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Monologe über mein Leben

Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Es muss einfach raus. Ich weiß nicht mehr, wohin damit. Mit all dieser Scheiße.

Früher habe ich viel gebloggt. Damit habe ich aufgehört. Jetzt schreibe ich wieder viel in mein Tagebuch. Oder in das Google Docs Dokument, das ich "Meine Biografie" nenne, um irgendwie mit meinem Leben klarzukommen, meine Erlebnisse irgendwie einzuordnen, sie zu verstehen und mit ihnen klarzukommen. Es tut sehr gut und hilft mir oft. Bis mir der nächste Stolperstein im Leben begegnet, ich wieder vor Ratlosigkeit tagelang lethargisch am Boden liege und verzweifelt versuche meine Gedanken und die Scherben von dem, was ich einmal "Mein Leben" genannt habe, aufzuheben und wieder zusammenzusetzen.

...

"Das kann nicht gutgehen. Mein Verstand sagt mir, daß es viel besser wäre, die Dinge auf sich beruhen zu lassen und den Staub der vergangenen Jahre von den Ereignissen und ihren Ursachen nicht fortzuwischen. Wenn es an mir läge, ich würde nicht in der Vergangenheit graben. Die Wahrheit wird vielen Leuten nicht gefallen.

Nur wenige werden verstehen, was ich hier berichten werde, und noch weniger werden es hinnehmen wollen. Aber worauf mein Enkel und mein Schwiegersohn schon so betont hinwiesen,
wird die Geschichte erzählt werden, und wenn ich es nicht tue, findet sich jemand anderes. Aber da ich allein den Anfang, die Mitte und das Ende kenne, obliegt es mir, dem vergänglichen Pergament mit Tinte, die verblaßt, noch ehe sie trocknet, die kurzlebige Schilderung dessen anzuvertrauen, was wirklich geschehen ist - und warum.

Deshalb werde ich nun die Geschichte beginnen, dort, wo alle Geschichten ihren Anfang nehmen - am Ursprung des Lebens und der Zeit."


Zitat aus "Belgarath der Zauberer" von David und Leigh Eddings, 1. Kapitel, Seite 25

...

Also: es geht los.

EDIT: aber zuvor noch 'ne ganz allgemeine, zumindest leichte triggerwarnung. es geht um depressionen, suizidale gedanken, diskriminierung, rassismus, außerdem bin ich selbst auch stellenweise "rassistisch" (ihr gottverdammten almans!) oder benutze zumindest rassistische und auch sonst sehr beleidigende wörter. außerdem vergesse ich konstant das gendern. glaub ich. sorry for that. achso: und grenzenloses selbstmitleid. das gibts hier auch:).
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Ich beginne mit der Frage, die mich schon mein Leben lang begleitet:

"Was zur Hölle bin ich eigentlich?"

Mutter Türkin. Vater Kurde. Ich: Berliner. Durch und durch. Ich liebe diese Stadt. Bin verbunden mit ihr, bis auf's Blut. Besonders die zwei Bezirke, in denen ich aufgewachsen bin, liegen mir sehr am Herzen: Der Wedding und der Bezirk Reinickendorf. Ich bin wahrscheinlich kein typischer Berliner. Berlin kenn ich ganz gut, viele Ecken, ob gut, ob schlecht, auch wenn mein Orientierungssinn absolut katastrophal ist. Aber dennoch merke ich, dass viele Zugegezogene diese Stadt teilweise besser und genauer kennen, als ich. Besonders dem Berliner Nachtleben kann und konnte ich nicht allzuviel abgewinnen. Außerdem war das ja quasi Selbstmord, hier in Berlin.

Aber der Westen Berlins ist meine Heimat. Das steht fest. Hier fühle ich mich wohl, wie nirgend' sonst auf dieser Welt (auch nicht in Panama).

Aber seit der AfD und der daraus folgenden subjektiven Erkenntnisse über das deutsche Volk, ist selbst diese Identität in Gefahr. Der Berliner in mir is nur noch am kotzen, sach ick euch. Meine letzten Freundschaften mit deutschen Menschen sind zerbrochen unter starken, politischen Konflikten. Und starken psychischen, seelischen Schmerzen meinerseits. Ich habe sie alle verloren.. Die Gregors, die Saschas, die Tims, die Michaels.. Wir sind keine Freunde mehr. Sie sind weiß. Und ich bin ein Schwarzkopf. Berliner diskriminieren Berliner. Bis heute bin ich traurig um sie und die verlorene Freundschaft.

Ich fühle mich zum ersten Mal ausnahmslos zu Menschen mit Migrationshintergrund hingezogen. Und schäme mich dafür, das es nicht immer so wahr. Das ich der deutschen Integrations-Lüge auf den Leim gegangen habe. Wo sind meine Orden? Meine Preise für mein perfektes deutsch? Dafür das ich nicht religiös bin? Nie kriminell war? Nie Frauen belästigt habe und immer versucht habe alles und jeden mit Verständnis und Respekt zu begegnen.

Lan, ich bin im Wedding aufgewachsen, unter Gesamt- und Hauptschülern, als einziger Gymnasiast und ich dachte ich wäre irgendwas besseres als diese Scheißwichser, die da draußen nichts anderes tun als Scheiße bauen, egal ob deutsch oder türkisch oder kurdisch oder WHATEVER.

Fu**. WIESO HABE ICH DAS GEMACHT? WIESO HABEN MICH MEINE ELTERN NICHT GESCHÜTZT?

...

Bis ich vier Jahre alt war, konnte ich nur türkisch. Fast fließend. Dann kam ich in einen deutschen Kindergarten. Eines Tages holte mich meine Mutter vom Kindergarten ab und ich sagte ihr, dass ich nie wieder türkisch sprechen wolle. Sie nahm es nicht wirklich ernst. Der Junge würde doch nicht seine Muttersprache verlernen, die er fast fließend beherrschte.

Doch der Junge zog durch. Hardcore. Ich verlernte meine Muttersprache. Bis heute steht zwischen mir und der türkischen Sprache eine riesige, unsichtbare Mauer. Ich kenne die Worte, doch sie wollen mir oft nicht einfallen. Später dann, wenn das Gespräch schon längst vorbei ist, purzeln sie mir wieder in mein Bewusstsein.

Ich frage mich bis heute, was damals wohl passiert ist, im Kindergarten. Rassismus? Beschissene Kinder? Beschissene Erzieher?

Irgendwann kam ich auf die wahrscheinlichste Lösung: Ich fühlte mich nicht gehört. Ich hatte Hunger. Oder wollte auf Toilette. Oder meine Mama. Oder sonstwas. Doch da war niemand, der mich verstehen konnte, selbst wenn er wollte.

Sie hörten meine Worte, aber sie verstanden mich nicht. Das kann für ein Kleinkind traumatisch sein, je nachdem, was es in dem Moment braucht und wie darauf reagiert wurde. Wurde ich ignoriert? Wurde falsch reagiert auf irgendein starkes, individuelles Bedürfnis? Es muss mich schockiert haben - so sehr, dass ich die Sprache, die ich bis zu diesem Tag an mit meinen Eltern, meiner Familie und allen anderen hauptsächlich benutzte und fließend beherrschte, schließlich fast vollkommen vergaß.

Um so länger ich auf dieser Welt bin, um so mehr sich der Schleier der Naivität lüftet, um so mehr merke ich, wie sehr es mich beeinflusst hat, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auch wenn sich der vollkommene Umfang dieses "Sprachtraumas" niemals vollständig nachvollziehen lassen wird.

Ich fühle mich seitdem nicht mehr wie ein Türke. Seitdem wollte ich mich unbedingt wie ein Deutscher fühlen. Wie jemand, der "dazu gehört". Zu den Menschen in Deutschland. Den Deutschen halt.

Ich liebte die Kinder und meine Erzieher im Kindergarten sehr. Sie waren alle so toll. Aber alles Almans. Keine anderen türkischen Kinder oder Erzieher.

...

Wie vielen Kindern ist das noch passiert?

...

Ich fühle mich so einsam. Wieso merke ich erst mit 30, dass ich niemals dazu gehören werde. Niemals als "deutsch" gelesen werde, egal was ich tu’, egal, wie ich mich gebe. Egal, was ich jemals erreichen werde oder erreichen könnte.. Es wird immer jemand da sein und sagen: Du bist nicht genug. Du bist anders.

