Sich "komplett öffnen" erkennst Du woran? Ich frage deshalb, weil mir dieser Anspruch recht subjektiv und hoch vorkommt, denn woran macht man dieses "komplett" fest? Musst Du dafür alles von ihm wissen? Was ist mit den Dingen, die er nicht erzählt, weil er sie schon vergessen hat oder sie nicht für wichtig erachtet? Da fängt das dünne Eis wohl schon ziemlich an zu knacken, denn wie soll jemand diesem Anspruch gerecht werden, wenn er etwas liefern soll, dessen Umfang und Qualität aber von Dir bestimmt wird?
Ist es ein Problem für Dich, dass er mit einer Transfrau geschlafen hat? Er hat es Dir wohl erzählt und Deine Reaktion war nicht die von ihm erhoffte. Wundert es Dich, dass er mit seinen Offenbarungen nun etwas vorsichtiger geworden ist? Direkt gefragt: wie soll sich jemand komplett öffnen, wenn er damit rechnen muss, genau damit direkt und sofort in Deinen Augen unterzugehen?
Immer wieder taucht im Laufe einer Beziehung die Frage auch, wieviel Wahrheit eine Beziehung gerade ertragen und aushalten kann. Er hat Dir etwas erzählt, mit dem Du (noch) nicht umgehen kannst. Wer hat nun das Problem und braucht eine Lösung? Er kann seine Vergangenheit nicht ändern. Er kann nur auf Dein Verständnis und Deine Toleranz hoffen. Das hat er getan und etwas scheint schief gelaufen zu sein und zwar auf Deiner Seite. Das kann vorkommen, denn wer weiß schon eine Antwort auf diese Information und wie es einem damit geht, bevor man sie hat?
Aus meiner oberflächlichen Sicht solltest Du Dir Gedanken machen, wo Deine Grenzen sind und dies auch kommunizieren. Vielleicht ist Dein Partner jemand, der Dich dazu bringt, diese Grenzen zu überdenken und zu erweitern. Bei einigen mag das sinnvoll sein, bei anderen nicht. Du musst nicht alles gut finden, aber Du solltest nicht Deine Grenzen zu seinem Problem machen, soweit das möglich ist. Aber das ist nur ein frommer Wunsch. Ich kenne keine Beziehung, in der das so laufen würde. Also bleibt euch wohl nur, die Dinge dann zu klären, wenn sie anstehen. Macht das nicht eine Beziehung lebendig und tragfähig?
Dein letzter Satz gibt mir etwas zu denken, was die Zukunftsfähigkeit eurer Beziehung angeht, denn sie liest sich, als ob Du schon eine Entscheidung getroffen hast, um Dich zu schützen und ihm dafür die Verantwortung zu schiebst. Aber sind es nicht Deine Grenzen und Deine Vorgaben, die gerade zu einem Problem geworden sind? Das dürfen und sollen sie, denn SO lernt man sich wirklich kennen und SO entsteht Wachstum in einer Beziehung. Es sind die offenen Fragen und die, auf die wir (noch) keine Antworten haben, die zeigen, aus welchem Holz wir sind und auch wo unsere aktuellen Grenzen unserer Beziehungen verlaufen. Ich habe leider nicht den Eindruck, dass sein Urteil gerade einen Kontrapunkt setzt, sondern Dein Urteil und Deine Bedingungen. Du hast ein Recht auf Deine Grenzen. Darüber solltet ihr reden.