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Heimweh, kein Zugehörigkeitsgefühl

A

Ali792

Gast
Hallo, ich habe ein etwas unübliches Problem und wäre sehr dankbar, wenn mir jemand helfen oder einfach nur eine Meinung dazu schreiben könnte.
Ich bin 19, weiblich, studiere und wohne noch zu Hause. Mein Problem ist, dass ich schon seit Jahren keinen Anschluss finde, einfach nirgends. Mein Vater ist Botschafter, deswegen sind wir während meiner Kindheit öfters umgezogen, auch quer durch die Welt. Viele beneiden mich um diese Erfahrung, aber ich kann damit leider nicht umgehen. Meine Eltern kommen ursprünglich aus einem afrikanischen Land, das wir noch regelmäßig besuchen und dessen Sprache wir zu Hause sprechen. Geboren wurde ich in Polen und wir haben dort bis zu meinem 11. Lebensjahr gelebt. Dann waren wir noch einige Zeit in Australien bis wir, als ich 16 war, nach Deutschland umgezogen sind. Ich habe mich immer bemüht, mich gut zu integrieren und die Sprache schnell zu erlernen, deshalb hatte ich wenig Probleme in der Schule und Nebenjobs und habe trotz Schwierigkeiten mit Deutsch Abi geschafft. Mir geht es objektiv gesehen sehr gut in Deutschland, kann hier meine Träume verwirklichen, werde nicht diskriminiert und habe vor, hier zu bleiben, selbst wenn meine Eltern wieder weg müssen. Das Problem ist, dass ich keine engeren Freunde finde und mich mit dem Land, in dem ich lebe, nicht verbunden fühle (obwohl ich sehr dankbar bin, dass ich hier so gut leben darf). Ich spreche Deutsch mit Akzent, arbeite viel daran, es zu ändern, aber leider habe ich es immer noch nicht geschafft. Es fühlt sich für mich sehr erschütternd an, dass ich für immer als Ausländerin betrachtet sein werde. Ich bin generell ziemlich zurückgezogen und es fällt mir schwer, Freunde zu finden und die Scham (wegen dem Akzent) macht es noch schwerer. In der letzten Zeit denke ich (und träume sogar von) meiner Kindheit in Polen. Ich konnte die Sprache perfekt, habe mich dort sehr wohl gefühlt, meine Stadt geliebt, hatte immer viele Freunde und war gut in der Schule, durfte eine Musikschule besuchen. Eine perfekte Kindheit, danach ist es immer sehr stressiger geworden, immer eine neue Sprache, anpassen an eine neue Kultur, kämpfen mit Vorurteilen und vergebliche Versuche, dazu zu gehören. Meiner Mutter ist das ähnlich schwer gefallen, also war die Atmosphäre in der Familie auch nicht so toll. Ich habe, nachdem wir umgezogen sind, Polen extrem vermisst, habe aber versucht, die Gefühle zu verdrängen, weil ich meinem Vater keine Probleme machen wollte. In der letzten Zeit sind die Gefühle wieder emporgekommen, noch schlimmer als früher. Mir kommen immer Tränen in die Augen, wenn ich die Sprache höre, ich recherchiere viel, was aus meinen damaligen Freunden geworden ist, wie meine Heimatstadt nun aussieht. Mir ist klar, dass ich hier ein besseres Leben haben werde, und selbst wenn ich dorthin ziehen würde, vermutlich auch keinen Anschluss mehr finden würde und mein Leben dort auch stressig wäre, aber ich vermisse so sehr diese schöne Zeit.
Entschuldigung dass das so lang geworden ist. Danke fürs Lesen und ich freue mich für jede Anregung, wie ich solche Gefühle loswerden kann.
 

Werner

Sehr aktives Mitglied
Hallo Ali792,
zuerst ein großes Kompliment für deine sprach-
lichen Fähigkeiten. Du schreibst ein besseres
Deutsch als viele, die hier aufgewachsen sind!

"Gefühle loswerden" ist keine gute Idee, weil Ge-
fühle eine natürliche Reaktion auf äußere oder
innere Ereignisse sind. Was geht ist, die Gefühle
anders zu benennen, sie zu verstehen und zu ak-
zeptieren oder auch, sie in ihrer Bedeutung zu
verändern.

Ich kann mir z. B. das Gefühl des "Heimwehs"
nur als schmerzhaft und ärgerlich erklären, oder
ich kann es mir so interpretieren, dass ich etwas
Wertvolles erlebt habe, das mir nun eben fehlt.
Das Erlebnis selbst (eine schöne Kindheit) ist ja
durch das Heimweh nicht weg, sondern weiter-
hin Teil meiner Erinnerungen und meines Lebens.

