AW: Sexueller Missbrauch der Tochter - oder doch nicht? Wie gehen Mütter damit um?
Das Familienleben war tatsächlich perfekt. Auch wenn man an sowas nicht glaubt. Oder sagen wir: ich hatte das Gefühl und keinen Grund daran zu zweifeln. Depressionen habe ich schon länger, als ich meinen Mann habe - seit er aber bei mir ist, ist es deutlich besser geworden und ich war durchaus ziemlich stabil. Und unwohl fühle ich mich hier, weil wir vor 3 Jahren recht spontan umgezogen sind, da mein Mann kurz vorm beruflichen Burnout stand und wir einfach was ändern mußten. Zunächst fühlten wir uns hier auch sehr wohl, aber die letzten Monate haben wir einfach erkannt, daß Heimat nunmal Heimat ist und wir uns nicht vorstellen können, hier alt zu werden. So kam der gemeinsame Entschluss, hier fortzuziehen, wenn die Kinder die Schule fertig haben. Wir wohnen so ländlich, daß ein Studium hier in der Nähe nicht möglich wäre und die Kinder dann ohnehin wegziehen würden.
Daß ich nicht über die Gefühle meiner Tochter nachdenke ist falsch. Ich bin immer für sie da, spreche mit ihr, aber dränge sie nicht. Wenn sie mit mir über das Wetter reden will ist es ok, wenn sie mit mir über die Vorwürfe reden will ist es schwer, aber auch ok. Unser Verhältnis ist nach wie vor sehr innig und ich habe ihr sehr deutlich gesagt, daß ein momentanes hier bleiben und warten nicht heißt, daß wir das für immer tun werden. Momentan bin ich ehrlich gesagt auch kurz davor zu gehen, aber es ist halt nicht so leicht. Für keinen von uns. Würde ich sofort packen und gehen, würde ich auch all meine Tiere sich selbst überlassen. Klar geht mein Kind definitiv vor, aber auch daran muß ich denken. Mein Mann hat ab dem 1.9. eine kleine Wohnung in unserer alten Heimat angemietet und wir kommen dann hoffentlich zur Ruhe und zu Lösungen. Auch mit den Therapien.
Sexueller Missbrauch ist in der Tat ein Offizialdelikt. Meine Tochter hat die Anzeige nicht in dem Sinne zurückgezogen, sie hat nur durch einen Anwalt angegeben, zunächst von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, was sie ihrem Stiefvater gegenüber hat. Ich habe sie nicht unter Druck gesetzt - ich habe sie gebeten und ihr Freund meinte, er und seine Mutter hätten ihr schon dasselbe geraten. Das mag falsch sein, aber was ist richtig? Meinen Mann anzeigen, auch wenn er unschuldig ist? Damit wäre sein Leben unwiderruflich ruiniert, was ein Unschuldiger auch nicht verdient hat - auch hiervon gibt es genug Fälle. Kommt raus, daß er das Unglaubliche getan hat, können wir jederzeit eine Aussage bei der Polizei machen und er bekommt seine Strafe.
Es wurde gefragt, warum ich ihm nicht nachgelaufen/-fahren bin. Wieviel Kraft soll ich denn noch aufbringen? Warum wird von mir als Mutter erwartet, das als Vermittlerin oder sogar Ermittlerin so durchzustehen? Ich habe momentan keine Kraft mehr, bin seit Tagen komplett zerrissen. ER ist erwachsen und weiß, was er tut wenn er trinkt und sich ins Auto setzt. Sich den Gesprächen entzieht und abhaut. Ich habe hier jedoch eine weitere Tochter (die Große schläft momentan bei ihrem Freund), für die ich da zu sein habe und das kostet mich auch Kraft. Für sie stark zu sein, ihr die Angst vorm Zusammenbruch der Familie zu nehmen und sie aufzubauen. In der gestrigen Situation konnte ich das einfach nicht, denn in der Vergangenheit war es immer so, daß ich ihm nachgerannt bin, wenn es Konflikte gab, die es selten gab. Und nein, hier ist kein Beweis für die doch nicht so perfekte Familie ... streiten tut jeder mal.
Nochmal zu Silan zurück - ich denke an mein Kind wie an nichts anderes. Und ich weiß, ich muß sie schützen. Aber weißt Du, ich habe in den letzten Tagen so viel gelesen und geschaut ... überall steht, wie es den Kindern geht (die zweifelsohne Priorität in diesen Situationen haben!), aber man findet nirgends was über die Mütter. Die auch durch die Hölle gehen, sich um Familie, Leben und vor allem das Kind wahnsinnig sorgen. Ich kann nur schreiben, was in mir vorgeht und in dem Fall suche ICH Hilfe. Das heißt nicht, daß ich mein Kind dabei vor lauter Selbstmitleid vergesse.
