Für ihn heißt Therapie jedoch direkt, man ist krank, dass man nur zum Therapeuten geht, wenn jemand nicht ganz ,,dicht’’ im Kopf ist.
Verstehe. Aber da hat Dein Bruder ein
Vorurteil im Kopf. Es ist eine Frage der Definition. Ein Therapeut ist jemand, der auf Grund einer speziellen Ausbildung befähigt ist, sich besser in andere Menschen hineinzuversetzen und diese zu verstehen. Daher kann man sich mit einem so ausgebildeten Menschen auch besser über das Leben unterhalten, als mit vielen anderen Menschen.
Jetzt kann es leicht passieren, dass Dein Bruder einem Freund eine problematische Situation erklärt und hinterher feststellt: "Er hat das Problem der Situation - oder mich - immer noch nicht verstanden." Oder Dein Bruder erhält von seinem Freund zu einer Entscheidungssituation einen tollen Tipp. Und weil beide nicht über genügend Lebenserfahrung verfügen, sehen beide nicht, dass der Tipp überhaupt nicht toll ist und mehr Probleme verursacht - als löst.
Ein Therapeut ist einfach ein neutraler Gesprächspartner, der Deinem Bruder hilft, problematische Situationen besser zu verstehen und möglichst gute Entscheidungen zu treffen. Du bist so eine Art Erzieher und stellst Regeln auf: "Du darfst - Du darfst nicht" oder "Du sollst das tun..." Der Therapeut ist auf der Linie: "Ich helfe Dir besser zu erkennen, was Dir weiterhilft und Du entscheidest, ob Du dem Gedanken folgst und was Du letztendlich machst."
Der Therapeut hilft seelische Belastungen gut zu verarbeiten, die z.B. entstehen, wenn man von Eltern abgelehnt oder schlecht behandelt wurde. Solche Erlebnisse verursachen seelische Wunden. Beispiel: Eine Mutter verletzt mit ihrem Verhalten ihren Sohn. Der Sohn entwickelt aufgrund dieser Verletzung eine Abneigung gegen Frauen und behandelt Frauen, die ihn unbewusst an seine Mutter erinnern, schlecht. Er selbst muß noch nicht einmal wissen, warum er tut was er tut. Würde man den Sohn fragen, warum verhältst Du Dich so, dann würde er vielleicht antworten: "Weil diese Frau blöd oder schlecht ist." Dafür hat er vielleicht sogar ein Beispiel. Der wirkliche Grund für sein Verhalten ist der Schmerz, der ihm vor x Jahren zugefügt wurde. Diese eine "blöde Frau" hat ihn lediglich daran erinnert, ohne dass es ihm
bewusst ist.
Der Therapeut hilft quasi beim Verbinden solcher Wunden und streut das richtige Puder darauf. Ist die Verletzung geheilt, dann können wir auch mit Menschen verträglich und fair umgehen, die uns unbewusst oder bewusst an die Mutter erinnern.
Helfen Dir diese Beispiele, um bei Deinem Bruder das Vorurteil aus dem Kopf zu räumen?
Ich denke, ein dritter neutraler Gesprächspartner wäre schon auch für Dich eine Entlastung. Jetzt kann es schon eher mal passieren, dass Du an eine Grenze kommst und falsch reagierst. Ich denke auch, dass z.B. ein regelmässiges Abendessen gemeinsam ihr beide mit dem Onkel auch eine gute Sache ist. Durch Gespräche, die im Vorfeld geführt werden, durch Meinungsaustausch "was würdest Du machen?" lernen alle. Ein Therapeut könnte dann als weitere Ergänzung sinnvoll sein, wenn eben Dein Bruder weder mit Dir noch mit dem Onkel bestimmte Dinge, die ihn belasten, besprechen will und mal hören will, was dieser dazu sagen kann.
Rat suchen ist was für Kluge!
Einen Satz, den ich evt. ganz nebenbei immer wieder mal einstreuen würde: "Ein kluger Mann sucht sich Rat und stellt Fragen - ein dummer Mann weiss immer alles alleine besser."
LG, Nordrheiner