Meine Kindheit habe ich immer als relativ normal wahrgenommen. Schon früh habe ich es auf schlechte Gene geschoben das wir (ich und meine Geschwister) alle so verkorkst sind.
Mein Bruder wurde schon vor einigen Jahren mit der Diagnose Autismus diagnostiziert. Meine Tante Väterlicherseits ist auch damit diagnostiziert.
Die Probleme die ich hatte, habe ich darauf geschoben. Autismus + Depressionen. Und als ich dann vor 4 Jahren meine Diagnose bekam hat sich für mich endgültig alles geklärt.
Allerdings habe ich die Tatsache, das die Familie meiner Mutter psychisch total kaputt ist absolut ignoriert.
Mein Opa war in dem Dorf wo ich lebte als Tyrann bekannt. Niemand wollte sich mit ihm anlegen. Er hatte immer Recht, alle anderen machten Fehler und er hatte keine Probleme damit dies ihnen auch deutlich zu zeigen. Er schlug seine Kinder so feste, das meine Mutter heute immer noch Narben davon hat.
Ein Verwandter (ich habe vergessen welcher) hat sich umgebracht. Seine Frau (meine Oma) hat mehrmals versucht sich umzubringen. Sie hatte eine Fehlgeburt und mein Opa gab ihr die schuld. Sein einziger Sohn war in seinen Augen ein Versager.
Meine Mutter erzählte kaum etwas. Was ich mitbekommen habe ist, das mein Onkel (der Sohn) schon als Teenager Depressionen und Suizid Gedanken hatte. Er lebt sozusagen auf der geschlossenen und offenen Psychiatrie. Die Schwester meiner Mutter hat ebenfalls riesige Psychische Probleme.
Ich habe meinen Opa als typischen Choleriker in Erinnerung der immer nur herumgeschrien hat. Als ich ihm einmal als Kind sagte, er solle bitte am Essenstisch aufhören zu rauchen, hat er mich aus dem Haus gejagt.
Meine Mutter war wenn sie wütend war ähnlich. Bei mir zu hause wurde immer herum geschrien. Für alles. Wir wurden auch geschlagen. Lob für Dinge die wir gut gemacht haben gab es keines.
Ich erinnere mich an ein ständiges Gefühl der Scham.
Nach außen merkte man nichts. Wir waren halt alle zurückhaltende sehr schüchterne Kinder die materiell alles hatten.
Ich hatte immer schreckliche angst Hausaufgaben zu machen, denn für jeden Fehler oder für jedes nicht verstehen wurde ich niedergemacht und angebrüllt. "Wie kann man nur so dumm sein, mach deinen scheiß alleine" Dinge die ich gut gemacht hatte, wurden ignoriert. Emotionale Nähe gab es nicht.
Wir hatten zu funktionieren. Uns mit uns selbst beschäftigen. Ich war schon als 2 Jähriges Kind mit meiner 4 Jährigen Schwester draußen ganz alleine unterwegs auf dem Spielplatz. Auch später erinnere ich mich, das ich draußen immer alleine unterwegs war.
Ich weis nicht genau wie alt ich da war, vielleicht 5 oder 6 Jahre da fing ich an mir alle Finger Blutig aufzukratzen und mich an anderen Körperstellen zu verletzen.
Folgendes möchte ich in den Spoiler setzen. Es geht unter anderem um Tierquälerei und andere Dinge die einige vielleicht nicht Lesen möchten.
Das war mal ein kleiner Ausflug in meine Kindheit.
Und wie kam ich darauf das ich eine normale Kindheit hatte? Ich kannte es nicht anders. Und ich bin mir ziemlich sicher das da noch einige Dinge verschüttet sind die ich einfach vergessen oder verdrängt habe.
17 Jahre Therapie und ich habe diese Dinge nie so wirklich erwähnt. Weil ich sie als nicht wichtig erachtet habe. Und weil ich meine Eltern nicht schlecht machen wollte. Schuldgefühle. Ich fühle mich schuldig.
