AW: Sinn des Lebens? Kleine Analyse
Liebe Luiserl
ich zitiere dich:
"Aber wenn wir mal vom Philosophieren weg gehen und rein in die Praxis, dann Frage ich, erscheint es Euch allen absolut sinnlos, hierim Forum zu sein. Ist es ein Zeitvertreib, um gegen die Langeweile anzugehen, oder nur um Eure persönlichen Sorgen los zu werden oder Antworten auf Fragen zu erhalten."
Auf der einen Seite gäbe also nach dir grundsätzlich den Sinn des Lebens im Helfen (nicht nur für dich), auf der anderen Seite subsumierst du unter absoluter Sinnlosigkeit vier weitere Motive, sich ins hilfeforum zu begeben. Zeitvertreib, Langeweile, persönliche Sorgen los werden, Antworten auf Fragen erhalten. Hm. Also ich finde an diesen vier Motiven nichts Negatives. Würdest du dich hier beteiligen, wenn es hier besonders mühselig und zum gähnen langweilig wäre? Wie bitte kannst du deinen Helfersinn erfüllen, wenn nicht immer wieder Leute ihre persönlichen Sorgen loswerden wollten - und was ist daran verwerflich, seine Sorgen loswerden zu wollen? Als Antwort darauf fällt mir nur eins ein: die christliche Vorstellung des Kreuzes, das jeder für sich selbst zu tragen hat. Helfen statt jammern, lieber das Kreuz des Nächsten tragen helfen als sein eigenes abgeben, immer hinsichtlich der Erbsünde, die wir in unserem irdischen Dasein abbüssen müssen. Wer am meisten leidet oder Leid auf sich nimmt, dem ist sein Plätzchen im Himmel gewiss: Vorbild Jesus. Leben rein aus Spass ist verwerflich, sündig. Auch der schlichte Wusch, Antworten auf Fragen zu erhalten, läuft nach deiner Satzsyntax eher unter den absolut sinnlosen Motiven, vorausgesetzt natürlich, das sinnvolle Motiv ist das Helfen. Hier möcht ich gerne wieder zum Philosophieren zurückgehen. Philosophie heisst die Liebe zum Wissen. Der Wunsch, auf Fragen Antworten zu erhalten ist ein philosophischer Wunsch: Man will wissen. Was gibt es da einzuwenden? Auch hier fällt mir die christliche Lehre ein: Die erste Schuld in der Bibel bestand darin, dass Eva Gottes Gebot missachtet hat und die verbotene Frucht gegessen hat. Sie wurde dazu von Satan verführt, der ihr dafür "Erkenntnis" versprochen hat. Die sogenannte Erbsünde (ich lasse mich gern korrigieren!) könnte man also auch darin verstehen, dass es dem Menschen nach derjenigen Erkenntnis verlangt, die ausschliesslich Gott zusteht. Antworten auf Fragen suchen läuft ja darauf hinaus, dass man bis ins letzte wissen will, eben erkennen will.
Wir leben hier auf dem Boden einer christlichen Kultur und bis vor gar nicht langer Zeit hat die Kirche sehr stark unseren Alltag geprägt, jedermanns Alltag, auch den der Athesisten, in ganz Europa. Das ist unsere geschichtliche Prägung, ob uns das heute interessiert oder nicht, ob wir gläubig sind oder nicht. Von dem her ist es geradezu zu erwarten, dass die christliche und zumindest die katholische Lehre - wie hiess das noch - der Katechismus, noch in uns drin sind. Der Gedanke stammt von Nietzsche, dass sich die Gesetze früherer Generationen späteren Generationen "einfleischen", ich finde das sehr zutreffend. Da geh ich so durch die Welt, halte mich selbstverständlich weder für rassistisch noch für gläubig und ganz bestimmt gibt es für mich keine minderwertigen Menschen - und dann, sieh da, gesellen sich solche Vorstellungen als Vorurteile ein, als hätte ich jeden Tag hart dafür trainiert. Das finde ich immer wieder sehr eindrücklich bestätigt, denn ich gehe natürlich davon aus, dass das nicht nur bei mir so ist. Ich möchte dich, Luiserl, mit meiner ganz subjektiven Analyse nicht persönlich angreifen, ich nehm das einfach zum Anlass, mal zu schreiben, dass ich das denke: Aha, hier zeigt sich wieder mal unser christlicher Hintergrund.
Was mir daran nicht gefällt, ist diese bestimmte Haltung, ich würd mal die mal so beschreiben: "Was ich in mir vorfinde, dem bin ich Untertan". Das Lernen ist eine sehr robuste Fähigkeit, es gibt bestimmte Gedächtnisarten, wo wir Informationen speichern, ohne dass uns das bewusst wird, dass wir sie speichern. Ich bin überzeugt, es ist uns gar nicht klar, wieviel wir ständig lernen und wieviel von dem, was wir als für unser Ureigenstes halten, gelernt ist. Wir lernen uns zu verhalten, wir lernen Denkstrukturen, wir lernen, was schön ist und was daneben ist, was gut ist und was verwerflich ist und dazu stehen wir, das möchten wir verteidigen, denn das sind wir dann. Aber ich halte das damit nicht für abgeschlossen. Man kann da weitergehen und man kann immer versuchen, weiter zu denken. Wenn ich so und so denke, was bedeutet das in seiner Konsequenz? Was bedeutet das, wenn ich das als politisches Programm umsetzen würde? Fänd ich das dann gut?
