Den Fehler machen wohl viele Eltern, die Schuld für das Ende von Kontakten und Freundschaften immer beim Kind zu suchen. Das nagt dann mit der Zeit am Selbstwertgefühl, zieht immer weiter runter und verunsichert.
Wenn ich ehrlich bin, haben mir meine Eltern in der Hinsicht noch nicht mal Schuldgefühle gemacht. Aber ich habe meist gedacht, mich um Freundschaften besonders bemühen zu müssen, und wollte gerade die Freundschaften, die mir besonders viel bedeuteten, möglichst lebenslang fortsetzen. Es hätte vielleicht schon gereicht, wenn meine Eltern mal aus ihrer Erfahrung heraus ab und zu einen Hinweis gegeben hätten, dass man das in den seltensten Fällen kann. Sie selbst hatten ja auch keine Freundschaften mehr aus der Schulzeit, die - abgesehen von Klassentreffen - im Erwachsenenalter immer noch gepflegt wurden. Statt dessen wurde meine Mutter nicht müde, lobend zu erwähnen, dass ihre jüngere Lieblingsschwester ihre Kindheitsfreundin noch 50 Jahre später hatte.
Hilfreicher als diese unkritische Bewunderung wäre ein Hinweis gewesen, dass das absolute Ausnahmefälle sind (und fast ausschließlich für Leute gelten, die in ihrer Heimatgegend wohnen geblieben sind und einen ähnlichen Lebensstil pflegen), man Freundschaften aber meist nur für einen bestimmten Lebensabschnitt (Schule, Studium) hat und nicht damit rechnen kann, dass man sie in den nächsten Lebensabschnitt hinüberretten kann. Schon gar nicht, wenn die Lebensumstände sehr unterschiedlich sind, wofür man ja oft nicht einmal etwas kann.
Ich hatte z.B. schon aufgrund meiner familiären Ausgangsbedingungen - relativ alte Eltern, Mutter chronisch krank und psychisch wenig belastbar, seit ich acht war, weitere alte und kranke Angehörige im Elternhaus, die Rücksichtnahme auf ihre Bedürfnisse erwarteten, schließlich auch noch die psychisch kranke Schwester - objektiv signifikant geminderte Heiratschancen. Denn welcher Mann ist schon scharf darauf, in solche Verhältnisse einzuheiraten? Außerdem gehen einem bei solchen Rahmenbedingungen auch die Leichtigkeit, Unbeschwertheit und Lebensfreude verloren. Man ist den Männern dann zu ernst und wird als Partnerin von vornherein nicht in Betracht gezogen.
Was soll eine verheiratete Frau und Mutter, die als junge Ehefrau und Mutter von kleinen Kindern jedwede Unterstützung von noch rüstigen Eltern und Schwiegereltern hat(te) und dies für selbstverständlich hält, mit einer Frau wie mir als Freundin anfangen? Und was soll ich umgekehrt mit so einer Frau anfangen? Zwischen ihrem und meinem Leben liegen doch Welten! Die Toleranz ist in Deutschland nicht so groß, dass es viele Freundschaften zwischen Frauen mit so unterschiedlichen Biographien geben könnte. In toleranteren Gesellschaften wie in Kanada, den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden mag das anders sein.
Wenn man auch im mittleren und höheren Erwachsenenalter auf Freunde nicht verzichten möchte, muss man immer wieder neu Ausschau halten. Oder man muss sich damit abfinden und es als normal betrachten, dass die Fähigkeit, Freundschaften zu schließen und aufrecht zu erhalten, mit zunehmendem Alter abnimmt. Erschwerend hinzu kommt die Mobilität, die heute im Berufsleben immer mehr erwartet wird. Das darf man aber dann nicht als persönliches Versagen betrachten und vor allem darf man sich nicht verbiegen und ausnutzen lassen, nur um Freunde zu haben. Das sind keine wirklichen Freundschaften.
Ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn und die Fähigkeit, auch mit unbekannten Menschen ins Gespräch kommen zu können oder ein paar lockere Bekanntschaften zu schließen, sind auch schon was wert.