Wir sind aus unserer Heimatstadt weggezogen,
als ich 12 war und mein soziales Umfeld hat sich
bis auf die Kernfamilie total geändert, wobei auch
meine Mutter kurz vorher starb und mein Vater
kurz darauf. Ich war also dazu gezwungen, mich
mit neuen Menschen anzufreunden und habe
früh gelernt, dass Veränderung ein wesentlicher
Teil des Lebens ist, Beständigkeit hingegen eher
die Ausnahme. Ich verstehe gut, wie es dir geht,
wobei ich nicht auch noch die Sprache hatte, die
ich neu lernen musste.

Was mir in Sachen Dazugehörigkeitsgefühl über
die Jahre geholfen hat, ist, dass ich mich nicht in
erster Linie als "Deutscher" fühle, sondern eher
als "Weltbürger" bzw. als ein Lebewesen unter
vielen. Das Universum als Heimat zu sehen ist
zwar nicht allgemein üblich, aber wenn ich nachts
in den Himmel sehe, fühle ich mich da eher behei-
matet als beim Blick auf eine Autobahn oder auf
ein Industriegebiet :) ... dazu kann ich mich so auch
freier "in der Zeit" bewegen. Also alle kulturellen
Errungenschaften, die unser Leben bereichern,
als Teil meiner eigenen Kultur betrachten, etwa
in der Musik oder Kunst. Wenn ich ein schönes
Stück von Mozart, Bach oder Beethoven höre,
fühle ich mich automatisch "zu Hause", genauso
aber bei Sting, Freddy Mercury oder Bob Dylan.

In diesem Sinne habe ich gelernt, mich bei einzelnen
Menschen zu Hause zu fühlen, auch wenn ich weiß,
dass diese Verbindungen unter Umständen nicht
ein Leben lang halten, sondern manchmal nur für
ein einzelnes Gespräch, das ich mit jemand auf der
Straße führe – oder dass die Menschen, die ich da
als Teil meiner Heimat auswähle, gar nicht mehr
am Leben sind.

Ich ersetze also ein Gefühl, das mir vom Leben nicht
mehr oder nicht mehr ständig gegeben wird, durch
Gefühle, die ich mir selbst durch meine Gedanken,
Haltungen oder Bewertungen erzeuge. Und hier
bin ich frei, denn ich kann mich jederzeit dafür ent-
scheiden, z. B. einen Autor, der mir viel bedeutet,
als Teil meiner erweiterten Familie (meines "Clans")
zu betrachten – auch ohne ihn fragen zu müssen, ob
er das denn will ;)

In diesem Sinne wünsche ich dir immer reichlich von
solchen Menschen oder Lebewesen, bei denen du
dich zu Hause fühlen kannst – und dass du das Wert-
volle, das du durch deine herausfordernde Biografie
mit auf den Weg bekommst, im Laufe deines Lebens
immer mehr wertschätzen und nutzen kannst!

Alles Gute,
Werner
 

SFX

Aktives Mitglied
Hallo,

sieh es doch einfach so: Die Welt ist dein Zuhause. Die kleine blaue Kugel, die sich munter um die Sonne dreht 🧘‍♂️

So fühlst du dich überall zuhause!

LG,
SFX
 

CabMan

Aktives Mitglied
Ich kann Dich gut verstehen, dass Du Dich nach dem Ort Deiner Kindheit zurücksehnst. Hast Du denn Deine polnischen Kontakte gepflegt? Wirst Du mit offenen Armen empfangen, wenn Du nach Polen zurückkehren solltest? Oder sind die ehemals festen Kontakte eher eingeschlafen?

Ich bin zwar nur innerhalb Deutschlands umgezogen, habe aber den größeren Bekanntenkreis dort, wo ich aufgewachsen bin. Würde ich aktiv in diversen Vereinen sein, so würde sich wahrscheinlich ein anderes Bild ergeben. Es kommt also darauf an, wie kontaktfreudig man ist.
 
L

Lili

Gast
Das wirst du leider überall haben. Bin in Deutschland geboren und habe ebenfalls afrikanische Wurzeln. Ich war in der Heimat. In beiden Kulturen fühle ich mich nicht willkommen. Für die einen zu deutsch, für die anderen zu afrikanisch (Land möchte ich jetzt nicht preisgeben) . Mir haben meine Freunde geholfen, alle aus anderen Ländern. Muss gestehen, dass deutsche es natürlich nicht so nachvollziehen können. Meine Freundin kommt aus Polen, sie kann mich gut verstehen weil sie eine türkisch abstammenden Mann hat. Ansonsten glaubt einen einer nicht. Oder hat diese Denkweise, dass man dankbar sein soll, dass man hier lebt. Ich bin aber hier geboren und das vergessen die meisten gerne.
 

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