Es ist mir klar, dass nicht alle die Neigung haben, die eigenen Gedanken zuende zu denken, mir macht das auch nicht besonders Spass. Aber was ich toll finde ist, wenn ich feststelle, dass ich durch Nachdenken was begriffen habe, das mir sonst nicht aufgegangen wäre. Nachdenken funktioniert, das verblüfft mich immer wieder.
Jetzt aber wieder die Sache mit dem Lebenssinn. Ich denke, da laufen viele Phänomene zusammen, dass wir uns einen Lebenssinn wünschen, dass wir nach Sinn suchen. Das wichtigstes Phänomen dabei ist, würd ich sagen, dass wir sinngebende Kreaturen sind. Wir funktionieren so, dass wir über Bedeutung lernen. Bedeutungslosigkeit ist für Menschen irgendwie nicht fassbar oder ertragbar. Unsere Wahrnehmung funktioniert so. Wir nehmen Gestalten wahr und wo keine klaren Gestalten vorliegen, ordnen wir das Gebilde sofort unter den uns bekannten Gestalten ein. Wenn das Leben aus der Routine läuft, suchen wir eben sofort nach "dem Sinn" des Lebens. Wir wollen begreifen können. Was wir nicht verstehen, ängstigt uns. Wir wollen uns nicht ängstigen. Wir wollen Antworten, keine Fragen. Wir wollen die Dinge erledigen, wir wollen Häkchen dahinter setzen, die Probleme abhaken und uns von allem lästigen Unverstandenen befreien. Ein weiteres Phänomen ist, dass wir, alle ehemalige Kleinkinder, gelernt haben, dass es tatsächlich Dinge gibt, die wir nicht verstehen können, die aber Sinn machen. Keine Ahnung, weshalb Mama immer so brutal unsere Hand von der Herdplatte reisst, bevor wir selbst ausprobieren konnten, was denn da so besonderes ist. Aber sobald das Gehirn etwas angereift ist, sehen wir sehr wohl den Sinn dahinter. Warum sollte das also nicht immer so sein, dass es einen Sinn gibt, den wir einfach noch nicht gefunden haben?
Wenn man sich jetzt aber überlegt, was es bedeutet, wenn es einen Sinn des Lebens gäbe, jetzt da weiterdenkt, dann müsste doch das heissen, dass es jemanden oder ETWAS gibt, das dieses Leben lenkt, steuert, plant. Gottes Plan, sagt man. Unser Leben ist doch so voller Bedeutung, also muss doch auch irgendein Plan dahinter stecken. Ich halte das für ein religiöses Thema.
Dagegen steht die Sinnlosigkeit, die Leere, die Befremdung, die Distanz von sich selbst. Das wiederum kann an sich bereits ein psychisches Problem sein und ist es ja oft. Es scheint keinen Plan für mein Leben zu geben. Oft fällt uns das auf, wenn wir finden, es laufe bei uns nicht gut und dann gehts nochmal abwärts und obendrauf dürfen wir uns noch dreifach so stark anstrengen wie andere und werden erst noch arbeitslos oder geschieden oder kommen in die Klinik, etc. Gäbe es dazu einen Plan, eine Vorsehung, dann, so zweifeln wir mit Recht, müsste das aber ein ziemlich düsterer Planer sein. Jetzt kommt eben der interessante Punkt, interessant, weil es hier eine Entscheidungsmöglichkeit gibt und ich finde es interessant, wie sich jemand, der an diesen Punkt kommt, entscheidet. Entweder halten wir jetzt an der Vorhersehung fest und suchen dann konsequent nach dem Grund für den düsteren oder sadistischen Plan, der uns auferlegt ist. Wozu soll das gut sein, was wir erleiden müssen? So fragen auch Kinder, die an ihre Eltern glauben. Es ist nämlich ein kindlicher Glaube, dass das, was uns widerfährt, gut sein muss, ein kindliches Vertrauen, dass uns nichts Böses geschehen soll und dass für uns gesorgt ist, dass der "Plan" dahin geht, dass unser Leben gut verlaufen soll. Oder, zweite Möglichkeit, wir geben die Sache mit der Vorsehung auf. Wir realisieren, dass unser Leben, wenn es so weiterläuft, bestimmt zu keinem guten Ende führt. Wir entscheiden, dass es aufs selbe hinausläuft, ob wir nach einem äusseren Plan leben, der uns nicht wohlgesinnt ist, egal wie "verdient" diese "Strafe" auch sein mag, oder ob es keinen Plan gibt.
Jetzt kommt das mit diesem Forum. Es heisst: "hilferuf", man kommt auch mit einem "hilfeschrei" rein. So weit ich verstehe, Luiserl, verstehst du das so, dass man in diesem Forum, wenn man "antwortet", auch "helfen" soll. Das steht aber nirgendwo (bitte um korrigierenden Hinweis, wenn ich das übersehen haben sollte), ist also deine persönliche Interpretation, die du sicher mit einigen anderen Mitgliedern teilst (mit mir nicht! (; ).
Du hast jetzt schon viel Bedeutung für dich erfahren, seit du in diesem Forum bist, du hast Inspiration und Input erhalten, der für dich lebenswendende Bedeutung gebracht hat. Jaa - aber moment mal: DU hast dich dafür entschieden, hier mitzumachen! DU hast danach GESUCHT, solche Inputs zu bekommen, DU bist geblieben, WEIL du es für dich gut findest! Wo ist jetzt der Zufall? Wenn ich sehe, wieviele Beiträge du verfasst hast, dann hast du doch dem Zufall, für dich nützliche Rückmeldungen zu erhalten, ziemlich stark nachgeholfen, oder? Die Wahrscheinlichkeit, bei soviel Einsatz, auch was zurückzuerhalten ist doch überzufällig hoch, nicht?
🙂 susan