Meine jüngere Tochter habe ich darauf angesprochen und sie gebeten mir zu sagen, wenn was war. Ich hae mich kurz nach ihrer Geburt von meinem ersten Mann getrennt und wir waren zu dritt 3 Jahre allein, ehe ich meinen Mann kennenlernte, mit dem ich aber auch erst 2 weitere Jahre später zusammenkam. Ihr kleines, kindliches Universum bestand ausschließlich aus "Mama". Die Große war schon was älter, hatte auch andere Bindungen, auch wenn ihr der Verlust und die folgende Gleichgültigkeit des Erzeugers sehr zugesetzt haben. Bei der Kleinen ist es bis heute so, daß ich ihr komplettes Universum bin. Sie liebt den Papa, aber Mama ist das Zentrum. Daher bin ich sicher, sie hätte mir gesagt, wenn da irgendwas vorgefallen wäre, vor allem im Hinblick auf die Vorwürfe meiner Großen. Aber man fängt halt an zu rotieren ... Früher hat mein Mann die Kinder oft ins Bett gebracht, ihnen den Rücken eingecremt oder gekuschelt. Dinge über die man sich in normalen Familien eigentlich keinerlei Gedanken macht und machen muß. Ich jedenfalls werde meine beiden Kinder keine Sekunde mit meinem Mann allein lassen, so lange die Geschichte nicht geklärt ist.
Er kam übrigens heute morgen gegen 8 wieder. Schweigend. Ging ins Bett und ich ging ihm in dem Fall nach, um zu reden. Er schwieg. Bis ich sagte, die Große komme gegen 9, um ihr Zimmer weiter zu machen. Da stand er auf, duschte und meinte, so lange sie hier sei, verlasse er das Haus. Und er ging. Ich holte meine Tochter von ihrem Freund ab und habe lange mit ihr gesprochen. Das Thema endlich mal sehr deutlich angesprochen, ihr gesagt, daß ich sie immer lieb haben werde, egal was passiert ist oder egal was sie sich ggf. auch ausgedacht hat. Sie blieb bei ihren Vorwürfen und ich muß ehrlich sagen, so verzweifelt wie sie wirkte, glaube ich ihr inzwischen. So unvorstellbar das Ganze auch für mich ist. Ich habe ihm, der natürlich irgendwann anrief, ob er seinen Rausch ausschlafen kommen dürfe, sehr deutlich gesagt, daß ich nun von ihm eine klare Stellungnahme erwarte. Daß er intelligent und eigentlich auch einfühlsam genug ist um zu verstehen, daß es absolut unverzeihlich ist, jetzt noch auf meinem Kind rumzuhacken und um sich zu schlagen mit Hass und Wut, anstatt ihm die Hilfe zu geben die es braucht und verdient. Und daß auch ich endlich die absolute Wahrheit verdiene, denn ich kämpfe hier seit Tagen wie eine Verrückte. Ich habe ihm gesagt, daß ich von ihm erwarte, daß er das wieder gut machet. Nicht auf mich einschlagen, das kann man absolut nicht wieder gut machen - aber er kann wenigstens dafür sorgen, daß unser Kind nicht noch Angst haben muß, wie es in Zukunft weitergeht und daß sie keine Zukunftssorgen für die nächste Zeit haben muß. Ich habe ihm sehr deutlich gesagt, daß es nicht unsere Tochter ist, die die Familie zerstört hat, sondern daß das ganz alleine er war und daß er endlich den Mumm haben soll, es wenigstens einzugestehen, als vor Selbstmitleid und Existenzangst wild um sich zu schlagen. Selbst wenn meine Tochter gelogen hat, ich kann nicht bei ihm bleiben - er hat mit seinem Verhalten der letzten Tage sehr sehr viel zerstört. Vor allem Vertrauen. Ich werde ihn wenn er wach ist in die Heimat schicken. Ins Hotel oder zu seinen Eltern. Und dann mal sehen wie es weitergeht. Die Gegenwart - und sei es nur in der Nachbarwohnung - werde ich ihr nicht zumuten.
Man kann mich und mein Handeln verteufeln und Verfluchen - ich bin nur ein Mensch. Einer, dem grade der ganze Boden wegbricht. Ich war mir sicher, mit diesem Mann steinalt zu werden und das nun zu verkraften ist auch für mich sehr schwer. Es gibt kein Richtig oder Falsch, außer, daß ich genau wie ihr denke, daß mein Kind Priorität vor allem hat. Ich habe einfach eine Riesenangst - auch wenn ich schonmal den Absprung aus einer Ehe mit beiden Kindern geschafft habe, die damals noch klein waren, was sicherlich zumindest von existenziellen und finanziellen Dingen her weit schwieriger war, als es heute sein wird. Allerdings habe ich meinen damaligen Mann nicht mehr geliebt - meinen jetzigen liebe ich immer noch irgendwie. Ob man das nachvollziehen kann oder nicht. Es ist einfach so. Aber meine Mädchen haben oberste Priorität.
Trotzdem bitte ich noch um einen Rat ... Ich bin hier durch die vielen Tiere gebunden und kann nicht schnell einfach so weg. Ich brauche Zeit, um die Dinge zu regeln, mir Arbeit und alles zu suchen. Wenn er nicht vor Ort ist, ist das ja auch möglich. Aber empfehlt ihr mir, hier komplett wegzugehen? Meine Große meinte, sie hänge sehr an ihrem Freund (der ihr auch wahnsinnig geholfen hatte die letzten Tage und wo ich sie sicher und beschützt wußte), die Kleine meinte, sie würde gerne die Schule hier weitermachen, weil sie schlichtweg dort sehr gut ist und gut zurecht kommt. Kann ich überhaupt darüber nachdenken, die Kinder da rauszureissen? Wir leben in einer Gegend wo die Menschen 99% des Tages mit Tratschen und Lästern beschäftigt sind - kann ich meinen Kindern das zumuten? Ich persönlich tendiere zum kompletten Neuanfang, denn hier noch 4 Jahre aushalten wird schwer und ich würde es nur meinen Kindern zuliebe tun.