Hallo lieber Alex,
mit großem Interesse und viel Aufmerksamkeit habe ich alle Beiträge zu deiner Frage gelesen. Ich gehöre zu den Müttern die du angesprochen hast. Zu meinem Sohn habe ich seit 19 Monaten keinen Kontakt und es schmerzt mich jeden Tag aufs Neue. Als ich deine Botschaften gelesen habe, dachte ich zeitweise du schreibst über meine Familie. Es ist für alle beteiligten Personen eine harte Zeit- - die Zeit in der junge Menschen in die Pubertät kommen und sich selber finden müssen. Da will man als Mutter noch nicht loslassen und als Kind denkt man die sind doch alle doof. Beide Parteien fühlen sich unverstanden und es kommt immer und immer wieder zu Auseinandersetzungen und Diskusionen. Besonders schlimm ist es für die Betroffenen die zwischen den Stühlen stehen. Neuer Partner, „beste Freunde“, „gute Nachbarn“ in Zeiten in denen es einem schlecht geht läuft man zu ihnen und heult sich dort aus. Hat man seinen „Schrott“ abgeladen ist das Problem schon wesentlich kleiner. Man verzeiht seinem Kind als Elternteil IMMER. Aber vielen Menschen fällt es schwer vor den „lieben Mitmenschen“ zu seinen Gefühlen zustehen.
Bedenke-, in den vier Wänden deiner Mutter herrscht jetzt „ Friede, Freude, Eierkuchen“. Der vermeintliche Störenfried ist weg. Diese Situation will deine Mutter vielleicht nicht aufs Spiel setzten. Hinzu kommen Stänkereien von Dritten wie: „der ändert sich nicht, warte erst einmal ab“ und Ähnliches.
Alex du bettelst nach der Liebe und der Aufmerksamkeit deiner Mutter. Und als Kind hast du meines Erachtens auch jedes Recht der Welt dazu. Was ich dir aus meiner Erfahrung sagen möchte,- - lasse euch beiden ein wenig Zeit. Vielleicht schreibst du ein Tagebuch in das du alle deine Sorgen, Wünsche und auch die Sehnsucht nach deiner Mutti schreibst. Es hätte viele Funktionsmöglichkeiten, die Erste und auch wichtigste ist - - damit du dich reflektieren kannst. Und zwar nicht nur jetzt, sondern auch wenn du eigene Kinder hast und vor der anderen Seite der Tischplatte sitzt. Die Zweite ist; du kannst direkt mit dir und deinem Sein in Kontakt treten und beantwortest dir vielleicht auch viele Fragen selber.
Setze dich einmal hin und überlege wie du dich IMMER verhalten hast. Was deine Mutter mit dir IMMER erlebt hat. Und dann schaue nach ob du dich heute noch so verhältst, was du verändert hast oder noch willst. Nur wenn du aus alten Klischees ausbrichst veränderst du etwas. Wenn du in der neuen Schule wieder schwänzt, dann hast du nichts verändert. Dann gibst du mit deinem Verhalten deiner Mutter wieder Recht. Bringe Ordnung in dein Leben. Kontinuität das braucht ein wenig Zeit, gebe sie dir. Schreibe deine Erfolge auf!
Mein Sohn und ich haben damals Hilfe bei einer privaten Jugendhilfe-Organisation in Hamburg gefunden. Wir brauchten im wahrsten Sinne des Wortes einen „Dolmetscher“. Es wurden alle Betrachtungsweisen auf den Tisch gebracht, Regeln und Statuten aufgestellt, auch für mich! Es hat uns geholfen für eine lange Zeit.
Bei dir könnte ich mir vorstellen, dass du mit deinem Vertrauenslehrer sprichst oder mit dem Pfarrer in der Gemeinde in der deine Mutter wohnt. Wenn du dich fragst warum und womöglich über den Vorschlag lächelst, dann will ich es dir gerne schreiben. Es sind Personen aus dem „öffentlichen Leben“ oder „Amtspersonen“. Damit wird die Ernsthaftigkeit deines Bestrebens deutlich, du verhältst dich anders, erwachsener. Du holst dir kompetente Hilfe, es gibt auch in manchen Orten noch „Schiedsmänner“.
Ein solches Bemühen muss auch deine Mutter ernst nehmen. Da können auch andere Mitmenschen nichts Negatives zu sagen.
So nun hoffe ich, habe dir keine Blase ans Ohr gequatscht und zu deiner eigentlichen Frage, kommt meine Gegenfrage „ hättest du gerne Post zu Weihnachten“?
Na also-, tu was dir dein Bauch sagt, denke nicht ob du dich damit lächerlich machst, wenn man sich liebhat, kann man sich nicht lächerlich machen.
Dir alles Gute, Lölle
Hallo Lölle,
jetzt habe ich Deinen Beitrag aber mit großen Interesse gelesen, und zwar gleich 3 mal! Sehr interessant das mal von der anderen Seite zu sehen.
