So, nach dem Löschen einiger überfluüssiger OT-Beiträge, versuch ich mich mal an einigen Erklärungen.
Die begründet sind auf eigenen Erfahrungen, Beobachtungen bei Betroffenen und Elementen aus Psychologie/Fachwissenschaften.
Denn ich bin selber betroffen, habe beruflich damit zu tun und insofern auch schon einiges an Fachliteratur und Gesprächen mit Experten intus
Vorweg: Was Momo sagt, ist sehr wichtig. Ritzen und Borderline sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist eine Krankheit, das andere ein Symptom dieser Krankheit. Man kann aber auch ritzen, ohne dass man Borderline hat.
Und teilweise geb ich House Recht. Vieles hat auch mit den Medien, gerade dem Internet zu tun.
Sicher sind auch früher Jugendliche von selbst auf die Idee gekommen, sich zu verletzen. Ohne, dass sie das irgendwo gesehen oder gelesen haben. Die meisten fangen ja auch nicht direkt damit an, sich zu schneiden, sondern ziehen sich Haare aus, schlagen sich, etc.
Ich denke schon, dass durch die Medien mehr Kids auf die Idee kommen, das auszuprobieren. Es geht ihnen in dem Moment schlecht (warum auch immer) und sie erinnern sich an die Folge von GZSZ, wo das Mädel sich geritzt oder an die Klassenkameradin oder den letzten Artikel über Emos in der Bravo und probieren das aus. Vielleicht hätten sie früher ne andere Lösung gesucht - vermutlich aber auch eine eher nicht so konstruktive, sondern eben auch Drogen oder Magersucht o.Ä.
Denn es hat viel mit der Persönlichkeit zu tun, welche Lösungswege man geht.
SVV ist eine Sucht. Auch wenn das für Außenstehende schwerer nachzuvollziehen ist als z.B. Nikotin- oder Alkoholsucht. Wobei es beim SVV verschiedene Suchtpotentiale gibt.
Zum einen ist es scheinbar (die Forscher sind sich nicht 100&ig einig, aber es wird stark vermutet) so, dass beim Ritzen Endorphine, also Glückshormone ausgeschüttet werden - ähnlich wie nach einer intensiven sportlichen Betätigung. Das erklärt auch, warum man immer stärker ritzt, im Laufe der Zeit.
Dazu kommt, dass das Ritzen von dem psychischen Schmerz ablenkt. Körperlicher Schmerz ist "leichter" zu ertragen als seelischer in dem Moment. Man ist darauf konzentriert, sich zu verletzen und ggf. hinterher zu versorgen. Hier gibt es natürlich auch Unterschiede. Für einige hat das Blut noch eine besondere Bedeutung, einigen ist das ordentliche Versorgen wichtig, andere machen gar nix damit.
Drittens ist es eine Bestrafung. Man fühlt sich selbst schmutzig, wertlos oder schuldig und bestraft sich dadurch. Auch das begünstig den Teufelskreis, denn immer dann, wenn man die Narben sieht, hat man wieder Grund, sich schuldig zu fühlen..
Viertens, das wurde von Lillyrose angesprochen, ist Ritzen eine Möglich, sich und den Körper wahrzunehmen. Das betrifft dann vor allem Opfer von Missbrauch/Gewalt. Menschen, die eine gestörte Selbstwahrnehmung haben und kaum noch in der Lage sind, etwas richtig zu fühlen. Die spüren ganz oft Leere und das Ritzen gibt ihnen durch den intensiven Schmerz das Gefühl, "da zu sein".
Fünftens gibt es auch einen Teil der Ritzer, die bewusst auch die Aufmerksamkeit/den Trost der anderen suchen. Viele verstecken ihre Wunden zwar, aber es gibt auch einige, die das nicht tun, die also damit ganz stark und offen nach Hilfe schreien (was aber auch leider nicht immer so verstanden wird)
Natürlich ist das nicht vollkommen logisch, wie bei jeder Sucht. Was ist logisch daran, sich mit Nikotin die Lunge schwarz zu färben? Was ist logisch daran, sich mit LSD das Gehirn weich zu ballern?
