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Ein Thema aus der Vergangenheit...

A

Ascielle

Gast
Auch wenn meine Erlebnisse schon lange zurückliegen, denke ich, dass sie hier am besten aufgehoben sind. Falls doch nicht, bitte verschieben. Ich wüsste nicht, wo es besser Platz findet, als hier.

Heute morgen habe ich mich mal wieder lebhaft an meine Schulzeit erinnert, speziell in der Zeit von 2002-2004. Diese Zeit war sehr schwer für mich und hat mich nachhaltig geprägt, eventuell findet sich der eine oder andere in meinem Text wieder, es wäre einerseits schön zu wissen, dass ich nicht allein bin. Andererseits wünsche ich niemandem, das Gleiche wie ich erlebt zu haben. Ich denke, ich brauche keine Hilfe zur Bewältigung mehr, es geht mir einzig und allein darum, meine Geschichte niederzuschreiben. Und los geht's...


Herbstferien 2002 - Ich war 14 1/2 Jahre alt, meine Eltern lebten getrennt, seit ich denken kann. Das Verhältnis zu meiner Mutter, bei der ich lebte, wurde immer schwieriger. Bei meinem Vater verbrachte ich jedes 2. oder 3. Wochenende, und meine Mutter war immer wütend, dass ich bei ihm so "verkommen" durfte. Nach ihren Regeln durfte ich nur essen, wann sie es erlaubte, und dann auch nur das, was sie als kalorienarm empfand. Einen PC hatte mein Bruder mal von unserem Vater geschenkt bekommen, was meine Mutter so wütend machte, dass die den PC mutwillig zerstörte. Manchmal völlig willkürlich oder aus minderen Gründen wurden uns Spielsachen weggenommen, technische Geräte waren sowieso untersagt. Wir mussten förmlich betteln, wöchentlich eine Stunde lang am Super Nintendo zu spielen. Und oftmals hieß die Antwort NEIN. Mutter hing oft besoffen in der Ecke, kümmerte sich einen Dreck um uns, aber wehe, unsere Schulnoten waren schlechter als eine 3!
Ich war ein schwieriger Teenager, brauchte gerade jetzt viel Zuwendung, aber bei so einer Mutter wandte ich mich lieber an meine damals beste Freundin, zu der mir meine Mutter später immer häufiger den Kontakt verbot, unter dem Einwand, ich würde mich ja nur vor der Hausarbeit drücken wollen, indem ich so oft zu meiner Freundin gehe.
Jene Herbstferien zog ich dann endgültig den Schlussstrich und ging auf das Angebot meines Vaters, welches er mir nur wenige Wochen zuvor wie aus dem Nichts gemacht hatte, ein. Dass ich jederzeit bei ihm wohnen könne, wenn nichts mehr geht. Ich ließ mir diese Worte lange durch den Kopf gehen, bis dann eines Morgens die Situation zwischen meiner Mutter und mir eskalierte. Ich wachte mit Fieber auf, fühlte mich elend und wollte zu Hause bleiben. Mutter machte nicht einmal Anstalten, Fieber zu messen, sondern sagte kalt "Zum Schule schwänzen brauchst du eine bessere Ausrede" ...Zu jenem Zeitpunkt hatte ich noch nie Schule geschwänzt und es wäre mir auch niemals in den Sinn gekommen. Dazu hatte ich viel zu große Angst vor den Konsequenzen, wenn es auffliegt. Ich bin dann zur Schule gegangen und habe mich meiner Lehrerin anvertraut, die mich dann krank nach Hause geschickt hat. Zu meiner Mutter sagte ich anschließend nur: "Ich zieh zu Papa"
Ein Thema, welches wir schon einmal in ferner Vergangenheit durch hatten. Damals war ich 11. Damals ließ ich mich noch überreden zu bleiben, weil meine Beweggründe ehrlich gesagt egoistisch waren. Ich wollte mehr Freiheiten. Und die bekam ich bei meinem Vater. Dass diese aber auch ihren Preis haben, sollte ich spätestens jetzt erfahren.

Da ich mitten in den Ferien umzog, wusste aus meiner alten Schule niemand bescheid, wieso ich plötzlich weg war. Mein Vater meldete mich an einer neuen Schule an, in einer anderen Stadt, in der ich niemanden kannte. Die ersten Tage bei ihm waren Freiheit pur, aber ein leicht schlechtes Gewissen überkam mich dennoch. In Anbetracht der Freiheiten jedoch verdrängte ich diese Gefühle problemlos. Ich konnte endlich essen, wann und was ich wollte, musste nicht mehr hungern. Und ich musste nicht mehr betteln, um mal an den PC oder den Nintendo zu dürfen. Ich bekam mein eigenes Zimmer und meine eigenen Geräte. Mein Vater fragte mich, ob ich gern malen würde, ich sagte ja und er meldete mich in einem Malkurs an, den ich auch eine zeitlang begeistert besuchte. So etwas hätte meine Mutter niemals finanziert, durch ihren Alkoholkonsum hätte sie es sich sowieso nicht leisten können. Mein Vater war Vielverdiener, hätte theoretisch jeden Monat 2x in die Karibik fliegen können.

