Hallo Bubblebee!
Du musst nichts Bestimmtes ihm gegenüber fühlen. Deine Unsicherheit ist ok, sie ist, denke ich, nach einem traumatischen Erlebnis eine Art Selbstschutz. So hoffe ich, dass Du Dich nicht fragst, warum Du nichts spürst und hoffe, dass Du es einfach für diese Zeit akzeptieren kannst. Ich selbst habe verschiedene Phasen durchgemacht, ich fühlte mich eine gewisse Zeit gefühlstaub, in einer anderen Phase war ich voller Wut auf den Täter... - und jedes dieser veschiedenen Gefühlslagen ist nach einem traumatischen Erlebnis ok.
Ich weiß aber, dass alle Gefühlsschwankungen, die man einem Täter gegenüber haben kann, ihm eine Bedeutung zukommen lassen, die er nie haben sollte. Auch Wut auf den Täter gibt ihm ja eine Rolle, die von Bedeutung ist. Nein, der Täter ist nicht wichtig, er ist ein verkommenes Subjekt, der keinen Gedanken wert ist. Er ist nur ein Teil der Vergangenheit Deines Lebens und hat für Deine Zukunft eigentlich keine Bedeutung mehr.
Nur die Tat selbst wirkt nach. Wie macht sie das? Sie macht es dadurch, dass Betroffene Vertrauen in sich selbst und in andere verloren haben. Während der Tat fühlte ich kompletten Kontrollverlust, denn ich wurde aus einem Hinterhalt angegriffen. Ähnlich wirst auch Du einen Kontrollverlust erlebt haben.
Dieser Kontrollverlust lässt bei uns Betroffenen zwei Wunden zurück, glaube ich. Der Kontrollverlust hat in uns die "Sehnsucht nach Kontrolle" ( dies habe ich mal im Netz gelesen und fand mich darin wieder) enstehen lassen. Wir wollen nie wieder in eine solche Situation kommen, so dass wir unsere Umgebung , wie ich es formuliere, nach Gefahren abscannen. Dies bedeutet natürlich, dass wir dabei gegenüber unserer Umgebung ein größeres Misstrauen empfinden können. Dieses Misstrauen steht bei vielen von uns unserem alten Leben entgegegen, bei den einen mehr und bei anderen weniger ( dies ist natürlich auch von der tieferen Persönlichkeit abhängig).
Das vorherige Leben wollen wir aber zurück. Wir haben aber auch die Verletzung erlitten, dass wir unserer eigenen Beurteilungsfähigkeiten nicht mehr vertrauen. Oftmals ist dies mit Fragen verbunden, was habe ich selbst in der Situation falsch beurteilt, wann hätte ich mich besser schützen können und müssen...`?
Natürlich haben wir Betroffenen nichts falsch gemacht - der Täter hat ein Verbechen begangen. Deswegen glaube ich, dass Betroffenen lernen müssen, dass sie selbst keine Schuld oder Ähnliches tragen. Betroffene sollten verstehen, dass sie , wenn sie Schuld fühlen, sich selbst vergeben sollten, denn sie trifft keine Schuld. Dies wäre ein erster Schritt zur Genesung, denke ich.
Der 2. Schritt würde darin liegen. wieder Vertrauen zu sich selbst aufzubauen. Genauso wie die Tat einen negativ geprägt hat, wird jedes positive Erlebnis nach der Tat einen auch wieder aufbauen, indem das eigene Vertrauen gestärkt wird. Gleichzeitig wird dadurch mit der Zeit auch das Vertrauen in das eigene Umfeld gestärkt. Die Genesungszeit wird dann vollendet sein, wenn man sich möglichst nah seinem alten Ich genähert hat. Dies ist natürlich von den speziellen Gegebenheiten eines jeden einzelnen Falles abhängig, so dass auch ich keine Zeit dafür bestimmen kann.
Zusätzlich finde ich wichtig, dass wir Betroffenen begreifen, dass der Täter nicht unsere Seele zerstören konnte. Der Kern unseres Ichs ist weiterhin vorhanden, wie er vor der Tat vorhanden war. Physikalisch würde ich die Tat als einen Überdruck darstellen, der die Luft in einem bunten Luftballon komprimiert hat. Wenn man aber diesen Überdruck senkt, dann entfaltet sich auch der bunte Luftballon wieder zur alten Größe - und das ist möglich. Das wäre bildlich mein Symbol für die gelungene Genesung.
Ich wünsche Dir, dass Deine Genesung gut voranschreiten wird.
Lieben Gruß, Kay