Wieso dachte ich so lange, dass Deutschland anders wäre? Dass die Rassisten aus den Staatsapparaten, aus den Ämtern, aus den Bücherregalen verbannt worden sind? Dass dieses Land alles dafür tut, damit sich nie wieder "die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen"?

Und jetzt sitzen diese Menschen da und dürfen das über mich sagen, schreiben und veröffentlichen. Und über unsere Leute im Wedding, in Kreuzberg, Neukölln. Hart arbeitende Menschen. Meine Cousins und Cousinen. Meine Opas. Meine Omas. Neno und Annanne. Dedo und Dede. Wie Sklaven, wie Tiere haben sie gearbeitet und ihren Dreckslohn bekommen. Keine Abfindung, unter Bedinungen unter denen damals wie heute die wenigsten Deutschen bereit oder in der Lage sind das länger durchzuziehen. Jahrelang haben sie es gemacht. Für Familie, Stolz und Ehre. Für Wohlstand. Und es hat sich sogar "gelohnt" für sie, weil sie schlau mit dem Geld umgegangen sind und es gut angelegt haben.

Und die Deutschen stehen auf diesen rechten Content. Und wie. Sie kaufen die Bücher. Klicken die Artikel. Diskutieren monatelang über irgendwelche arabischen Clans, die einen minimalsten Bruchteil Berlins, Deutschlands, der hier lebenden arabischen Menschen ausmacht und nicht ansatzweise das gleiche Ausmaß an flächendeckender Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen, wie deutsche Rechtsextreme, Nationaliten, Kapitalisten, Neo-Liberalisten, Politiker, Aktienhändler, Anwälte, christliche, pädophile, fundamentalistische Priester und andere Kriminelle.

...

Whatever.

...

10 Jahre im Wedding gelebt. Soldiner-Kiez. Koloniestraße. Schlimmste Ecke Weddings. Auf drei verschiedenen Grundschulen gewesen, zwei von denen waren fast rein mit Schwarzköpfen besetzt. Keine einzige Schlägerei, Gewalt, Kriminalität erlebt. Vollkommen normale Kids.

Dieses ganze Gelabere über Berlin.. Echt.. Kotzen könnt ich. Fünf Jahre in Kreuzberg/Neukölln gearbeitet, jeden Tag die U8 gefahren, die "Drogendealerstrecke". NICHTS PASSIERT. NICHTMAL EIN FUCKING POLIZEIEINSATZ MITERLEBT.

Im Gegensatz dazu: So unglaublich viele positive, erfrischend verrückte Menschen, Orte und Kultur aus Kreuzberg kennengelernt und erlebt, dass ich mir immer mehr wünsche, einmal dort zu wohnen (was in der aktuellen Wohn- und Mietsituation in Deutschland absolut unmöglich scheint, aber man darf ja wohl noch träumen dürfen). Die Armut und Obdachlosigkeit, die man dort sieht und erlebt, ist wirklich krass. Das war's dann aber auch.

Ich schwör's euch, das ist meine Superkraft, da wo ich auftauche, verschwindet auf einmal all die brutale Gewalt, Kriminalität.

...

Also ja, um wieder zurück zur Identität zu kommen: Ich bin ein Berliner. Bin mir da aber nicht mehr so sicher. Ein Türke, der kein türkisch spricht. Ein Deutscher, der niemals von anderen als Deutscher wahrgenommen wird. Und meine kurdische Identität ist fast überhaupt nicht existent. "Der Berliner" ist das einzige, an das ich mich geklammert habe. An das ich mich klammern konnte. Bis vor kurzem noch..

Ich weiss, das ich extrem deutsch sozialisiert bin. Und mich selbst auch als "deutsch" lese. Und doch fühle ich mich durch vergangene Erfahrungen mit deutschen Freunden und dem Erstarken der AfD und anderen rechten, rassistischen Tendenzen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft.. so türkisch, so "ausländisch" wie noch nie in meinem Leben.

...

Ich find die amerikanische Bezeichnung dafür immer so abgespaced: Alien. That's what I am, baby: A god-damn, frckn alien. so come into my tentacles and let me EAT YOUR BRAINZZZZzzz.

...

Es macht mich fertig. Es belastet mich mittlerweile in fast allen Aspekten meines sozialen Lebens, in meinem Denken, in meinem Handeln - in meinem Sein.

Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass es in Deutschland jemals wirkliche Toleranz oder Solidarität für Menschen wie uns geben wird. Ich werde mir "Ausländer" als Freunde suchen müssen. Das sagt mir mein Gehirn. Gleichzeitig.. Gleichzeitig habe ich Hoffnung.. Dass das alles irgendwie nur subjektiv ist. Das alte, innere Narrativ.. "Du bist das Problem und die Art und Weise, wie du damit umgehst. Du musst nur.. die richtige Person finden, die richtige Art damit umzugehen oder dich einfach ändern!"

Aber ich habe keine Kraft mehr. Ich möchte nie wieder abgelehnt werden. Nie wieder wegen meines äußeren anders behandelt werden. Ich möchte einfach nur leben. Gemeinsam mit meinen Mitmenschen. In den Park gehen und keine Angst haben, dass alles denken, dass ich.. exactly was bin?

Was bin ich.. Für euch? Ich habe keine Ahnung mehr. Ein Monster? Ein Stereotyp? Ein Mensch? Was bin ich für euch? Ich raff das halt einfach nicht mehr..

...

Ich glaub ich bin fertig. Ich glaub, ich wollte hier was vollkommen anderes schreiben. Aber irgendwie hat es auch gut getan? Kein Plan.

Bye.
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Ich fühle mich Scheiße. Und weiss nicht wohin damit.

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Den ganzen Tag mit meinem Vater geschrieben. Die ganze Zeit Hoffnung gehabt, das er endlich.. nach zwanzig Jahren.. Vieleicht doch noch die magischen Worte sagt. "Ich verstehe dich mein Sohn. Ich kann dich nachvollziehen. Ich habe das was du durchgemacht hast auch durchgemacht, ein bischen anders, aber ähnlich. Das was du durchmachst ist nichts Schlimmes. Du kommst da raus. Lass mich dir helfen."

Diesmal habe ich ihm das sogar direkt so gesagt. "Papa, du hast mir nie sowas gesagt. Wieso?". Und er spielt sein Dauerprogramm auf Endlosschleife ab:

"Es tut mir weh, dass du das schreibst. Viele sind neidisch über uns. Ich kann das nicht ertragen. Alles was ich sage, ist bei dir negativ. Ich schreibe dir: Ich liebe dich, ich bin stolz auf dich.", sagt er

Nur spiegelt sein Verhalten absolut nichts davon wieder.

Kein: "Ich verstehe dich. Ich kann dich nachvollziehen."

Ich werde diese Worte, dieses Verständnis niemals von ihm bekommen. Immer nur Aggression, Anschuldigungen, eskalierende Gefühle.

Ich bin wirklich gezwungen, den Kontakt zu meinem Vater einzuschränken. Abzubrechen? Ich kann es nicht fassen und verzweifle dran. Eine positive Zukunftsperspektive habe ich damit nicht mehr. Meine ganze Identität, meine ganze Existenz hing immer von der Liebe meiner Eltern ab. Von meiner Familie.

Sie waren alle immer so stolz auf mich als Kind. All diese Erinnerungen und Erlebnisse, die ich habe an so viele unglaublich schöne Zeiten. Ich wollte sie stolz machen, mehr als alles andere. Heute sehe ich die Enttäuschung in ihren Gesichtern und es zerstört mich. Ich höre ihre zweifelnden Worte, ich spüre ihre sich abwendenden Blicke. Der Kontakt mit ihnen fällt mir schon seit langem schwer.

Nun hat es auch meinen Vater erwischt.

...

Die selbst-auferlegte Einsamkeit und Isolation, genährt durch Lethargie, nie wirklich korrekt verarbeiteter Traumata, eine nicht existente Therapie.. Fickt mittlerweile einfach nur noch meinen Kopf.

Ich fühle mich einfach niemandem mehr verbunden. Alle Menschen, die ich kannte, sind so weit weg von mir. Es fühlt sich nicht schön an. Ich habe Angst davor, wo diese Gedanken, die so früh schon angefangen haben, irgendwann enden.. Damals.. Als ich zwölf war hat es irgendwie angefangen.

Heute ist es wieder besonders schlimm.

