Hi Yamakasi!
Wie geht es dir inzwischen? Ich bin gerade zufällig auf deinen Hilferuf gegoogelt, weil ich selbst nach etwas mentalen Beistand gesucht habe. Also zunächst einmal: Ich hoffe du hast damals diesen ganzen Entgiftungs-Schnickschnack aus dem unteren Beitrag nicht zu ernst genommen. Es ist schon faszinierend was sich Menschen alles für Antworten auf unerklärliche körperliche oder geistige 'Phänomene' ausdenken.
Nun zu deinem Problem. Ich kenne deine Symptome und Gedankengänge nur all zu gut, denn ich habe sie alle am eigenen Geist und Körper erfahren und erfahre sie noch.
Es begann bei mir von einen auf den anderen Tag, als ich dreizehn war und ganz ohne irgendwelche Rauschmittel. Zunächst war es plötzlich so, dass wenn es draußen zu Dämmern begann, es auch in meinem Kopf bzw. meiner Wahrnehmung zu dämmern anfing. Dabei waren das Bewusstsein und die Wahrnehmung meiner ersten zwölf Jahre sowas von klar gewesen!
Die Symptome weiteten sich aus. Ich hatte nun immer öfter das Gefühl, als würde ich alles was ich an Sinneseindrücken (visuell, akustisch, Berührungen etc.) wahrnahm irgendwie gedämpft erfahren. Wie durch eine Art Filter. Ich hörte und verstand alles, was meine Freunde etc. zu mir sagten, ich konnte mich auch weiterhin ganz rational mit ihnen unterhalten, aber es fühlte sich so an, als wäre mein kognitives Wahrnehmungszentrum wie von Watte umgeben. 'So als wäre ich ein Roboter...' versuchte ich diesen Zustand damals immer meiner Mutter zu erklären. Alles kam irgendwie nur emotional gedämpft, nebulös dort an, wo ich zuvor immer alles klar wahrgenommen hatte..
Dieser Zustand ist natürlich sehr beunruhigend. Es gab zwischendurch auch immer klare Momente, aber diese 'Wahrnehmungsstörungen' waren nun für die nächsten Jahre mein ständiger Begleiter. Es gab sogar zwei drei Situationen, in denen ich einen absoluten Ich-Verlust verspürte. Ich wachte morgens auf und war wie weg im Kopf. Wie zugedeckt. Stattdessen regierte einfach nur noch ein unruhiges und beängstigendes Gefühl. So als wäre mein Körper erwacht und hätte mich irgendwo im Schlaf vergessen. Glücklicherweise kam das Bewusstsein in diesen Situationen immer nach einigen Minuten bis maximal ein zwei Stunden wieder zurück.
Wenn draussen die Sonne schien und wir einen klaren Tag hatten, ging es mir besser. Was in meiner Heimatstadt leider ein relativ seltener Zustand ist.
Diese Wahrnehmungsstörungen, denn als solche empfand ich sie, im Vergleich zum klaren Bewusstsein meiner Kindheit, hinterließen natürlich Spuren im Denken (was übrigens immer noch rasiermesserscharf funktionierte, aber eben nicht als mein eigenes empfunden wurde) und meinem Selbstbewusstsein. Ich fühlte mich mir entfremdet. Meine Gedanken und Alltagshandlungen fühlten sich irgendwie fremdgesteuert an oder besser gesagt, zwischen meinem von Nebelschleiern umwundenen Bewusstsein und meinen Gedanken und Erfahrungen war plötzlich die direkte Verbindung gekappt. Gruselig, ich weiß.
Zu meinem Vater sagte ich einmal während einer gemeinsamen Autofahrt, 'Es ist so, als würden die Säfte in meinem Kopf durcheinander strömen...'.
Die allergrößte Verunsicherung dabei entstand jedoch durch die Erfahrung, dass anscheinend niemand in meinem Umfeld diese Probleme richtig nachvollziehen bzw. selbst erlebt hatte. Scheiße. Zum verrückt werden!
Ich glaube, dass es mich damals sehr beruhigt hätte, wenn mir irgendjemand zur Seite gestanden hätte, der das selbe erlebt hatte. Aber stattdessen war ich damit komplett allein und meine Familie relativ überfordert.
