Dieses Problem haben viele Menschen, ich auch. Gerade wenn man in einem anspruchsvollen, zeitaufwändigen Beruf arbeitet, ist man abends und am Wochenende oft zu k.o., um noch Lust auf Treffen mit Freunden zu haben.
Ich habe außerdem auch schlechte Erfahrungen gemacht. Mein Heimatort ist nur 75 km, also eine Autostunde, von meinem jetzigen Wohnort entfernt. In meinem Heimatort wohnt noch eine Schulfreundin von mir, die ich trotz der kurzen "Anreise" schon jahrelang nicht mehr gesehen habe. Kontakt nur ein paarmal im Jahr per Mail, Urlaubskarte oder Anruf. Warum es nicht möglich ist, sich mal persönlich zu treffen, verstehe ich auch nicht. Vage Ankündigungen, ohne Nägel mit Köpfen zu machen. Ich muss dankbar sein, dass überhaupt noch - wenigstens auf anderem Wege - sporadisch Kontakt besteht.
Dann habe ich eine weitere Schulfreundin, angefreundet haben wir uns im 2. Schuljahr, die seit einigen Jahren sogar mit ihrem Mann nur 25 km von meinem jetzigen Wohnort entfernt lebt und in derselben Stadt arbeitet wie ich. Seit 13 Jahren haben wir zwar wieder Kontakt, allerdings extrem selten. Seit mittlerweile fast 3 Jahren (!) habe ich sie nicht mehr gesehen. Auch davor haben wir maximal 2-3 mal im Jahr voneinander gehört oder uns mal nach Feierabend getroffen. Ab und zu (nicht jedes Jahr) war ich auf ihrer Geburtstagsfeier (außer mir nur ihr Familienkreis, Ehemann, Eltern, Geschwister, Schwiegereltern) eingeladen. Sie hatte schon immer einen Hang nach oben, umgibt sich am liebsten mit Leuten, die bereits "aus gutem Hause" (Bildungsbürgertum, besser noch Großbürgertum) stammen, beruflich eine möglichst hohe Position und gesellschaftliches Ansehen erreicht haben. Typen, die einflussreiche Bekannte haben oder gar selbst einflussreiche Menschen sind, häufig Fernreisen machen, in den Skiurlaub fahren, segeln, ein eigenes Pferd besitzen usw. Dieser typische Lebensstil von Leuten aus Patrizierfamilien, zumindest aber von Akademikern, die als Bildungsaufsteiger in dieser Schicht "angekommen" sind. Das sind in ihren Augen die interessanten, angeblich so "aufgeschlossenen" Leute, andere betrachtet sie eher als "kleinbürgerlich".
Ich bin Volljuristin in einer Behörde, höherer Dienst, vergleichsweise gutes und sicheres Einkommen, aber keine Spitzenposition. Lese gern, bin tierlieb, interessiere mich für klassische Musik, aber auch andere Musikrichtungen, spiele mehrere Instrumente. Das reicht offenbar nicht. Total unsportlich, als Bildungsaufsteigerin den bescheidenen Lebensstil der nicht-akademischen Herkunftsfamilie weitgehend beibehalten, Mietwohnung (Elternhaus am Heimatort musste nach Tod der Eltern veräußert werden), unverheiratet, keine Kinder, Wochenendbeziehung, psychisch kranke Schwester, zu der ich keinen Kontakt mehr habe (und auch nicht haben will, da es nach 12 Jahren vergeblicher Bemühungen, professionelle Hilfe für sie zu erreichen, fortwährenden Aufregungen und einer jahrelangen heftigen Erbauseinandersetzung nach dem Tod unserer Mutter einfach unerträglich für mich wurde). Da ist man für andere nicht sonderlich interessant, selbst wenn man nicht gerade ungebildet ist.
Demnächst werde ich mich evtl. mit einer anderen, früheren Bekannten aus meinem Heimatort nach Jahren wieder treffen. Dass sich daraus ein intensiverer Kontakt entwickelt, davon bin ich auch noch nicht überzeugt.
Kontakt zu ehemaligen Studienkollegen? Nach Ende der Ausbildung ganz schnell beendet bzw. komplett eingeschlafen. Schon seit über 20 Jahren.
Meines Erachtens kann man heutzutage nur noch "Freunde" haben, wenn man die Biografie, den Lebensstil und die Interessen der breiten Masse bzw. der Gesellschaftsschicht hat, zu der man nach seinem Bildungsgrad und beruflichen Status gehört. Schon durch unverschuldete Probleme und Schicksalsschläge (wie z.B. das chronische Problem mit meiner offensichtlich psychisch kranken Schwester), die dazu führen, dass man sich öfter Sorgen macht und nicht so unbeschwert ist wie andere, wird man ganz schnell ins gesellschaftliche Abseits katapultiert. Selbst dann, wenn man ein überdurchschnittliches, gesichertes, geregeltes Einkommen hat und in "geordneten Verhältnissen" lebt. Ich denke so oft: Wie soll es dann erst Dauerarbeitslosen ergehen, z.B. Leuten, die einfach nur das falsche Studienfach (brotlose Kunst) gewählt haben? Oder Leuten, die aufgrund von körperlichen oder psychischen Krankheiten erwerbsunfähig sind und sich kaum mal einen Kino- oder Theaterbesuch leisten oder auch nur in eine Pizzeria gehen können?
Liebe TE, falls du keine besonderen Probleme, sondern die übliche Biografie hast, würde ich dir raten, über sportliche Hobbies, Vereine, kirchliches oder politisches Engagement einen Bekanntenkreis aufzubauen, aus dem sich vielleicht vereinzelt Freundschaften entwickeln können, die den Namen auch verdienen. Aber ich würde meine Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Die meisten Menschen betrachten ihre Sozialkontakte heute nur unter Nützlichkeitsaspekten und sind zu wirklichen Freundschaften, in denen einzig und allein die Person des anderen im Vordergrund des Interesses steht, nicht mehr fähig. Wahrscheinlich nicht mal mehr willens.