Aber ich krieg das schon hin.
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Als ich 12 war hat es angefangen.

Ich bin in die 7. Klasse gekommen. Damals sind wir auf Klassenfahrt gewesen. Ich war duschen. Es war dunkel. Das Licht ging nicht. Im Bad war ein riesiges Fenster mit milchigem Glas und der Mond schien hell, sodass ich mich trotz Dunkelheit und Brillenlose Sehschwäche trotzdem gut zurechtfand.

Ich duschte. Plötzlich blitzte es. Ich dachte mir nichts dabei. Gewitter halt. Fertig geduscht und noch gewundert, das draußen gar kein Gewitter ist. Da haben mir wohl meine Augen einen Streich gespielt.

Hatten sie nicht.

Eine Woche später, zurück in Berlin. Kunstunterricht. Wir malen Blumen. Steffi sitzt neben mir. Sie war ein bischen komisch, aber trotzdem.. Ich mochte Steffi.

Plötzlich schiebt sie mir ein Foto von rechts in mein Sichtfeld.

"Hier. Für dich."

Ich erstarre. Auf dem Foto: Ich. Nackt. Unter der Dusche. Ein Filter legt sich über das Bild. Meine Hände: klar und deutlich - das Bild in meinen Händen: unscharf. Tränen schießen mir in die Augen. Ich gerate in Panik, bleibe aber ruhig. Ich schiebe das Bild wieder zurück auf ihre Seite.

"Willste nicht? Dachte du willst das behalten?". Ich schüttle einfach nur den Kopf. Blume weitermalen. Weitermachen. Es ist nicht passiert.

Der Lehrer merkt, das auf einmal Unruhe in unserer Ecke ist und kommt rüber. Plötzlich steht er neben mir? Hinter mir? Über mir? Sieht das Foto. Und lacht.

Er lacht. Kichert kurz. Dreht sich um. Geht zu seinem Tisch. Setzt sich hin. Und sonst nichts.

Wie ich den restlichen Tag durchgestanden habe? Ich habe keine Ahnung. Danach wahrscheinlich auf die große Pause. Mit den Jungs. Über die letzte King of Quens Folge gequatscht. Ist ja nichts passiert.

Endlich zu Hause: Die Seele aus meinem Körper geheult. Im Zimmer eingeschlossen. Eltern geklopft: Essen! Gegessen. Nichts anmerken lassen. Ist ja nichts passiert. Fertig gegessen. Zurück in mein Zimmer. Weitergeheult.

Was hatte ich falsch gemacht? Womit hatte ich das verdient? Und: Warum ich? Wieso nicht.. Irgendein anderer.. Was war so fucking falsch an mir das sich Steffi dachte.. Das sie so etwas machen konnte? Und wieso hat der Lehrer nur gelacht? Was.. hatte sie in mir gesehen? Wie hat sie mich gesehen?

Und wer hatte alles dieses Foto gesehen? Wem hatte sie es allen vorher gezeigt? Und danach? Komischer Weise musste ich auch oft daran denken, dass den Film ja auch irgendjemand entwickelt hat. Hat der das dann auch gesehen? Im Fotolabor? Wieso hat der nichts gemacht?

Wieso passierte sowas eigentlich? Allgemein? Was ging da eigentlich vor, in so einem Menschenkopf, der dachte, so etwas einfach machen zu dürfen.. Das war.. Gemein.. Das war Ungerecht! Jawohl!

Wieso hatte ich ihr das Foto zurück gegeben? Wieso habe ich es nicht behalten? Es zerrissen? Aufgestanden und sie angeschrien? Warum war ich.. so schwach gewesen und hatte dort einfach nur gesessen..? Und mich nicht gewehrt. Nur in Panik geraten und Tränen in den Augen gehabt. Und sie saß einfach nur da. Vollkommen gelassen.

...

Das war damals an einer ehemaligen Mädchenschule. Wir waren 7 Jungs. Und 23 Mädchen. Wir waren alles Nerds und.. einfach Jungs. Spätestens ab der 8. Klasse fingen einzelne Mädchen an, richtig gemein zu uns und auch besonders zu mir zu sein. Es waren wirklich nur drei, vier Mädchen, die regelmäßig Stress machten, also definitiv nicht repräsentativ für alle. Aber erlebte ich regelmäßig Sprüche über unser Aussehen, subtile Verarsche und erniedrigende Erlebnisse. Auch wenn ich definitiv den meisten Shit erlebte, bekamen auch die anderen Jungs ihr Fett weg. Außerdem interagierte ich auch viel mehr mit den einzelnen Mädchen, als die anderen Jungs.

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Auch 7. Klasse: Jenny. Das hübscheste Mädchen der Klasse. Drei Jungs wollten sie. Ich bekam sie. Also theoretisch. Praktisch war es dann doch ein ziemliches Desaster.

Ich stand auf Jenny. Und Jenny stand auf mich. Wie ich das geschafft habe, als schlacksiger Schwarzkopp mit Hornbrille, Baggyhose und Gelgeschwängerten Igelhaaren, von dem grad ein ziemlich peinliches Nacktfoto durch die Klasse trudelte? Kein fucking Plan. Ich hatte sie monatlang verliebt angestart und angeschmachtet, irgendwann Nummern, SMS und ASCII Bilder ausgetauscht (Nokia 3210 4 life!) und irgendwann saß ich halt da, in unserem Wohnzimmer, damals in der Wollankstraße, mitten im tiefsten Weddinger Ghetto.

Ich spüre immer noch den rauen Teppichboden unseres Wohnzimmers unter mir. Ich liege auf dem Bauch. Und schreibe mit Jenny. Irgendwann fasse ich mir ein Herz und schreibe ihr: "Jenny, ich liebe dich. Liebst du mich auch?"

Ich schickte die SMS ab. Und raffte SO-FORT: Gottverdammte Scheiße, was hab ich bloß getan? Ich sprang auf. SHIT! Was wird sie antworten? Das Handy lag weiter auf dem Boden. Ich traute mich kaum, es anzuschauen. Meine Eltern waren von der Arbeit noch nicht nach Hause gekommen und ich war alleine in der Wohnung. Ich lief hin und her, konnte selbst kaum fassen, was ich gerade getan hatte und.. Da vibrierte mein Handy.

Ich hechtete hin und las die Nachricht: "Ja, ich liebe dich auch!" Smileyface.

Boom. Dieses Gefühl. Das hatte ich noch nie empfunden. Was war das.. War das.. Liebe!? Das musste Liebe sein.. Dieses Gefühl.. War einfach zu krass.

Wir schrieben noch ein paar mal hin und her und verabredeten uns morgen früh vor der ersten Stunde in der Cafeteria. Und ich gehe glückselig ins Bett und schlafe ein.

...

Nächster morgen. Aufgewacht. ABSOLUTE PANIK! ICH! JENNY! WAS!? Ins Badezimmer. Wasser ins Gesicht. Kurz in Spiegel geschaut und: PICKEL! DICKER. FETTER. EITERPICKEL. IN DER FRESSE. Fickdiehenne!

Ich bekomme Panik. Ich treffe gleich das Mädchen, der ich meine Liebe gebeichtet habe. Die behauptet, sie liebe mich auch. Fuuuuuuuuuuuu.. ck.

Also, angezogen, gefrühstückt, auf zu Schule. Adrenalin galore. Ich steige aus dem Bus, laufe zur Schule, öffne die Tür zur Cafeteria. Und da stand sie. Mit Karo. Am anderen Ende der Cafeteria.

Ich mache natürlich den einzigen souveränen Move, der mir einfällt: Ich drehe mich schnurstracks um - und gehe. Raus aus der Cafeteria. Rein in den Unterricht. Ich bin vollkommen verwirrt. Von mir selbst. Von ihr. Von der Welt. Das war keine Liebe. Liebe war.. sollte ein schönes Gefühl sein. Das was ich fühlte, war aber ein echt beschissenes Gefühl.

Was am Rest des Tages passierte, daran erinnere ich mich nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich ihn irgendwie so schnell es ging hinter mich gebracht, bin nach Hause gerannt, hab mich in mein Zimmer eingeschlossen.. Und geweint.

...

Und es wurde noch beschissener.