Dann begann mein erster Schultag, ich war sehr aufgeregt. Aber schon als die Direktorin mich meiner neuen Klasse vorstellte, merkte ich, dass irgendwas komisch ist. Ich wusste nicht, was es war. Vielleicht ticken die Menschen in anderen Städten ja auch einfach anders, dachte ich. Woher sollte ich das wissen? Ich war ja zuvor noch nie in einer anderen Stadt. Wenn ich mein Bestes gebe, kann ich doch nichts falsch machen, oder?

Meine Schulbücher wurden aus irgendeinem Grund verzögert geliefert und für jede Stunde, in der ich meine Bücher nicht dabei hatte, wurde mir eine 5 aufgeschrieben. Vor Beginn der ersten Stunde wurde mein Tisch und mein Stuhl so manipuliert, dass ich erstmal ordentlich saubermachen musste, dazu musste ich aus den Toilettenräumen Klopapier holen - während dieser Zeit machten sich meine Klassenkameraden über meine Hausaufgaben her und übergossen sie mit Fanta. Dafür bekam ich später vom Lehrer abermals schlechte Noten. Als dann endlich meine Schulbücher ankamen, ging ich sehr sorgsam mit meinem Schulzeug um, ich hatte ja bereits dazugelernt - und alles, was nicht unmittelbar gebraucht wurde, in meinen Spind eingeschlossen. Dieser wurde nur wenig später aufgebrochen und meine Schulbücher waren weg. Wieder bekam ich für jede Stunde schlechte Noten wegen unvollständigem Material. Ich traute mich garnicht, meinem Vater davon zu beichten, denn die Bücher waren nagelneu und nicht kostenlos. Schon nach einer Woche an der neuen Schule wurde mir mit einem Feuerzeug und einem Taschenmesser nachgejagt, sodass ich verängstigt den weiten Weg nach Hause lief, anstatt den Bus zu nehmen, in dem meine Klassenkameraden saßen. Zum ersten Mal dachte ich darüber nach, nicht zur Schule zu gehen. Nicht, weil ich "keinen Bock" mehr hatte, sondern aus Angst. Aber noch war die Angst vor den Konsequenzen größer. Ich beschloss also, all meinen Mut zusammenzunehmen und es der Klassenlehrerin zu erzählen. Sie sah mich erstaunt an, wollte Namen wissen. Ich sagte "Es sind bestimmt nicht alle, aber die meisten." Und ich nannte ihr mindestens fünf Namen. Sie schien empört zu sein, als sie sagte "Meine Schüler kenne ich seit der fünften Klasse, sie sind nie zuvor negativ aufgefallen. Und jetzt kommt plötzlich eine Neue und behauptet, die anderen seien schuld?" Da merkte ich, dass ich auf mich allein gestellt war. Auch wenn ich es durchaus noch meinem Vater hätte erzählen können. Er hätte sicher vorgeschlagen, mich an einer anderen Schule anzumelden. Aber womöglich wäre es an anderen Schulen noch schlimmer zugegangen. Das wollte ich nicht riskieren. Oder vielleicht hätte er gesagt "Stell dich mal nicht so an, dein Bruder und deine Cousine waren auch an dieser Schule und haben es ja auch irgendwie geschafft"
...
Also blieb ich zum ersten Mal der Schule fern. Anders als diese typischen "Kein-Bock"-Teenager verbrachte ich die Vormittage nicht bei Freunden (welche Freunde denn?!) oder im Kaufhaus, sondern allein draußen, irgendwo im abgelegenen Naturschutzgebiet, wo der Zutritt untersagt war. Hier würde ich garantiert niemandem begegnen, der mich verpetzen könnte. Sogar im eiskalten Winter war ich draußen, wenn ich nicht gerade doch mal in der Schule war. Anfangs schwänzte ich nur maximal 1x die Woche. Zuletzt erschien ich in der Schule höchstens so oft.
Eines Tages war das Mobbing mal wieder so frustrierend und erniedrigend, dass ich, wirklich ganz leise und ruhig, zu einer Mitschülerin sagte "Macht so weiter und irgendwann bin ICH es, die mit einem Messer zur Schule kommt". Eine Aussage, die mir zum Verhängnis wurde. Noch am selben Tag sollte ich zur Direktorin, dort wurde ich von meiner Stiefmutter abgeholt. Tags darauf sollte ich zum Polizeirevier und aussagen. Ich wurde verdächtigt, einen Amoklauf geplant zu haben. Zum Glück war der Polizeibeamte verständnisvoll, als ich ihm die ganzen Umstände unter Tränen berichtete, und er gewährte mir Einsicht in die Akte mit den Aussagen meiner Mitschüler und sogar Lehrer. In mehreren Aussagen stach hervor, dass ich "unzurechnungsfähig" sei und dass mir ein Amoklauf "durchaus zuzutrauen wäre". Dies wurde sogar von Lehrern bestätigt. Mir wurde dann empfohlen, mich an den Schulpsychologen zu wenden, und ich wurde gefragt, ob ich die Schule wechseln wollte, was ich aus bereits gegannten Gründen verneinte. Stattdessen wollte ich es in einer anderen Klasse versuchen, in der ich zumindest ein Mädchen kannte, die manchmal freundlich zu mir war. Seitens der Schule hieß es, ich solle eine Psychotherapie machen, ansonsten werde ich suspendiert. Mein Vater war natürlich alles andere als begeistert von diesen ganzen Ereignissen, so war es nun endlich Zeit, ihm zu erklären, was eigentlich los war. Nachdem ich alles erklärt hatte, meinte er kühl: "Warum interessiert dich überhaupt, was die anderen von dir denken? Das kann dir egal sein, du bist in der Schule, um später Arbeit zu bekommen. Die ganzen Idioten da wirst du sowieso nie wieder sehen, also konzentrier dich einfach auf den Stoff und kümmer dich um Freundschaften in deiner Freizeit, anstatt den ganzen Tag zu Hause rumzusitzen"
Natürlich war das absolut keine Hilfe... wie soll man sich denn auf Schule konzentrieren, wenn man so massiv gemobbt wird?