Und jetzt wird's einfach. Denn ich will dir hier keine Vergiftungs-, Elektrosmog- oder Handystrahlungs-Theorien verkaufen. Ich habe auch kein Buch, keine spirituelle Religion oder Matrixverschwörung in petto. Ich kenne diese endlos Gedankenschleifen, Unwirklichkeitsgefühle, Realitätsverlust und Wahrnehmungsstörungen schlicht und ergreifend aus eigener Erfahrung..
Ich habe mich mit der Zeit einfach an diese Zustände gewöhnt. Ich merkte, dass ich trotzdem weiterlebte und sie nicht Vorboten einer schlimmen Erkrankung waren. Die Beunruhigung ging zurück und ich akzeptierte diese Wahrnehmung und Gedanken, diese Selbstzweifel und Ängste als einen neuen Teil von mir. Mit sechzehn/siebzehn kam ich klar. Mit neunzehn war der Spuk plötzlich vorüber - was sicher auch mit der Veränderung meines Umfeldes zusammenhing. Mit zwanzig fühlte ich mich wieder vollständig im Fluss und stärker und besser als je zuvor. Mit 21 hatte ich dann diesen beschissenen Sportunfall (und das, obwohl ich mich bis dahin unzerstörbar gefühlt hatte. Ich wurde vier Stunden unter Narkose operiert, lag anschließend noch insgesamt sechs Wochen im Gips - und Hallo! Die Krise war wieder da.
Und zwar mit dem Gedanken: 'Und was ist, wenn ich bei der Operation in Wirklichkeit gestorben bin und dies alles hier garnicht mehr real ist. Ich muss tot sein!'.
Viele kennen solche Gedanken. Andere lachen jetzt sicher über solche Verrücktheiten. Mein Problem war aber, dass ich emotional von diesem Gedanken überzeugt war (die Macht der Gedanken!) und plötzlich ging es für mich wieder abwärts in die dunklen Weiten (oder Tiefen) des eigenen Bewusstseins..
Mein Vorteil: Ich kannte solche emotionalen und gedanklichen Zustände (Realitätsverlust etc.) ja nun schon von mir.
Mein Weg aus der Krise: Ein halbes Jahr übelste Paranoias, Gedankenkrebs etc. Und am Ende die schlichte Antwort auf alle meine Fragen und Zweifel:
'Du kannst jetzt richtig abdrehen, noch tiefer sinken und am Ende kommst du nie wieder aus diesem Loch heraus und lebst fortan dein restliches Leben in der Psychiatrie...
Oder Du bleibst hier in der Matrix, Realität oder als was auch immer dein Bewusstsein deine Lebenswelt bezeichnet und akzeptierst deine besondere Sicht auf die Welt, hinter der sich schlicht und einfach ein relativ feinsinniger, empfindsamer und intellektueller Geist befindet und wirst alt damit!'
Die Angst geht mit der Zeit. Man gewöhnt sich wieder an sich. Kann sich wieder ablenken und am 'Alltagsleben' teilnehmen. Gut ist es, wenn man eine Tätigkeit hat, in der man sich wiederfindet, mit der man im Fluss ist (Kunst, Musik, Literatur, schreib ein Buch, mach irgendetwas aus dir heraus) - jeder Geist braucht einen Spiegel in der Welt. Ausdruck und Feedback..
Gedankenkrebs ist der Nebeneffekt unsrer Zeit. Ein Mensch, der von Morgens bis Abends auf dem Feld arbeitet um am Ende des Tages etwas zu essen zu haben, ist einfach zu müde für solche Gedanken..
Und: Deine Gedanken sind ein mächtiges Instrument - sie können dich sogar verletzen. Also lerne besser mit ihnen umzugehen.
Ich bin inzwischen 35 - und stecke gerade wieder bis zum Hals drin
Was für ein wunderbares Leben, nicht wahr? Wir lernen immer wieder neue Seiten an uns kennen. Machs gut, das wird schon..
Und denk dran (ohne Verfolgungsängste zu bekommen
- du bist nicht allein.
KS1502