Wir hatten kein Wort mehr miteinander geredet, seitdem wir uns in der Cafeteria getroffen hatten und ich abgehauen bin. Eine Woche später sah ich sie dann im Flur vor dem Klassenzimmer - in den Armen eines anderen Typen. Irgendwie redete ich mir ein, dass es mir egal war. War ja meine Schuld. Ich verstand immer noch nicht, wieso ich einfach so gegangen bin. Trotzdem heulte ich mir die Seele aus, als ich nach Hause kam. Nicht weil sie 'nen neuen hatte. Naja, ok das auch. Aber hauptsächlich weinte ich wegen meiner Dummheit. Wegen meiner Fehlerhaftigkeit. Warum hatte ich das getan? Wieso war ich nicht einfach zu ihr gegangen? War ich so eine Pussy?

...

In den darauf folgenden Jahren war ich immer wieder im Fokus von Jenny.. Um so älter und.. "weiblicher" sie wurde, um so mehr zeigte sie mir persönlich ein stark ambivalentes Verhalten. Teilweise flirtete sie sehr hart mit mir, teilweise auch auf sehr erwachsener Ebene.. Haute aber immer einen Spruch hinterher, der mich lächerlich machte, ihren Flirt relativierte, zeigte, das sie sich eigentlich lustig über mich machte. Ich war dadurch unglaublich verwirrt..

Ich fing ab der 8. Klasse an, Kontaktlinsen zu tragen. Da kam sie einmal zu mir, schaute mir ins Gesicht und fragte: "Sag mal, schielst du?"

Ich war mir damals nicht ganz so sicher. Aber ja, ich hatte/habe einen leichten Silberblick, mal mehr, mal weniger, je nachdem, wie müde ich gerade war und wie viel Energie ich noch hatte. Da ich bis dahin aber nur Brille trug und es dadurch bisher nicht so aufgefallen war, war ich mir dem noch nicht wirklich bewusst. Das wurde erst mit den Kontaktlinsen ein Thema.

"Schielo. HA! SCHIELO!" Ich blieb stumm. Sie tanzte, schrie den Namen, wiederholte ihn, mitten in der Klasse. Ich weiß nicht, wie oft sie das machte. In meiner Erinnerung; nur an diesem Tag. Dennoch trage ich dieses Wort seitdem in mir herum. Eine neue Bezeichnung, für das Monster in mir, das anscheinend alle sahen. Schielo.

Das Wort poppt bis heute immer mal wieder auf.. Wenn ich abends in der Bahn in den Fenstern mein Spiegelbild checke.. Wenn ich müde bin und mein Silberblick wieder etwas aggressiver wird.

"Schielo."
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
War es das..? War das der Grund wieso Steffi so zu mir war? Wieso Jenny so zu mir war? Weil ich schielte? Ein kleines bischen? Machte mich das schwach? Angreifbar..? Machte mich das so hässlich, das Menschen dachten, das mit mir machen zu können?

Dünn, dumm, schwach, 'ne Pussy - Und schielt. Ein grässliches Monster. Ein gefundenes Fressen.. Für andere Monster? War Jenny auch ein Monster? Aber eben ein "inneres Monster"? War sie einer der Menschen, von denen ich so viel in all den Geschichten gelesen hatte? Einer dieser Menschen, die äußerlich so wunderschön waren, aber innerlich so kalt und tot?

Auch wenn ich vieleicht für manche aussah wie ein Monster.. Ich wollte nie, zum Monster werden. Ich wollte nie das Monster werden, das andere in mir sahen. Ich spürte, wie das Monster, das andere auf mich projezierten, mich bedrohte.. Dieses Gefühl.. Anders zu sein. Abartig.. Ich spürte wie dieses Gefühl mich bedrohte. Es drohte mir, mich zu verschlingen. Mein innerstes. Es wollte aus mir das Monster machen, das andere sahen.

Das ließ ich nicht zu. Ich wollte nicht, das dieses Monster mein Herz, meine Seele, mein Gewissen, meine Art zu sein verschlingt und ersetzt. Ich wollte nicht wie Jenny werden, die zwar nach außen hin wunderschön war, aber innerlich offensichtlich schon so verkommen, dass sie mir regelmäßig weh tat und die Hölle heiss machte. Ich wollte keinen anderen Menschen weh tun, nur weil ich selbst verletzt war.

Denn das war es, was Jenny tat. Ich hatte sie verletzt. Mit meinem Verhalten. Und sie verletzte mich zurück. Unzählige Male.

...

Ich machte mir viele Gedanken darum. Wieso machte ich das nicht auch? Wieso versuchte ich ihr nicht mit Worten oder meinem Verhalten weh zu tun?

Früher oder später sah ich dann meine Mutter, meinen Vater, meine Schwester, meine Oma, meinen Opa oder irgendjemand anderes aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis und ich merkte: Deshalb. Weil ich so sehr geliebt werde und so viel Aufmerksamkeit bekomme. Und ich las weiter meine Bücher und erkannte auch, dass die Bücher mich immer dazu ermahnten, "besser" zu sein. Auf moralischer, ethischer Ebene.

Michael Ende. Astrid Lindgren. Rafik Schami. Tolkien. Welten in denen ich versinken konnte. In denen ich wackeren Helden folgen konnte und sie begleiten durfte auf unzähligen Reisen und Abenteuern. So viel Moral und Symbolik, soviel Diskurs über "Gut und Böse" und wie man sich verhalten sollte. Und das Rache nichts bringt. Das habe ich von all den Büchern. Von all den Geschichten. Von all den Filmen, all den Liedern. Von Michael Jackson.

Das wurde mir schon damals klar. Mit 12. Ich war gut. Ich war schlau. Wegen den Büchern. Wegen meiner Familie. Jenny war zwar hübscher und konnte auch besser rechnen als ich.. Aber ich war ein besserer Mensch als sie. Das wurde mir über die nächsten Jahre immerwieder, wenn auch auf sehr schmerzvolle Art und Weise, bewusst gemacht.

...

Ich weiss nicht, wie nichtig das alles erscheint. Aber ich habe mittlerweile das Gefühl, das diese beiden Erfahrungen mich besonders hart getroffen und beeinflusst haben. Ich hatte sowieso schon Stress mit mir selbst, mit der Pubertät, Stress durch meine Eltern, meinen Vater der mir Mathe beibringen wollte und mit dem ich regelmäßig sehr stark stritt und darüber sehr traurig war, meine Mutter die mich immer nur lächeln sehen wollte und unbedingt wollte, das ich erfolgreich, der "perfekte, psychisch, geistig und körperlich gesunde, normale Junge" bin - den jede Mutter, jeden Vater sich wünscht, der ich aber einfach nicht war.. Und nie gewesen bin.

...

Ich schloss mich so oft, so lange ein, in mein Zimmer und weinte so oft. So lange. Wieso merkten meine Eltern nichts?

...

Wieso ich über so viel Scheiße nachdenke und schreibe, die mir damals passiert ist.. Das raffe ich selbst oft nicht. Peter-Pan Komplex? Hängengebliebener Junge? Psychisch gestörter Mann?

Fakt ist, dass ich mich in extrem depressiven Phasen, nach bestimmten Erlebnissen und aktuellen negativen äußeren Einflüssen wieder zurückversetzt fühle. Wie ein 12-jähriger, kleiner, abgefuckter Junge, der einfach nur verwirrt ist... Der einfach nur Aufmerksamkeit, Liebe, Verständnis, Akzeptanz.. Und Ruhe braucht.

Mit 12 Jahren hat einfach so viel Scheiße begonnen, die sich bis heute, zwanzig Jahre später mit maximaler Kraft auf mein erwachsenes Leben auswirkt, mich niederschlägt und mich panisch werden lässt. Die Klassenfahrt und der Vorfall. Jenny. Erste Liebe. Erster Herzschmerz.

Außerdem ist das hier mein Tagebuch also ja. Fuckit. Ich schreib jetzt einfach weiter. Und zieh durch.

...

Also. Wo war ich?

Achso..

...

Yay. 7. Klasse.

Damals fing die Scheiße an.

Ich war so gut in der Grundschule gewesen. Alles fiel mir so leicht. Die Freundschaften. Der Inhalt. Das alles änderte sich auf der Oberstufe.