In der neuen Klasse änderten sich die Dinge. Ich wurde weitesgehend in Ruhe gelassen, aber Anschluss fand ich auch hier nicht. Jeder kannte meine Vorgeschichte und in den Pausen und im Schulgang begegnete ich noch immer meiner alten Klasse und war dem Mobbing hilflos ausgesetzt. Ein paar Außenseiter meiner neuen Klasse erlaubten mich dann in ihre Gruppe, die, wie ich letztendlich feststellen durfte, mich nicht wirklich mochte, sondern nur Mitleid mit mir hatte. Ich war also quasi DER Außenseiter unter den Außenseitern. Tolles Gefühl.

Zu meinem 15. Geburtstag erlaubte mir mein Vater, groß zu feiern und so viele Leute einzuladen, wie ich will. Allerdings unter einer Bedingung: Kein Alkohol, keine Drogen. Klar, für mich überhaupt kein Problem, ich hatte noch nie Alkohol, Zigaretten oder Drogen probiert und es auch nicht vor. Ich hätte nicht mal in Versuchung gelangen können, so groß war meine Angst vor diesem Zeug. Die Bedingung gab ich an meine Klasse weiter, die ausnahmslos eingeladen war, und man versicherte mir, dass keiner was mitbringt.
Dann kamen die ersten Gäste - es war ein Junge aus meiner Klasse und ein paar seiner Kumpels, die ich nicht kannte. Er meinte, die sind ok. Ich wollte kein Spielverderber sein, also sagte ich nichts und ließ sie rein. In meinem Zimmer nahmen sie sofort alles auseinander, schmissen den Inhalt meiner Schränke und Regale aus dem Fenster, drehten sich Joints im Badezimmer, rauchten in meinem Zimmer und aschten in mein Aquarium. Als es mir endlich irgendwie gelang, sie loszuwerden, merkte ich außerdem, dass mein Handy geklaut worden war. Meine größte Sorge war allerdings, dass mein Vater von alldem nichts mitbekommen durfte. Dann kamen endlich die anderen Gäste, zum Glück nur Leute aus meiner Klasse, sowie 2-3 Jungs aus der Parallelklasse, die ziemlich in Ordnung waren. Aber niemand hielt sich an das Alkoholverbot. Es wurde so viel getrunken, dass überall hingekotzt wurde, und erst durch Einschreiten meiner Stiefmutter gelang es mir, das Chaos halbwegs unter Kontrolle zu bekommen. Naja, eher gesagt wurden sie alle rausgeschmissen. Ich fühlte mich wie der größte Versager aller Zeiten. Und meine Stiefmutter meinte anschließend zu mir "Warte ab, was Papa dazu sagen wird. Sei froh, dass ich nicht deine richtige Mutter bin"
Mal wieder verlor ich den Boden unter den Füßen...
Das ganze Chaos musste ich natürlich alleine beseitigen, obwohl ich so gesehen überhaupt nicht mitgefeiert habe. Ich habe nichts getrunken, nichts geraucht, selbst auf meiner eigenen Party war ich nur ein Gast, der irgendwo im Abseits stand - alleine. Aber ich trug die alleinige Verantwortung für diesen Abend. Ich hatte keine Ahnung, dass es so ablaufen würde. Und ich hatte keine Kontrolle darüber.
Am nächsten Tag sagte mein Vater zu mir, dass ich zur Strafe nicht mit zur geplanten Klassenfahrt nach England darf - es war ein Trip exklusiv für die Leistungsbesten der Stufe, und ziemlich teuer - 500 Euro für eine Woche.
Von dem Moment an wurde mir Schule völlig egal. Während ich mich zuvor wenigstens noch um Leistungen bemühte, war es mir jetzt egal, wie viele Sechsen mir meine Lehrer gaben. Und ich unterschrieb die Lehrerzettel für nichtgemachte Hausaufgaben selbst, ebenso die "Tadel" für negatives Verhalten, und Klassenarbeiten. Im zweiten Halbjahr der neunten Klasse hieß es schließlich, dass meine Versetzung gefährdet sei und ich mich ordentlich ins Zeug legen müsse, um zu bestehen. Das gab mir dann plötzlich wieder einen Leistungsschub, ich lernte wieder für die Schule, machte Hausaufgaben, sofern ich sie verstand, sogar in meinen absoluten Null-Leistung-Fächern Mathe, Chemie und Physik zeigte ich zumindest Ehrgeiz, den Stoff verstehen zu wollen. Aber außer in Englisch und Biologie war ich wirklich schlecht. Lag es eventuell mitunter daran, dass meine Englischlehrerin sowie mein Biolehrer sehr umgängliche Lehrer waren? Im Vergleich dazu war ich nämlich vor allem in den Fächern schlecht, die wir bei einer ganz bestimmten Lehrerin hatten. Deutsch, Wirtschaftslehre, Politik, Gesellschaftslehre... und ganz nebenbei war sie auch meine Klassenlehrerin. Niemand mochte sie. Sie war wirklich extrem streng, intolerant und akzeptierte nicht das kleinste Fehlverhalten. Ich glaube sie gehörte noch zu dem Typ Lehrer, die ihre Schüler am liebsten auf sadistische Weise geschlagen und erniedrigt hätten. Selbst mit größter Mühe war es schwer, ihrem Unterricht zu folgen, da sie ihn zudem äußerst langweilig und in einer monotonen Stimme hielt, dass es mir schwer fiel, nicht einzuschlafen.