Das mit dem Pfarrer ist an sich keine schlechte Idee. Obwohl ich nicht gläubig bin wäre ich gar nicht so abgeneigt so etwas zu tun. Nur: Es gibt dabei ein praktisches Problem: Meine Mutter wohnt in einem anderen Land, das macht das Ganze schwierig. Und ich glaube auch nicht, dass sie es schätzen würde wenn ich ihr irgendjemanden auf den Hals hetzen würde, der versucht zu vermitteln. Was ich allerdings in Angriff nehmen werde, ist selbst zu einer Beratungsstelle oder zum Psychologen zu gehen, dass ich mich mal aussprechen kann. Das Forum hier hilft mir schon ungemein, aber es ist vielleicht doch gut auch mal persönlich mit jemandem über alles zu sprechen. Denn meine Freunde hier will ich nicht belasten mit meinen Problemen und mein Vater hat ja keine Zeit, und sonst habe ich niemanden.
Ich glaube, Du hast vollkommen recht mit der Vermutung, dass meine Mutter jetzt das Friede, Freude, Eierkuchen Leben mit ihrem Freund geniesst und froh ist, dass sie endlich mal ein kinderloses Dasein führen kann. Das habe ich mir auch schon gedacht. Muss eine ganz schöne Erleichterung sein. Und ein bisschen ist es vielleicht auch Rache an meinem Vater weil er jetzt für mich verantwortlich ist, wo er doch früher alles meiner Mutter überlassen hat und sie im Berufsleben zurückstecken musste, dass er Karriere machen konnte.
Aber bei einem bin ich mir inzwischen relativ sicher, und das ist mir in den letzten Tagen ziemlich klar geworden. Eigentlich wusste ich es schon vorher aber ich wollte es nicht so richtig wahr haben: Ich glaube, dass ich meiner Mutter einfach fast nichts mehr oder sogar gar nichts bedeute. Das soll nicht pathetisch klingen, sondern ich meine das ganz nüchtern betrachtet. Ich kann versuchen nach allen möglichen Erklärungen zu suchen für ihre Abneigung gegen mich, aber wenn ich ehrlich bin war ich schon immer eine Enttäuschung für meine Eltern. Und früher kam ich mir schon geliebt vor, aber als Kind hat sie mich wahrscheinlich auch geliebt. Aber bei einem Kind ist das leichter, und wie ich älter wurde habe ich ihr immer weniger bedeutet, und noch weniger seit ich angefangen habe, so viel Mist zu bauen. Das wirst Du als liebende Mutter vielleicht nicht nachvollziehen können, aber ich glaube es ist in manchen Fällen wirklich möglich, dass eine Mutter ihr Kind nicht mehr liebt. Oder sie hat mich vielleicht nie so richtig geliebt und ich habe es mir nur eingebildet, sie hat mir vielleicht Liebe vorgeheuchelt weil sie sich schuldig gefühlt hat. Jedenfalls, ob sie mich je geliebt hat oder nicht, dass sie mich jetzt nicht mehr liebt liegt glaube ich nicht mal so sehr an meinen Eskapaden (Schulrausschmiss etc.) sondern eher an mir als Person. Das wird schwer für mich zu akzeptieren, aber so ist es nun mal. So ganz kann ich es auch noch nicht akzeptieren, sonst hätte ich nicht entschlossen, ihr zu Weihnachten noch zu schreiben. Aber ich glaube wirklich, ich kann machen was ich will. Und wenn ich noch so gut in der Schule bin oder andere Fähigkeiten hätte, die sie sich immer bei mir gewünscht hat, es interessiert sie einfach nicht mehr fürchte ich. Aber wenn sie sich für mich schon nicht mehr als Mutter interessiert so wäre es mir doch ein Trost wenn wir irgendwann mal wenigstens einen Kaffee trinken gehen könnten oder so, wenn ich in der Stadt bin. Wie ich schon geschrieben habe ist für mich der Gedanke am schwersten, sie vielleicht nie wieder zu sehen, oder nur noch 2, 3 mal in meinem Leben. Ich bin kein Muttersöhnchen und ich brauche gar keine Mutter mehr, aber ich mag sie halt als Person und ich habe so viele schöne Erinnerungen an sie. Für mich ist es schwer für immer loszulassen weil sie 16 Jahre lang meine Hauptbezugsperson war. Und wie unstabil mein Leben auch war (wir sind oft umgezogen), sie war immer da.
Tagebuch schreibe ich übrigens schon, aber in letzter Zeit nicht mehr weil ich immer so schlecht drauf war, dass ich dazu keine Lust hatte. Inzwischen geht es aber besser und auch in der Schule strenge ich mich nach einem kleinen Durchhänger wieder an.
Willst Du noch ein bisschen von Dir und Deinem Sohn erzählen? Hat er schon mal versucht, Kontakt mit Dir aufzunehmen? Ich will Dich nicht drängen wenn Du nicht darüber schreiben möchtest ist das ok, aber wenn doch würde es mir vielleicht helfen meine Mutter besser zu verstehen.
Ich freue mich, dass Du mir geschrieben hast und vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen.
Liebe Grüße,
Alex