Hätte ich meinen Partner nicht kennengelernt, würde ich immer noch diese Lüge leben das alles in Ordnung war. Erst durch die Beziehung zu ihm und die Tatsache das ich mich den Problemen innerhalb der Beziehung stellen musste, haben das alles hervorgeholt.
Kurz nach dem ich mit meinem Partner zusammenkam, bekam ich auch die Autismus Diagnose. Viele Probleme die sich in der Beziehung zeigten, schob ich auf den Autismus.
Erst als ich durch ein Psychopharmaka in der Lage war, während einem Wutanfall zu erkennen WAS ich da gerade eigentlich tue, fing ich an mir Gedanken zu machen. Wie ist das mit der Empathie und Autismus, wie genau verhält sich ein sogenannter Meltdown (Wutanfall) und lässt sich wirklich alles was ich tue mit der Diagnose erklären?
Die Antwort war nein.
Es gab ständig Situationen in denen mein Partner irgendetwas sagte oder tat und ich mich kritisiert fühlte. Anstatt normal mit ihm zu reden flippte ich regelmäßig aus.
Ich habe ihn abgewertet, angeschrien, beleidigt, bin einfach aus der Situation geflohen, habe ihn im Bett ignoriert wenn er darüber reden wollte und ihm emotionale nähe entzogen.
Als ich ein Medikament gegen meine Wutausbrüche bekam, machte dieses Medikament mich tatsächlich etwas ruhiger. Und ich war plötzlich in der Lage zu erkennen was ich da machte.
Es gab einen Tag da fragte ich ihn, ob ich ihn immer so beleidigen würde und runter machen würde, wenn ich das Gefühl hätte das er mich kritisiert.
Was er mir als Feedback gab, war für mich alarmierend. Ich habe mich selbst so nie gesehen. Allerdings war ich nun in der Lage mich während einem Wutanfalls selbst daran zu erinnern und vor allem zu ERKENNEN das ich gerade falsch reagiere und total Über reagiere. Anstatt ihn abzuwerten bis er am Boden kriecht und sich entschuldigt, tat ich zum ersten mal etwas anderes.
Ich sagte ihm was ich gerade fühlte. Ich erklärte ihn was ich fühle und wieso. Und er erklärte mir die Situation wie sie für ihn war. Das er z.B. das ich etwas was er sagte total falsch aufgenommen hatte. Das gab mir die Möglichkeit zu reflektieren. Mir wurde immer bewusster das ich über reagierte und einfach alles was man sagt als Kritik wahrnehme.
Wir führten viele Gespräche und langsam aber sicher zeichnete sich ein Bild.
Andere Probleme die ich so nie gesehen habe zeigten sich, ich verstand plötzlich was ich in meinen früheren Beziehungen immer getan habe.
Es lag nie an den anderen. Es lag an mir selbst.
Ich versprach ihm Besserung und das ich alles in meiner Macht stehende tun würde, um mich zu bessern. Angefangen haben wir in dem wir mit den Therapeuten gesprochen haben. Alles auf den Tisch gelegt haben.
Das ist jetzt schon eine ganze Weile her. Seit dem ist unglaublich viel passiert. Wir haben es geschafft für uns eine "stabile" Beziehung aufzubauen. Trotz der Probleme die ich habe und mache.
Eine normale Beziehung wie man sich diese Vorstellt, werden wir niemals führen können. Das ist ihm auch klar und ich habe ihm gesagt wenn er das Gefühl hat unglücklich zu sein, dann ist es völlig ok wenn er sich jemand passenderen sucht. (Auch wenn ich erst mal rumheulen würde)
Aber er sagt er ist glücklich mit mir und will bei mir bleiben.
Ich weis das ich noch einen Haufen Arbeit vor mir habe. Ich hoffe ich schaffe das.