Du kannst Deinem Vater sein Verhalten spiegeln. Ihm klar und deutlich mitteilen, was Du wahrnimmst. Auch daß er Alkoholiker ist. Vielleicht sogar eine Altersdemenz beginnt. Und ihm liebevoll sagen, daß Du Dir Sorgen machst.
Du kannst Deiner Mutter spiegeln, wie Du ihr Verhalten wahrnimmst. Die Widersprüchlichkeit zwischen Jammern und Nichtverändernwollen aufzeigen. Das Vorschieben finanzieller Gründe und das Hängen an einem neuen Fernseher. (Das ist doch total schräg, zu behaupten, man könne nichts verändern, nur weil es dann so ungerecht ist, weil der Mann einen Fernseher behält und man selbst einen neuen kaufen muß...) Du kannst den Mechanismus aufdecken, daß sie gleichzeitig jammet und gehenwill und im gleichen Atemzug bereits die Gegenüargumente liefert und sich damit selbst ad absurdum führt.
Du kannst ihr mitteilen, wie Du Dich an ihrer Stelle verhalten würdest. Du kannst ihr Unterstützung anbieten, falls sie einen Neuanfang wagen möchte.
Du kannst auf Dich selbst achten und Deine Gefühle. Du kannst Deine Genervtheit wahrnehmen. Und Deine Trauer, weil Deine Eltern nicht glücklich sind und sich gegenseitig so einschränken.
Das wars dann aber auch. Der Rest ist Sache Deiner Eltern. Sie sind erwachsene Personen, die selbst entscheiden, welche Art von Leben sie führen möchten. Deine Mutter wird ihre Gründe haben, warum sie Deinen Vater nicht verläßt. Angst vor der Selbstverantwortung, Angst vorm Alleinsein, Liebe, Verantwortungsgefühl... Außerdem wird das Jammern und die Konzentration auf Deinen Vater als allein Schuldigem an der Misere für sie aus irgendwelchen Gründen wichtig sein. Wer weiß, was sie sonst betrachten müßte, wenn dieser Konterpart wegfallen würde.
Wenn sie immer wieder neue Gründe findet, warum sie die Beziehung nicht beenden kann und sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen kann, dann ist das ihre Entscheidung.
Du kannst ihr zuhören, wenn Du möchtest. Aber ich würde mir verbitten als Tochter in die Ehegeschichten der Eltern einbezogen zu werden. Und ich würde mir auch verbitten, die immer gleiche Leier anzuhören und das Schlechtmachen des anderen Parts, wenn es nur um das Jammern an sich geht und daraus keine Konsequenzen folgen. Wenn sie sich entscheidet, an ihrem bisherigen Leben mit ihrem Ehemann festzuhalten, dann soll sie die Entscheidung gefälligst auch nach außen hin tragen und sich nicht ständig ihren Kindern gegenüber als Opfer ihres Mannes darstellen.
Vielleicht wird ihr dadurch bewußt, daß sie die Wahl hat. Und im Moment fortwährend die Entscheidung trifft zu bleiben. Während sie wahrscheinlich glaubt, keine Wahl zu haben und nichts tun zu können, trifft sie tatsächlich aktuell in jedem einzelnen Augenblick ihre Entscheidung.