Am Ende scheiterte meine Versetzung an einer 5 zuviel im Zeugnis. In einem Fach, in dem ich zwischen 4 und 5 stand, gab mir der Lehrer eine 5, wissend, dass meine Versetzung durch diese 5 verbaut war.
Wieder war mein Vater sehr enttäuscht, äußerte seine Enttäuschung in Zorn und strafte mich fortan, indem er mir mehr und mehr Freiheiten nahm. Mit meiner Stiefmutter konnte ich schon seit dem Geburstagsdrama nicht mehr reden, ohne dass sie mich anfauchte. Ich war in diesem Haus nicht länger willkommen, denn auf "sowas wie mich" kann man ja nicht stolz sein. Später sollte ich sogar feststellen, dass mein Vater, wenn er sich irgendwem vorstellte, nur noch meine Stiefschwester und jüngere Halbschwester als Kinder erwähnte, aber mich und meinen Bruder nicht mehr. Denn für uns schämte er sich. Mein Versagen wurde auf "Kein Bock" zurückgeführt, daher sagte mein Vater zu mir, er habe auch "keinen Bock mehr, dich weiter durchzufüttern. Du kannst jetzt für dein Taschengeld selbst arbeiten gehen, gehst ja nicht mehr zur Schule, also such dir was"
Ich war allerdings noch ein Jahr schulpflichtig, also ging ich in ein Berufskolleg, wo ich meinen Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nachholen konnte. Die Zeit dort war einigermaßen okay, es gab nur sehr viele "Tussen" dort, die sich über mich lustig machten, da ich mir nichts aus Styling machte. Aber es gab auch viele freundliche Mädels, mit denen ich mich manchmal sogar nach der Schule verabredete. Feste Freundschaften wurden daraus nicht, dazu waren wir dann doch zu verschieden.
Nach dieser Zeit drängte mich mein Vater aus dem Haus, ich war erst 18, hatte nichts Solides in der Tasche, konnte nirgendwo hin. Ich war zudem unselbständig wie eine 8-jährige. Ich wusste praktisch nichts vom Leben, wie man sich selbst versorgt, was mir zusteht, welche Möglichkeiten ich habe - ja, ich wusste nicht mal, wie man das Internet bedient, weil mir der PC weggenommen wurde, als eine von vielen Konsequenzen für mein Versagen.
Die Zeit nach der Schule war also im Grunde fast so unerträglich wie währenddessen... Ich hatte Angst, auf der Straße zu leben. Mein Vater war überzeugt, dass man nur den Druck auf mich erhöhen müsse, damit ich "in die Gänge" komme, und wenn ich es nicht tue, ist der Druck wohl einfach noch nicht hoch genug. Ich hatte bald garkeine Rechte mehr, nicht mal Anspruch auf Grundbedürfnisse. Ich wollte mich um Arbeit bemühen, aber entweder bekam ich Absagen oder bin beim Vorstellungsgespräch oder gar Probearbeiten gescheitert. Ein Mal habe ich ein Praktikum gemacht, in einer anderen Stadt. Der Reiseweg mit dem Zug war allerdings sehr umständlich und lang, weil die