Meine Grundschulen waren voller Schwarzköpfe. Voller Ilkans, Anils, Serkans, Mehmets, Hasans.. Ich habe mich immer gut mit ihnen verstanden. Auch von ihnen wurde ich bischen verarscht. "Dörtgöz". "Vierauge". Wegen meiner Brille. Der wierde Türke in der Klasse, der kein türkisch konnte und irgendwie auch kein richtiger Moslem war. Aber ich war Teil der Gruppe. Teil von ihnen. Sie hatten mich angenommen, aufgenommen, mit mir gespielt, mit mir unterhalten. Sie merkten schnell, das ich ganz lieb und auch relativ intelligent war. Egal was sie taten und sagten: Ich blieb ruhig und nett und nahm es ihnen nicht übel. Das imponierte irgendwie den Jungs.

Anders nun in der Oberstufe. Wir sieben Jungs blieben unter uns. Eine kleine Gruppe. Und dann waren da halt noch 23 pubertierende Mädchen in der Klasse. Wir Jungs: Alle Nerds. Alle am Computer, am Fernseher. Alle pubertär. Die Mädchen waren so eine große, unterschiedliche Gruppe.. Es gab die Streber-Gruppe, die Gruppe mit den "hübschen, etwas arroganten Mädchen" (mir fallen grad echt keine Interessanten) und dann halt noch den Rest, die "Normalen", die irgendetwas zwischen Streberin und hübschen Mädchen

...

Hm.. Wie soll ich das nun beschreiben..

...

Also, nochmal zum Anfang: 12 Jahre alt. 7. Klasse. Neue Schule. Keine Grundschule mehr. Nein, Oberschule! Ich war jetzt ein großer Junge. Zum Glück fand ich mit den Jungs schnell eine Gruppe mit der ich abhängen konnte. Nicht nur das, Hubert war da! Mein polnischer Freund aus der Grundschule! In der gleichen Klasse! Was für ein Zufall! Wir hatten uns so lange nicht mehr gsehen und trotzdem hatte es wieder geklickt und wir hingen direkt wieder gemeinsam auf dem Hof ab und schnell fanden wir Jungs uns jeden Tag in der großen Pause an der gleichen Stelle zusammen und chillten.

Aber sonst.. Hatte es irgendwie nicht mehr geklickt. Alles andere.. lief irgendwie schief.

In der Grundschule hatte ich mich immer gerne und auch stolz gemeldet, wenn ich dachte, die Antwort auf eine Frage zu kennen. Und selbst wenn die Antwort mal falsch war, war das nicht schlimm. Jeder gab mal eine falsche Antwort. Besonders gerne meldete ich mich, wenn wir einen Text vorlesen sollten, weil ich Lesen und die deutsche Sprache mittlerweile liebte.

In der Oberstufe.. meldete ich mich erst auch sehr gerne. Ich war relativ selbstbewusst und hielt mich für relativ bis sehr schlau. Also meldete ich mich. Nur.. bekam ich auf einmal ganz komische Reaktionen. Die Leute.. Die Mädchen.. Sie lachten über meine Antworten. Ich melde mich. Sagte etwas, was offensichtlich falsch war.. Und wurde ausgelacht. Für meine Antworten.

Wenn es mal einen Tag gab, an dem ich nicht ausgelacht hatte, tat oder sagte ich einfach irgendwas peinliches. Keine Ahnung. Ich stolperte und andere lachten über mich. Einmal, wieder im Kunstunterricht (dieser gottverdammte KUNSTUNTERRICHT, ALTER!) sollten wir mit Schwarzer Tusche etwas schreiben oder Malen. Mir kippte das offene Glasfläschen mit der schwarzen Tinte über den Tisch, über mein Bild, spritzte mir über die Klamotten. Alle lachten. Mir wurde warm. Ich zog mein Pulli aus. Drunter hatte ich ein T-Shirt mit Batik-Muster drauf. Halt dieser Hippie-Scheiß.

Wieder saß Steffi irgendwo in der Nähe, sah es und kommentierte irgendwas vonwegen: "Wow, haste das mit deiner Mutter in der letzten Hippie-Batik-Session selbst gemacht, oder wo hast du das her?"

Irgendwie sowas halt. Ich raffte das alles damals noch nicht. Später hab ich auch erkannt, was Batik-Shirts für eine maximal fragwürdige modische Entscheidung sind..

Aber trotzdem.. Wieder haben alle gelacht.

Irgendwann habe ich mal drauf geachtet: Ich schaffte es in einer Woche, jeden einzelnen Tag irgendwas zu machen, zu sagen, zu tun, was irgendwie abwertend kommentiert, ausgelacht oder irgendwie sonst lächerlich gemacht wurde. Ich musste nur meinen Mund aufmachen. Oder neue Schuhe gekauft haben, die halt irgendwie Scheiße aussahen.

Wieder weinte ich viel. Wieder bekamen meine Eltern nichts davon mit.
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Irgendwann schiss ich drauf. Es ging nicht anders. Dann blamierte ich mich halt. Und war ein peinlicher Typ.

Dafür liebte mich meine Mutter. Und mein Vater. Abgöttig. Und ich sie. Die hatten die alle beschissene Familien. Und waren Christen. Menschen, die ernsthaft an Gott glaubten.

Und außerdem.. UND AUßERDEM KONNTEN DIE ALLE GAR NICHT SO GUT MALEN WIE ICH! Und Judo! Und Schlagzeug spielen! Ich hatte soviele Talente, die mich peinlichen, schüchternen, scheiß Kanaken besser machte als sie.

Allein meine riesige, türkische Familie, die mich so sehr liebte! So eine Familie hatte niemand von denen! Zwei Omas und Opas! Tausende Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen.

Und ja, die Musik! Niemand, nein NIEMAND, liebte die Musik so wie ich, niemand konnte soviel positivie Energie daraus ziehen wie ich. Niemand konnte so zerstört werden, wie ich und einfach ein Lied hören und dann wieder durch die Straßen tanzen. Obwohl ihn das Mädchen, das er liebte, das Herz gebrochen hatte.

Ich hörte so viel RnB, so viel Pop-Musik, las die BRAVO, die YAM, ich war so tief drin. Irgendwann kam auch Hip Hop dazu und spielte eine immer größere Rolle. Die Musik empowerte mich, wie nichts anderes. Jugendkultur.

Und ich las. So viel, wie niemand anderes, der ich kannte. Ich las überall und immer, wenn ich grad keine Musik hörte, nicht mit Familie oder Freunden war. Die unendliche Geschichte, Momo, so ziemlich alles von Michael Ende, Astrid Lindgren, Rafik Schami.. Und ja, gottverdammte Scheiße, ich habe Harry Potter gelesen, als noch niemand auch nur irgendein ein kleinstes Wörtchen vom Stein der Weisen jemals irgendwas gehört hatte. Ich war Harry Potter, mit meiner Hornbrille, meinen schwarzen Struwwelhaaren die sich einfach nicht bändigen ließen und der Blitznarbe zwischen den Augenbrauen. Das war ich.

...

Der Junge, der Überlebte. Harry fucking Potter. Wie sehr mir diese Geschichte half. Denn das war meine Geschichte. Eine Geschichte, extra für mich geschrieben. Für genauso kleine, verwirrte Jungs, wie mich. Und wie enttäuscht ich war, als die Filme irgendwann rauskamen und ich dabei zusehen musste, wie jedes zweite Opfer auf einmal "Harry Potter Fan" war. Diese Leute stellten und campierten ernsthaft in der Nacht vor ein Buchgeschäft um unbedingt das neuste Harry Potter Buch abzustauben.. Dass sie 'nen halben Tag später vollkommen ohne Stress einfach irgendwo ganz normal hätten einkaufen können. Wie.. ähh.. normale Menschen? Also so wie ich es tat. Aber das waren halt Freaks. Das waren "Jennys". Die hatten nichts mit dem, was Harry Potter war, zu tun.

Wie konnte man denn überhaupt die Filme feiern? Das in den Filmen war nicht Harry Potter. Harry Potter hatte eine Blitznarbe zwischen den Augenbrauen. So wie ich. Nicht so wie im Film, auf der Stirn. ZWISCHEN! DEN! AUGENBRAUEN! Der Typ in dem Film ist ganz klar und deutlich nicht Harry Potter. Vielleicht sein beschissener Zwillingsbruder aus 'ner alternativen Dimension. Aber nicht die Buchversion. Ich war die Buchversion! F*** alle anderen.

