworden. Die Tatsache, dass Mama viel zu Hause war, um ihn zu (v)erziehen, hat ihm eher geschadet als genützt. Und als sie sich vor 28 Jahren von seinem Vater, einem spielsüchtigen, großmäuligen, verlogenen und hoch überschuldeten Säufer, getrennt hatte, musste noch
vor der Scheidung gleich der nächste Partner her.
Andere Ambitionen haben solche Frauen nicht. Das sind hoffnungslose Fälle. Deswegen würde ich auch niemals in ein Dorf oder in eine ländliche Gegend ziehen.
Die Arroganz geht bei Bildungsunterschieden beileibe nicht nur von den Gebildeteren aus. Die wissen wenigstens, was sie alles
nicht wissen....
Es hat auch nichts mit Arroganz zu tun, wenn man sich als gebildeterer Mensch in diesem Milieu nicht wohl fühlt.