G
GroßeSchwester
Gast
Meine kleine Schwester hat sich am 18.11. morgens früh versucht das Leben zu nehmen. Gott sei Dank hat sie es nicht geschafft. Sie wollte sich in ihrem Kleiderschrank erhängen, doch der Knoten des Seiles ist gerissen und als sie auf dem Boden aufschlug, wurde unsere Mutter durch den Lärm wach.
Erstmal zu den Eckdaten: Meine kleine Schwester - nennen wir sie hier mal Lillie - ist über sechs Jahr jünger als ich und wird im Dezember 19. Sie war schon immer ein verschlossenes, distanziertes Mädchen, das nur mit wenigen Menschen ihre Gedanken und Gefühle geteilt hat. Schüchtern war sie dennoch nicht unbedingt, denn sie hat auch gerne mit anderen diskutiert und vertrat dabei lautstark ihr Meinung. Nur "Privates" oder "Persönliches" hat sie lieber für sich behalten.
Unsere familiäre Situation ist schwierig. Unsere Eltern sind seit 15 Jahren geschieden und in unserer Kindheit wurden wir häufig von einem Elternteil zum anderen geschoben, gewollt haben uns nach der Scheidung beide nicht. Irgendwann bin ich zu unseren Großeltern gezogen und Lillie zu unserer Mutter. Das war vor 10 Jahren und seitdem ist unser Kontakt zueinander zeitweise nahezu ganz abgebrochen. Erst seit ca. drei Jahr, kurz nachdem Lillie von der Realschule auf ein berufl. Gymnasium kam, haben wir wieder regelmäßigen Kontakt.
Im Juli hat Lillie ihr Abitur gemacht. Obwohl sie unglaublich faul war und praktisch nie für die Schule gelernt hat, hat sie ihr Abitur letzlich mit einem Schnitt von 1,6 gemacht. In Fächern, die sie interessierten, war sie geradezu brilliant, hat sie ein Fach jedoch nicht interessiert, hat sie teils nicht einmal den Unterricht besucht.
In ihrem letzten Schuljahr hat sie sich sehr verändert, zumindest insofern ich das beurteilen kann. Lillie hatte soweit ich zurückdenken kann Fremdsprachen geliebt. Wir hatten zwar selten die Gelegenheit zu reisen, dennoch spricht sie Englisch und Spanisch fließend, und seit einem Jahr lernt sie Japanisch. Ansonsten hatte sie viel gelesen, gezeichnet, philosophiert, experimentiert, getanzt - sie hatte sich einfach für alles interessiert, mit wenigen Ausnahmen. Im letzten Jahr hat sie damit aufgehört. Sie las und lernt ihre Sprachen noch, aber diese Neugier war einfach verschwunden. Laut unserer Mutter war sie häufig bis früh in den Morgen weg, selbst wenn Schule war. Wo wusste keiner genau. Und sie begann mit irgendeinem Mädchen Briefe zu schreiben, aber auch hier weiß keiner genau mit wem. Mutter meinte sie wäre an jemanden in Deutschland addressiert, jedoch selbst auf Englisch gewesen. Sie hatte ihr beim Schreiben manchmal über die Schulter geschaut, konnte allerdings mangels Sprachkenntnisse nicht verstehen, was die beiden sich erzählt haben. Sie wurde verschlossener, stiller als zuvor.
Gegen Ende des Schuljahres stellte sich dann die Frage, was Lillie studieren möchte. Ursprünglich hatte sie jahrelang davon geträumt Englisch- und Ethiklehrerin zu werden, aber für die gibt es leider überhaupt keinen Bedarf. Sie wusste nicht, was sie alternativ machen sollte und hat sich darauhin einen Teilzeitjob und ein beruforientierendes Praktikum besorgt. Beides läuft seit Anfang Oktober und mit beidem kam sie sehr gut klar. Nächstes Jahr wollte sie, falls das Geld reicht, ins Ausland für einige Wochen/Monate.
Und dann war Dienstag und sie hat versucht sie das Leben zu nehmen.
Die einzige, die Lillie seit ihrem Suizidversuch gesehen hat, ist unsere Mutter. Lillie wollte nicht wirklich mit ihr reden und sagte einzig, dass es ihr Leid tue. In Lillie's Abschiedbrief stand auch nicht sonderlich viel. Sie hat über zwei Seiten geschrieben, nannte an Gründen aber nur, dass sie keine Zukunft mehr für sich sehe. Ansonsten sprach sie ihre Familie und Freunde von jeglicher Schuld frei und schrieb, dass sie ihren Suizid lange geplant hat.
Für mich ist die ganze Situation ein wahnsinniger Schock. Meine Schwester ist ein hübsches, intelligentes Mädchen. Ich hätte nie erwartet, dass sie sich das Leben nehmen möchte. Ich suchen nach Gründe, finde keine. Sie hatte doch alle Möglichkeiten. Alles, was sie je probiert hat, fiel ihr auf Anhieb leicht. Sie hatte eine Zukunft.
Seit dem Anruf unserer Mutter am Dienstag bin ich platt. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Warum hat sie das gemacht? Was soll ich meiner Schwester nur sagen, wenn ich sie wiedersehe? Was wenn sie es geschafft hätte? Und warum hat sie nicht mit mir geredet?
Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll.
- GroßeSchwester
Erstmal zu den Eckdaten: Meine kleine Schwester - nennen wir sie hier mal Lillie - ist über sechs Jahr jünger als ich und wird im Dezember 19. Sie war schon immer ein verschlossenes, distanziertes Mädchen, das nur mit wenigen Menschen ihre Gedanken und Gefühle geteilt hat. Schüchtern war sie dennoch nicht unbedingt, denn sie hat auch gerne mit anderen diskutiert und vertrat dabei lautstark ihr Meinung. Nur "Privates" oder "Persönliches" hat sie lieber für sich behalten.
Unsere familiäre Situation ist schwierig. Unsere Eltern sind seit 15 Jahren geschieden und in unserer Kindheit wurden wir häufig von einem Elternteil zum anderen geschoben, gewollt haben uns nach der Scheidung beide nicht. Irgendwann bin ich zu unseren Großeltern gezogen und Lillie zu unserer Mutter. Das war vor 10 Jahren und seitdem ist unser Kontakt zueinander zeitweise nahezu ganz abgebrochen. Erst seit ca. drei Jahr, kurz nachdem Lillie von der Realschule auf ein berufl. Gymnasium kam, haben wir wieder regelmäßigen Kontakt.
Im Juli hat Lillie ihr Abitur gemacht. Obwohl sie unglaublich faul war und praktisch nie für die Schule gelernt hat, hat sie ihr Abitur letzlich mit einem Schnitt von 1,6 gemacht. In Fächern, die sie interessierten, war sie geradezu brilliant, hat sie ein Fach jedoch nicht interessiert, hat sie teils nicht einmal den Unterricht besucht.
In ihrem letzten Schuljahr hat sie sich sehr verändert, zumindest insofern ich das beurteilen kann. Lillie hatte soweit ich zurückdenken kann Fremdsprachen geliebt. Wir hatten zwar selten die Gelegenheit zu reisen, dennoch spricht sie Englisch und Spanisch fließend, und seit einem Jahr lernt sie Japanisch. Ansonsten hatte sie viel gelesen, gezeichnet, philosophiert, experimentiert, getanzt - sie hatte sich einfach für alles interessiert, mit wenigen Ausnahmen. Im letzten Jahr hat sie damit aufgehört. Sie las und lernt ihre Sprachen noch, aber diese Neugier war einfach verschwunden. Laut unserer Mutter war sie häufig bis früh in den Morgen weg, selbst wenn Schule war. Wo wusste keiner genau. Und sie begann mit irgendeinem Mädchen Briefe zu schreiben, aber auch hier weiß keiner genau mit wem. Mutter meinte sie wäre an jemanden in Deutschland addressiert, jedoch selbst auf Englisch gewesen. Sie hatte ihr beim Schreiben manchmal über die Schulter geschaut, konnte allerdings mangels Sprachkenntnisse nicht verstehen, was die beiden sich erzählt haben. Sie wurde verschlossener, stiller als zuvor.
Gegen Ende des Schuljahres stellte sich dann die Frage, was Lillie studieren möchte. Ursprünglich hatte sie jahrelang davon geträumt Englisch- und Ethiklehrerin zu werden, aber für die gibt es leider überhaupt keinen Bedarf. Sie wusste nicht, was sie alternativ machen sollte und hat sich darauhin einen Teilzeitjob und ein beruforientierendes Praktikum besorgt. Beides läuft seit Anfang Oktober und mit beidem kam sie sehr gut klar. Nächstes Jahr wollte sie, falls das Geld reicht, ins Ausland für einige Wochen/Monate.
Und dann war Dienstag und sie hat versucht sie das Leben zu nehmen.
Die einzige, die Lillie seit ihrem Suizidversuch gesehen hat, ist unsere Mutter. Lillie wollte nicht wirklich mit ihr reden und sagte einzig, dass es ihr Leid tue. In Lillie's Abschiedbrief stand auch nicht sonderlich viel. Sie hat über zwei Seiten geschrieben, nannte an Gründen aber nur, dass sie keine Zukunft mehr für sich sehe. Ansonsten sprach sie ihre Familie und Freunde von jeglicher Schuld frei und schrieb, dass sie ihren Suizid lange geplant hat.
Für mich ist die ganze Situation ein wahnsinniger Schock. Meine Schwester ist ein hübsches, intelligentes Mädchen. Ich hätte nie erwartet, dass sie sich das Leben nehmen möchte. Ich suchen nach Gründe, finde keine. Sie hatte doch alle Möglichkeiten. Alles, was sie je probiert hat, fiel ihr auf Anhieb leicht. Sie hatte eine Zukunft.
Seit dem Anruf unserer Mutter am Dienstag bin ich platt. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Warum hat sie das gemacht? Was soll ich meiner Schwester nur sagen, wenn ich sie wiedersehe? Was wenn sie es geschafft hätte? Und warum hat sie nicht mit mir geredet?
Ich weiß einfach nicht, was ich jetzt machen soll.
- GroßeSchwester