Hallo Magnolia,
das ist ein tolles Thema, bewegend ohnehin. Ich habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass innere Heimat und äußere Heimat sehr viel mehr miteinander zu tun haben, als ich das selbst für möglich gehalten hatte.
Ich bin in einer relativ kleinen Gemeinde aufgewachsen. Auch, wenn der Ort Ende der 60iger Jahre in eine „Großgemeinde“ umgewandelt wurde, bestand die Kerngemeinde aus rund 4.500 Menschen. Jeder kannte jeden. Die Familie meines Vaters war dort seit Generationen verwurzelt. Dort wurde ich getauft, konfirmiert. Heute ist mein Vater dort beerdigt, und auch mein Bruder, der mit gerade 49 starb, hat dort seine letzte Ruhe gefunden.
Der Friedhof ist ein ganz besonderer Ort für mich. Ich kann nicht nur die Gräber von Vater und Bruder dort besuchen, sondern „begegne“ dort auch den Menschen aus meiner Vergangenheit.
Da ist mein Patenonkel Walter mit seiner Frau bestattet, ganz in der Nähe vom ehemaligen Grab meiner Großeltern, deren Grab ich bis weit in die 60iger Jahre mit meinem Vater oft besuchte.
Gehe ich dann über den Friedhof, was absolut nicht Schweres für mich hat, dann „treffe“ ich sie wieder. Martin, ein Jugendfreund, der sich im Alter von nur gerade 25 selbst aus dem Leben verabschiedete, genau wie Gudrun, an deren Beerdigung nach ihrem Selbstmord fast unser komplettes Gymnasium teilnahm.
Kaum ein Name auf den Gräbern, der mir nicht etwas sagt, mit dem sich nicht Erinnerungen verbinden. Da ist die alte Kirche aus dem 17. Jhr, die ich als Konfirmand Sonntag für Sonntag besuchte, in der ich konfirmiert wurde. Dann taucht auch die Erinnerung an meinen alten Pfarrer wieder auf, der uns damals als letzte Konfrimanden-Gruppe zur Konfirmation führte. Sein und das Grab seines Sohnes, der mir ein väterlicher Freund war, befinden sich auch dort.
Aber nicht nur die „schweren“ Orte kann ich dort aufsuchen. Verlasse ich den Vorplatz der alten Kirche, die erhoben über der tieferliegenden Dorfmitte thront, dann stoße ich noch heute auf jenen Imbiss, in dem ich mit meiner Jugendliebe die ersten Pommes Frites verzehrte.
Da sind die alten Hohlwege, über die ich mit einem Jugendfreund ging, wenn wir nachmittags die Probleme mit unseren Vätern diskutierten und über unsere ersten erotischen Versuche sprachen.
Es ist noch nicht so lange her, da traf ich mich mit meiner hochbetagten Mutter und meiner Schwester in meinem Heimatort, um Vaters und das Grab meines Bruders zu besuchen. Wir reisten aus entgegengesetzter Richtung an und ich wartete in einem kleinen Dorf-Café in Ortsmitte. Plötzlich kam eine Frau auf meinen Tisch zu, sah mich an und sagte dann im unnachahmlichen, heimischen Dialekt: „Du bist doch der Sohn vom Fritz?“ Obwohl ich kaum Gelegenheit habe, unseren heimischen Dialekt zu pflegen, gelang es mir, ihr wie erwartet zu antworten. Alles Andere hätte die gute Frau als arrogant empfunden.
Und da war dieses Gefühl, dass ich irgendwie immer noch dazu gehöre. Da ist meine Heimat, dort sind meine Wurzeln. Das ist ein rundum beruhigendes, sehr tröstliches Empfinden. Seit einigen Monaten wächst in mir der Beschluss, an den Ort meiner frühen Jahre zurückzukehren.
Da bin ich zu Hause, wie ich sonst nirgendwo zu Hause war.
Hans