Zu der Mitläuferproblematik:
Ich denke, niemand MUSS sowas überhaupt tun. Es gibt immer andere, sinnvollere Lösungen.
Und ich denke, man sollte sehr aufpassen, bevor man da wertet. Jemand, der aus Mitläufergründen ritzt, hat auch Probleme. Nämlich zumindest mal mit seinem Selbstbewusstsein. Und gerade dann, wenn man dabei bleibt und es nicht (wie es ja auch vorkommt) bei drei, vier Striemen mit dem Schulzirkel belässt, dann sind da auch Probleme, die man vielleicht nicht so sieht.
Ich denke, die Schwierigkeit liegt da auch sehr in der Gesellschaft, in der Jugendliche mit ihren Alltagsproblemen (die ja heute teilweise viel schwieriger sind als noch vor einigen Jahren) im Stich gelassen werden, die finden keinen Halt.
Dennoch ist Liebeskummer genauso wie Stress mit den Eltern, schlechte Noten, Einsamkeit, Mobbing oder Missbrauch ein "gleich guter oder schlechter" Grund, sich zu verletzen. Denn Probleme sind immer subjektiv. Und wer sich an seine Jugend erinnert, weiß vielleicht noch, wie dramatisch ihm eine Sache erschienen ist, über die er heute nur noch müde lächeln kann. Ich warne also wirklich dringend davor, sogenannte "Moderitzer" zu belächeln. Der Abstand zwischen oberflächlichem "Testritzen" und einer Sucht ist sehr, sehr gering.
Was ich noch erwähnen möchte, sind die Begriffe die Momo schon genannt hat, denn die spielen sicher alle eine Rolle beim Thema SVV:
- PTBS - das bedeutet posttraumatische Belastungsstötung und bezog sich ursprünglich auf Soldaten mit Kriegstraumata. Hier steht es oft im Zusammenhang mit den Folgen, mit den Missbrauchs-/Gewaltopfer zu kämpfen haben.
- Borderline - ist eine psychische Krankheit, bei der SVV zum Krankheitsbild gehört. Ich möchte nicht abstreiten, dass es diese Krankheit gibt, allerdings ist mit der Diagnose das passiert, was man auch schon bei ADS oder Burnout beobachten konnte. Sie wird oft sehr leichtfertig vergeben (unzureichende Untersuchungen durch den Arzt) und die Betroffenen wünschen sich teilweise auch gerne diese Diagnose, damit sie eine Erklärung/einen Namen für ihr Verhalten haben. Da sollte man also skeptisch sein und genau schauen, wer und wie die Diagnose gestellt wird... Internettests reichen da sicher nicht aus.
- SVV ist übrigens auch öfter bei Menschen mit Behinderungen (meist schweren) zu beobachten - das nur am Rande. Hier scheint es dann oft um den Aspekt "sich spüren" oder "Aufmerksamkeit bekommen" zu gehen.
Da das Thema sicher hier auch noch aufkommt:
Emos: hier besteht ja immer das Vorurteil, dass sich alle Emos ritzen und gegenseitig dazu anstacheln. Ist so natürlich Blödsinn. Emo ist ein Lifestyle, den man verstehen/teilen kann oder nicht, hat aber erstmal nur am Rande was mit SVV zu tun.
Wenn man sich jetzt aber ansieht, was die Aussage von Emos ist oder zumindest, wie die meisten Emo interpretieren, dann stößt man natürlich auf eine Gruppe, die von oben genannten Problemen betroffen ist. Und damit ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass dort vermehrt zu Suchtmitteln gegriffen wird. Und dann ist auch gruppendynamisch erklärbar, dass die meisten das gleiche Mittel wählen...