Irgendwann wurde ich älter. Und die Filme und der Hype gingen mir immer mehr auf den Sack. Ich habe bis heute nicht die letzten beiden Teile von Harry Potter gelesen. Ich weiss bis heute nicht wirklich, wie es ausgeht. Dumbledore hat am Ende noch irgendnen crazy Shit mit Snape gemacht und Snape war eigentlich immer der Gute und Dumbledore der böse? Sorry, nicht in meiner Story!

Die ersten drei Bücher waren einfach das magischste, tollste, beste, was ich jemals lesen durfte.. Danach wurde alles so ernst. Und so düster. In den Büchern. Und die Filme und der Hype immer beschissener.

...

Wo war ich. Achso. Stimmt. Ich war der krasseste. Trotz absoluter Peinlichkeit.

...

Und gottverdammte Scheiße: Als peinlichster, schüchternster Typ, der so viel kassiert hatte.. War ich immer noch der coolste Junge in der Klasse. Ich sprach am meisten mit den Mädels, war der Einzige, der überhaupt irgendwie mit ihnen in Kontakt trat und auch der einzige, der spätestens mit 15 anfing, sich regelmäßig auch außerhalb der Schule mit Mächen zu treffen, zu daten und.. als pubertärer Pimpf im ach so bösen Berlin irgendwelche Erfahrungen zu sammeln.

Ich tat die restlichen Jahre einfach so, als wäre nichts gewesen. Ging einfach weiter zur Schule. Das machte doch jeder durch oder? Jeder wurde mal gehänselt? Jeder wurde mal verarscht und ausgelacht und bloßgestellt. Es gab tausend Geschichten darüber in so vielen Filmen und Büchern. Ich war halt nur eine dieser Geschichten.

Ich würde das Beste draus machen. Ich würde Menschen und besonders Frauen mit Respekt behandeln, obwohl ich so beschissene Erfahrung machen musste, teilweise jeden Tag. Jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, egal wie schlimm der Tag war, empfing mich eine liebende Mutter und ein liebender Vater, ein tolles Essen, persönliche Freiheiten, Musik, Computerspiele und so unendlich viele Bücher..

Dieses Leben war einfach zu schön, zu toll, um es mir von so armseligen, traurigen Menschen vermasseln zu lassen. Mich von ihnen negativ beeinflussen zu lassen.

Trotzdem weinte ich in der Zeit immer wieder und sehr viel. Einfach so, um den Frust loszuwerden. Ohne Gewalt. Ohne gemein zu werden. So wie Jenny. So wie alle anderen. Hörte traurige Musik. Sehr viel RnB. Sehr viel Pop. Hip Hop. Rock. Whitney Houston. Michael Jackson. Britney Spears. Usher. Linkin Park. Busta Rhymes. Dr. Dre. Eminem.

...

Ich denke das reicht für heute. Anscheinend lesen das hier wirklich paar Leute..?

Danke für die Aufmerksamkeit. Es tut mir wirklich sehr gut. Ich stell mir einfach vor, dass ihr mir alle hart auf die Schulter klopft und stolz auf mich seid und diesen Text mega interessant, toll und schön findet.

Am tollsten wäre, wenn das hier irgendjemandem hilft. Bei irgendwas. Also, außer mir selbst.

...

Ich wünsche euch allen einen wundervollen Tag. Auch wenn das Wetter grau und trist ist. Schreiben hilft. Sehr.

...

edit: ich les mir jetzt, fast zwei jahre später, nochmal alles durch was ich so geschrieben habe und bei diesem eintrag war ich erstmal über dieses "jenny x harry potter" narrativ verwundert.. und hab mich gefragt, was das für 'nen zusammenhang hat.. und hatte gerade eine krasse erkenntnis:

den ersten band habe ich gelesen als ich in der 6. klasse war. das heisst ich habe die ganzen harry potter bänder während der oberstufe gelesen, während jenny mein leben über die nächsten jahre vollkommen Ge**** hat. die harry potter reihe hat mich durch das ganze leid begleitet.. immer wenn es mir scheiße ging und ich nicht wusste, was ich mit dieser realität anfangen sollte.. bin ich ins harry potter universum geflüchtet und.. war basically harry. the chosen one. beschützt von der liebe seiner mutter.. auf der suche nach dem bösen.. der jeglicher gefahr trotzte..

"der junge, der überlebte.."

Fu**.. ich glaub.. das wird echt nochmal ein größeres thema, das ich nochmal einzeln behandeln muss..

also diese ganze assoziationskette vonwegen "jenny x harry potter x mainstream x absoluter abturn/trauma x flucht vor trauma in fantasiewelten x der daraus resultierender abturn über alles, was den 'mainstream' repräsentiert x abkehr von harry potter und schlagartig erhöhtes individualitätsbedürfnis"

das gehört alles zusammen. das ist alles.. eine zusammenhängende geschichte.. ich muss das alles irgendwie nochmal auseinanderdröseln..

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harry potter war.. mein ding. ich wollte nicht, dass all die "jennys dieser welt" auch auf einmal harry potter fans wurden. aber um so populärer harry potter wurde, desto mehr guckten und lasen kinder und jugendliche die bücher und schauten die filme. menschen von denen ich mich eigentlich innerlich abgrenzte konsumierten harry potter.

irgendwann lernte ich den begriff "mainstream" kennen und auch, ihn zu verachten und mich konstant davon irgendwie abgrenzen zu wollen. ich hörte auf, harry potter zu lesen. ich schiss auf die letzten teile. es war irgendwann zum "mainstream" geworden..

ich wollte "anders" sein. weil ich es war. und ich wollte nicht, das mich leute gehässig darauf hinwiesen oder sich über meine andesartigkeit gehässig machen. ich wollte anders.. und gut sein. ich wollte wertgeschätzt werden, dafür, das ich "anders" bin. mit meinem eigenen individuellen erfahrungs- und lebenshorizont.

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naja. egal. ich les dann mal weiter..
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
dieser text ist über die letzte woche entstanden und habe ich an mehreren tagen geschrieben und bearbeitet. ich hatte angefangen, hier zu schreiben, wollte aber nochmal drüberschauen und es ein wenig verändern. heute habe ich ihn beendet und veröffentliche es jetzt hier.

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ich bin traurig.

eine stelle, bei der ich ein bewerbungsgespräch hatte, hat mir eine absage gegeben. ich hatte mich allgemein nach beiden bewerbungsgesprächen sehr schlecht und energielos gefühlt, obwohl sie beide, besonders das erste, gut bis sehr gut gelaufen waren. danach habe ich mich lange gefragt, wieso ich so ein schlechtes gefühl nach meinen bewerbungsgesprächen habe und es dann schließlich auf meine allgemeine, schlechte verfassung geschoben. liegt es nicht, letztendlich, immer an dir selbst?

den ersten job hätte ich theoretisch bekommen, habe ich dann aber abgelehnt, da dieser mich mindestens einmal die woche mit vier stunden fahrt ins tiefste brandenburg verschlagen hätte, was ich irgendwie nicht so cool fand und die beiden damen irgendwie ein paar auffällige aussagen über die berliner innenstadt raushauten ("weggezogen, war mir zu gefährlich. in berlin kann man ja kaum leben." - ja stimmt, 'so gefährlich' wegen all den 'gefährlichen' deutschen, nicht wahr? dafür aber nach brandenburg ziehen, in die nazi-hochburg, in der es ja soviel sicherer ist. für weiße. deutsche. christlich sozialisierte menschen. rein subjektiv, natürlich. aber gut, das sich solche menschen aus meinem geliebten berlin verpissen) und mich am ende des gesprächs noch darauf hinwiesen, dass ich ja konfessionslos sei und wie das denn sein könnte?

JA! SCHWARZE HAARE, SCHWARZER BART, DICKE NASE UND AUGENBRAUEN UND KEIN GOTTVERDAMMTER MOSLEM. wenn, dann alevite, aber ja, selbst das nicht! wir schreiben das jahr 2021 und diese.. höhlenmenschen, diese neandertaler sind immernoch auf dem Stand von fucking 1933.. spätestens dann war ich mir sicher, in welche richtung ihr voriger kommentar richtung berlin gegangen war.

natürlich hab ich im gespräch mein maul gehalten und lustig mitgespielt, bzw. bin überhaupt nicht darauf eingegangen. irgendwie ist mir das alles erst auf der heimfahrt und dann zu hause richtig klar geworden, wie wierd das alles einfach war. schon wieder.

dann kam heute die absage zu meinem zweiten bewerbungsgespräch und das hat mich dann einfach mal direkt vor den abgrund eines halben nervenzusammenbruchs gestellt.

erstmal aus trauer darüber, das ich nicht angenommen wurde und aus angst, ende nächsten monats doch kein gehalt zu bekommen und meine miete nicht bezahlen zu können.

normalerweise kann man das ja gut relativieren und rechtfertigen - bist halt nicht der einzige gewesen, der sich beworben hat. einfach nächste bewerbung schreiben. weitermachen.

aber diesmal ging das irgendwie nicht so gut.

stattdessen: absolute enttäuschung. und dumme vermutungen.

