Für mich ist der Suchtdruck das schlimmste. Den muss man überlisten oder in den Griff bekommen. So wird es wahrscheinlich auch für dich sein. Gerade diese Kopfsache. Für mich ist meine "Sucht" auch sehr schambehaftet. Hier kann ich ganz gut darüber schreiben, aber im Alltag fällt es mir sehr schwer, darüber zu sprechen. Oder es überhaupt zu erklären ... viele verstehen Essstörungen vollkommen falsch oder glauben nur das, was sie in den sensationsgeilen Medien mitbekommen. Man muss dennoch nach außen gehen und darüber sprechen und wenigstens versuchen, sich zu erklären. Das ist der erste Schritt. Ich habe oft so wie du Rückfälle und verfluche meine Sucht. Ich scheitere auch schon an ganz kleinen Dingen, aber dann gibt es wieder diese guten Phasen, wo fast alles normal ist, wie bei anderen auch.
Ich habe mir ein paar weitere Gedanken gemacht, was dir helfen könnte und was ich in der Therapie gelernt habe, wenn ich in Gefahr laufe, einen Rückfall zu erleiden, oder wenn der Suchtdruck wieder schlimm ist. Das hat auch viel mit Impulskontrolle zu tun.
- Geh nach draußen, wenn es dich überkommt. Sofort raus! In deinem Fall eher an Orte, wo keine Bars und Tankstellen usw. sind. Das bewirkt wahre Wunder, denn der Kopf wird im Idealfall frei und der Impuls klingt ab.
- Sucht hat auch sehr viel mit Reizen zu tun. Iss etwas total scharfes oder bitteres, um dich abzulenken.
- Hol deine Freunde ins Boot. Zusammen ist es viel leichter, dem Alkohol zu trotzen. Oder, sie versuchen es dir leichter zu machen, indem sie vermeiden, über das Thema zu reden. Das kann schon sehr helfen! Sie können auch mit dir einen netten DVD-Abend machen, wenn du merkst, du läufst wieder in Gefahr, dich zu betrinken. Dann fällt das Weggehen eben flach. Mit der Offenheit zu deinen Freunden durchbrichst du auch den Kreis des Schweigens. Solche Süchte passieren ja oft im Stillen.
- Kauf dir ein hübsches Buch und schreib JEDEN Abend rein, was schön war und gut. Mindestens eine Sache, am besten mehr! Und wenn es nur eine Kleinigkeit war, wie das gute Wetter oder ein netter Mensch, der dich angelächelt hat. Wenn es dir schlecht geht, ließ in diesem Buch!
- Kauf dir auch ein Tagebuch. Wenn du merkst, du wirst wieder rückfällig oder verspürst einen starken Drang nach Alkohol, dann schreib dort deine Gedanken und Gefühle rein, auch was dich beschäftigt. Das hilft dir, herauszufinden, was dich triggert oder schlecht für dich ist. Bei einem Rückfall ist so ein Tagebuch Gold wert, denn du findest dadurch leichter heraus, was im Argen gelegen ist. Die Auslöser kannst du dann meiden und umgehen.
- Belohn dich fürs Clean-Sein! Denk erst in kleinen Schritten: für eine Woche null Alkohol kaufst du dir was Schönes. Oder deine Freunde freuen sich mit dir. Wenn du noch nicht so kannst, dann belohne dich jeden zweiten Tag fürs Seinlassen vom Alkohol. Und wenn es nur was schönes zum Essen ist oder ein neues Buch oder ein Gang zum Friseur, wo du eine Typveränderung vornehmen lässt ... gibt ja viele Möglichkeiten. Aber es hilft ungemein, wenn man sich selbst wertschätzt und belohnt, so für den Anfang. Später muss es nunmal eine Selbstverständlichkeit werden, aber das ist es eben nicht, wenn man erst damit beginnt, aufzuhören.
Ich glaube, bei dir hängt sehr viel mit Einsamkeit und mangelnden Selbstwertgefühl zusammen. Suche dir unbedingt ein geregeltes Hobby, wie einen schönen Kurs oder einen Verein oder geh ehrenamtlich mit Hunden aus dem Tierheim Gassi. Die freuen sich so sehr darüber! Oder geh tanzen. Geh mal so richtig verrückt ab, ohne Alkohol. Habe ich erst letztes Wochenende mit einer Freundin gemacht und wir haben uns total amüsiert und viel gelacht. Auf jeden Fall solltest du dir geregelt Beschäftigungen und Ausweichpunkte suchen.
Dann lernst du auch gleich neue Leute kennen. Du scheinst doch eine sehr nette und kluge Frau zu sein, die viel zu sagen hat
. Versuch das, was dir der Alkohol gibt, mit schönen Erfahrungen und neuen Erinnerungen zu füllen. Achte aber darauf, keine Suchtverlagerung zu starten, da läuft man leider immer sehr in Gefahr. Du scheinst eine gefährliche Leere in dir zu haben, die du mit Alkohol auffüllst. Und betäubst du damit dsa echte Leben? Bestimmte Gefühle? Aber, das löst nicht das Problem. Alkohol liebt dich nicht und er hört dir nicht zu. Du musst Lebensfreude neu lernen. Und das entdecken, was du neben der Sucht BIST und SEIN KÖNNTEST. Das ist ganz wichtig für dich.
Ich finde auch Pierre-Adrians Vorschlag super. Bevor du zur Flasche greifst, kotz dich hier aus. Schreib deinen ganzen Frust hier von der Seele, egal was. Und dann hör mal in dich rein, ob du unbedingt das Loch noch mit Alkohol stopfen musst.
Liebe Grüße
Findefuchs