'ja. mich haben sie nicht genommen.. aber.. lass mich raten: einen weißen, deutschen, wenn nicht dann zumindest europäischen, christlich sozialisierten menschen. bestimmt ne frau. und/oder queer. weil, hey: scheiß auf ausländer, wa?'

und ich beobachtete mich in meinen dummen, voller trauer, wut und hass erfüllten illusionen und gedanken und gelangte an eine vollkommen destruktive erkenntnis...

es geht einfach nicht mehr. ich kann nicht mehr.

ich kann mich nicht mehr bei weißen menschen bewerben. bei ihnen vorstellen. auf ihre güte hoffen. mit der hoffnung, dass sie mich nicht mit "diesem blick" anschauen. dieser blick, der sagt: "ah, schau mal. ein ausländer." dieser halb interessierte, halb verächtliche blick. und ihre nach weiteren qualifizierung suchenden fragen. und mir ist scheißegal, ob ich diese ganze scheiße da einfach nur hineininterpretiere, ob das alles wirklich realität oder illusion ist und ja, das es wahrscheinlich nur eine illusion ist die sich gerade in meinem kopf abspielt und das ich ja eigentlich gar nicht wissen kann, wie diese leute ticken und was da überhaupt für welche motivation hintersteckt, aber.. aber dennoch..

es. geht. einfach. nicht. fucking. mehr.

FUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUAAACK

...

wusstet ihr das fäkalsprache und ausdrücke schmerzen lindern? nicht nur psychisch, sondern sogar physisch? gibt's ne netflix doku drüber. und studien. und so.

und ohne scheiß: zu nichts gebracht im leben, ABER:

ich bin absolter meister der fäkalsprache. und ohne zweiten scheiß: mein türkisch ist gebrochen, aber fluchen kann ich selbst auf türkisch sehr kreativ, flüssig und akzentfrei. aber darauf werde ich in einem zukünftigen beitrag nochmal zurückkommen. wirklich feinster torture porn, freut euch drauf. die "origin story" meiner türkischen fäkalsprache, sozusagen. wie bei superhelden. nur das ich nicht von einer radioaktiven spinne gebissen wurde und zum superhelden mutierte, sondern einfach nur von meinem vater seelisch misshandelt wurde und zu einem seelisch verstümmelten stück scheiße wurde.

aber ja. dazu später nochmal.

schade das ich sie hier nicht zum besten geben darf. ist echt menschenverachtend. meine fäkalsprache.

dafür, stellvertretend und in kurz:

********* ************, diese gottverdammten ***************** **************!!!!!!1111?=?=(!"§EQ"§ZR(§$(HWT(HUPI

F*****! ALTER!

...

wo war ich??

achso. stimmt. es geht nicht mehr.

...

ES GEHT EINFACH NICHT MEHR. OHNE.. ähh QUARK. LIEBER ARBEITE ICH IN NEM FUCKING DÖNERLADEN. eigentlich immer der absolute albtraum gewesen, aber ja: für türken arbeiten. was für ein fucking traum. oder halt schwarzköpfe. hauptsache keine almans.

wenn ich mir überlege, wie das war, als ich für und mit ausländern zusammengearbeitet habe.. als geschäftsführer in unserem interkulturellen pflegedienst.. bei meiner arbeitsstelle im deutsch-türkischen radio.. ich war.. gleich. oder fühlte mich so. sie waren alle so nett zu mir. ich wurde beschissen bezahlt.. aber es war mir egal.. ich habe mich dort so wohl gefühlt.. oder in der fortbildung zum journalisten, in der auch nur migrationshintergründler waren.. es war direkt vollkommen anders. alle waren auf der gleichen stufe. wenn uns was getrennt hat, dann unser altersunterschiede oder unser geschlecht. man wurde nichts dummes gefragt. alles war einfach... cool. wir waren alle "ausländer" wir waren alle "berliner". alle politisch interessiert und augenscheinlich intellektuell, gebildet.. das war so schön und harmonisch. obwohl es auch dort reibereien gab. aber irgendwie auf ner anderen eben.

...

lustige anekdote über meine zeit beim deutsch-türkischen radio in berlin und gleichzeitig der so ziemlich offiziell peinlichste moment meines erwachsenen lebens, damit es auch mal was zum lachen gibt? gerne:

ich war da teilweise für die webseite zuständig, hatte also mit dem normalen radio programm nicht so viel zu tun. ich bespreche gerade etwas mit einer kollegin, auf einmal ruft mich einer der moderatoren plötzlich zu sich rein, ist live on air und wollte mich kurz vorstellen, ich sei der neue und betreue die webseite des neuen projektes. er holt mich zu sich ans mikrofon und sagt mir IRGENDWAS. ich hab keine ahnung mehr. irgendwas vonwegen: ja. sag mal was ins mikrofon, stell dich mal vor.

und keine ahnung was los wahr. ich war einfach nur aufgeregt und alles in mir schrie NEIN, HÖR AUF, ICH WILL DAS NICHT, WAS IST HIER LOS? MUSS ICH JETZT TÜRKISCH SPRECHEN? ICH KANN KEIN TÜRKISCH SPRECHEN! Fu**, ICH GLAUB ICH MUSS JETZT TÜRKISCH SPRECHEN.

also sprach ich:

"ömükzugük malükzülük."

bsolutes kauderwelsch. man konnte definitiv NICHTS verstehen. ich selbst verstand es nicht.

ihr müsst wissen: fast jeder gottverdammte schwarzkopp über 30 hört diesen sender. fast schon deutschlandweit. evtl. auch in österreich und der schweiß. jeden tag. versteht ihr? jeder schwarzkopp-späti, jedes türkische cafe, jeder kulturverein.. GANZ TÜRKISCH-BERLIN HAT IN DIESEM MOMENT GEHÖRT, WIE KACKE ICH TÜRKISCH SPRECHE.

also ja: ich hab absolutes kauderwelsch in dem einzigen, bekanntesten deutsch-türkischen radio deutschlands live on air gesprochen und mich mit haarfeiner genauigkeit bei mindestens der hälfte der türkischsprachigen bevölkerung in deutschland (und evtl. auch östereich und schweiz) beinhart blamiert.

aber lustig ist es schon, ein bischen, oder?

ich glaub das hab ich wirklich noch niemandem auf dieser welt erzählt, hehe. ach du scheiße. aber das ist jetzt schon so lange her, daran erinnert sich einfach niemand mehr. gaaaaanz bestimmt nicht. lülülü.

aber hey, ich bin, wie gesagt, nicht vieles, aber: king of cringe und peinlichkeiten. da steh ich drüber (auch wenn mir jedes mal wenn ich daran denke, ein peinlicher schauer über den körper fährt). aber ja, hab schon schlimmeres durchgestanden. damals als ich 12 war, z.b...

gibt halt im nachhinein wenigstens 'ne witzige geschichte.

***

poah. alter. WO zur hölle war ich nochmal??

achso. weiße menschen. und meine phobie ihnen gegenüber, die sich anscheinend gerade in mir entwickelt.

***

nicht mehr vor unsichtbare mauern gestellt werden, verursacht von weißen gesichtern die dir alle unisono in feinster türsteher-manier sagen: "DU KOMMST HIER NED REIN!"

nie wieder.

...
 
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Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
dabei hat der tag doch so schön angefangen.

aufgewacht. aufgeräumt. bett gemacht. geduscht, super-männlich peeling in die fresse geklatscht und schampoo mit anschließender nach orangen duftender repair-spülung in die haare massiert und diesmal sogar mit 'ner kalt-warmwasserdusche beendet. ohne scheiß: kalt-warmwasser dusche? orgasmus pur.

erst schön warm duschen damit sich der körper schön aufwärmt und das maximal genießen = erster mentaler orgasmus. dann: stufenweise das kalte wasser aufdrehen, bis es eiskalt ist.

so lange unter der eiseskälte bleiben und deinen körper fühlen, bis du spürst, wie er auf einmal schneller atmet, wie er lebt, wie er nach wärme schreit, bis deine arme, deine beine, dein rücken, deine brust, dein kopf und jede einzelne zelle in dir sich schon fast an die kälte gewöhnt hat, die aussicht auf erlösende wärme aber gleichzeitig immer wohltuender erscheint und du dann plötzlich, mit einem ruck, wieder warmes, nein, fucking erlösendes wasser auf deinen körper regnen lässt - und es deinen körper mit endorphinen überschüttet. god-fucking-damnit. was willst du mehr im leben, als diese erkenntnis: wasser ist leben.

dein körper ist wach. spätestens jetzt. und er spricht mit dir. und sagt: JAHH! DIGGER! JAAAAH!

pures glück einfach.. so eine stehdusche. besonders wenn man ein depressives stück scheiße ist.

also ja: supermännlich geduscht und aufgewacht. noch die fische gefüttert. selbst gefrühstückt. pflanzen auf den balkon gestellt, damit sie die sonnenstrahlen genießen und.. wachsen können.. leben und sich weiterentwickeln können. wenn ich das nicht schon tue, dann können das wenigstens die pflanzen

...

ich schreib das alles so stolz auf weil das für mich keine selbstverständlichkeit ist. so mancher depressiver tag beginnt seit einiger zeit damit, dass ich mir weinend einen joint anzünde und meinen kopf mit netflix und youtube zumülle, nur um nicht über mein beschissenes leben nachdenken zu müssen, während sich die mahnungen und briefe stapeln..

aber nicht diesmal. diesmal habe ich's sogar geschafft, einen termin wahrzunehmen. ohne zu kiffen. ich war in pankow bei einem sozialarbeiter und habe ihm meine probleme geschildert und.. er war supersensibel. supernett. hat mich mit offenen armen empfangen. was viele nicht geschafft haben.

wo viele mich abgelehnt haben. mich kritisiert haben. mich in frage gestellt haben. unzählige sozialarbeiter und therapeuten in unzähligen hilfs- und beratungsstellen, die ich in all den jahren aufgesucht habe..

er war anders. und ja: deutscher. super guter typ. wir haben toll geredet. er hat mich bestärkt. beruhigt. mir hilfe signalisiert und auch konkret weitergeholfen. ein richtiger deutscher. ein richtiger mensch. ein guter mensch.

wie wichtig doch so gute, sensible, nette, offene menschen sind. wie viel sie doch zählen, an den richtigen stellen. ich bin mit nem richtig guten gefühl gegangen. vieleicht gibt es ja noch eine chance.. für mich.. und die almans..

auf dem weg nach hause hat mich ein fräulein aus dem büro meines vermieters angerufen und mir mitgeteilt, das zwei offene monatsmieten eine fristlose kündigung rechtfertigen und das ich bis ende des monats zumindest eine vorzahlung leisten soll. ich behalte (noch) einigermaßendie fassung.

zu hause angekommen, habe ich kurz mit meinem vater geschrieben was mir irgendwie wieder direkt nicht so gut bekommen ist.. habe mich sehr leer, wertlos und unverstanden gefühlt, trotz des guten beratungsgespräches vorher. die signale sind nicht mehr zu übersehen. ich muss von ihnen loskommen. den kontakt weitestgehend abbrechen. erstmal. es ist nicht meine schuld. sie sind an den gefühlen, die sie in mir verursachen verantwortlich.

also (natürlich) zum joint gegriffen, inhaliert und die sorgen ausgepustet. bischen musik gehört. paar lustige youtube videos geschaut. mich um 14 uhr mit nem kumpel im calisthenics park getroffen und unser workout gemacht. habe mich irgendwie durchs training durchgepeitscht. der kollege wollte danach noch ein wenig durch die city fahren und abhängen, musste ihm aber leider etwas energischer mitteilen, das ich gerne nach hause gehen würde und energie tanken muss. er hatte zum glück relativ verständnis dafür. zu ihm komme ich evtl. auch nochmal später zurück. sehr wierder, problematischer, aber auch irgendwie guter kerl.

also: wieder ab nach hause. und auf dem nach hause weg die absage von der stelle bekommen.. dabei dann fast durchgedreht. unter tränen halb nach hause gerannt. geheult. joint geraucht. irgendnen scheiß geschaut. einigermaßen beruhigt. irgendwie die kraft gefunden, eine gute freundin (die letzte?) um geld zu bitten, das sie mir paar tage vorher angeboten hatte.

irgendwann bin ich pennen gegangen.

...

am nächsten tag habe ich meinen vater über whatsapp um die teilzahlung meiner miete gebeten. er lehnte erstmal ab. auch nachdem ich ihm signalisierte, dass ich somit evtl. bald obdachlos sein würde, weil es immernoch zweifelhaft ist, wann mein erstes gehalt kommt. ich brach vollkommen zusammen. ich bettelte. wie ein hund.

schrieb das ich panik habe und es nicht verstehe. und bettelte weiter. ich konnte nicht mehr aufhören zu schreiben. ich bettelte wie ein verzweifelter. wie ein sündiger vor seinem gott. ich weiss, sie wollen das. sie wollen mich so sehen. nur so helfen sie mir. ich bettelte um diese 200 euro.. wenn sie vor mir gestanden hättten, hätte ich mich vor ihnen vor die füße geworfen..

ich verstand es in dem moment wirklich nicht. wie kein mensch, der weit über 100.000 euro auf dem konto hat.. aktien.. eine firma.. grundstücke in türkei, eigentumswohnung in berlin.. der behauptet seinen sohn über alles zu lieben, alles für ihn zu tun und ihn bedingungslos und grenzenlos zu unterstützen.. wieso hatten sie mir das immer wieder erzählt? dieses gefühl gegeben, das, egal was komme, meine eltern hinter mir stehen, egal ob finanziell oder persönlich oder politisch/ideologisch.. wenn sie es nie getan hatten? wenn es immer bedingungen gab. das höfliche oder verzweifelte betteln zum beispiel.

achso. stimmt. meine drogensucht. das weed. der verlorene, vom weg abgekommene sohn. kein trinker, kein kokain, kein xtc, kein glücksspiel, nichts. aber: depressiver voll-versager und kiffer. sonst nichts. ein nichts. wieso soll man für so einen menschen miete und strom zahlen, wenn er mal für ein paar monate nicht arbeitsfähig ist.

...

egal. genug geheult. die nächsten bewerbungen sind rausgehaun. morgen kommen die nächsten.

ich komme da raus.

ich schaffe das. ich werde mich selbst befreien. ich muss. es gibt, wortwörtlich keine alternative. alles andere heisst: obdachlosigkeit. absolutes versager-tum.

ich krieg das hin. ich werde bald kein kiffer mehr sein. ich werde bald sozialpädagoge sein. zugegebener maßen: ein ziemlich beschissener sozialarbeiter. wahrscheinlich eher ein A-sozialarbeiter. aber hey, so beschissen wie meine eltern und das ganze gesocks, das bei mir auf der "super-duper-linken" und gleichermaßen hyper-rassistischen hochschule begegnet ist, werd ich niemals. also: whatever.

...

irgendwie bin ich nicht mehr traurig. gutes forum. liebes forum. gute nacht.

(tatsächlich war ich immer traurig, als ich angefangen habe, diesen text (weiter) zu schreiben und wurde immer ausgeglichener, um so weiter ich zum ende kam. schreiben ist gott, wallah brudaaaaaa.)

...

*epic music plays in the background*

also, with an epic voice: "coming up next: the origin story of my turkish fäkalsprachen skills, oder: wieso mein vater der beste und gleichzeitig der beschissenste vater dieser gottverdammten welt ist."

*epic music continues*
 

Asozialarbeiter

Aktives Mitglied
Boy on loud transp2.png

ich werd zwischendurch immer mal wieder ein paar bilder hochladen, die ich gemalt habe, um mir selbst zu beweisen, was ich für ein cooler motherfucker bin. ich bin kein versager. egal wie sehr ich dieses gefühl inhaliert, verinnerlicht und einprogrammiert bekommen habe. ich bin kein verdammter, fucking versager. ich kiffe. leider. und bin halt absolut bat-shit crazy. aber sonst nichts. gibt's schlimmeres. z.b. alman zu sein. ;D
 

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