Verbindungen schlecht waren. Ich kam bei Feierabend um 18 Uhr nicht vor Mitternacht zurück. Ich musste um 10 anfangen, also um halb 6 schon aus dem Haus sein. Nach einer Woche hielt ich es nicht mehr aus, dieser Fahrtweg setzte mich enormen Stress und Frust aus. Wieder hieß es von Seiten Vaters, ich sei einfach faul und es gehe mir wohl zu gut. Ich würde mich nicht anstrengen. Dann kam ich in die Kreishandwerkerschaft, weil das Arbeitsamt mich dort haben wollte. Es waren unbezahlte 6 Wochen, die eigentlich für 2 Jahre angesetzt waren - aber in diesen 6 Wochen wurde ich 3x beim Schwarzfahren in der Bahn erwischt. Wie hätte ich denn auch das Ticket bezahlen können, ohne Geld? Aber ich MUSSTE dorthin, da mir das Arbeitsamt im Nacken saß. Mein Vater weigerte sich, die 3x40 Euro Bußgeld zu bezahlen, also bekam ich per Gerichtsbeschluss 2 Wochen Jugendarrest erteilt, sowie 120 Sozialstunden in der Küche eines Altersheimes. Die Jugendarrestanstalt war weit weg, in einer anderen Stadt, und abermals musste ich schwarzfahren, um überhaupt dorthin zu gelangen. Zum Glück wurde ich nicht erwischt. Ich war überhaupt nicht auf Stress aus, im Gegenteil. Ich wollte meine Ruhe, vor allem und jedem. Und mich definitiv mit niemandem anlegen. Ich war schon längst schwer depressiv und sah den Tod als Ausweg, nicht als den letzten, sondern den einzigen. Mehrfach habe ich versucht, mich zu vergiften, ich wusste keine anderen Methoden, die mir zugänglich waren und zu denen ich den Mut hatte. Ich wusste, welche Gifte in welchen Mengen tödlich sind. Aber irgendwie wirkte es nie bei mir, ich bekam nicht mal Übelkeit, garnichts. Nach fünf Versuchen gab ich es auf. Abschiedsbriefe oder sonstige Ankündigungen gab es nie, ich wollte keine Aufmerksamkeit, ich wollte einfach nur tot sein. Vermisst hätte mich sowieso niemand. Ich hatte zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal je eine Beziehung gehabt.

Erst als ich 19 war, geschah ein Wunder, im wahrsten Sinne des Wortes, und ich traf jemanden, der sich in mich verliebte. Er hatte eine eigene Wohnung und... naja, zugegebenermaßen liebte ich ihn nicht wirklich, aber ich dachte, das kommt schon noch. Ich muss vielleicht erst lernen, wie man liebt. Jedenfalls war er die wahrscheinlich einzige Gelegenheit für mich, aus der Situation zu entkommen, und so überlegte ich nicht lange...

Und heute bin ich hier, fast 27 Jahre alt, mein Leben hat seitdem viele verrückte Wendungen genommen. Ich frage mich oft, ob ich meine Entscheidung von damals, zu meinem Vater zu ziehen, bereue. Ob ich es anders machen würde, wenn ich die Chance dazu hätte. Einerseits denke ich, dass ich ohne diese schwere Zeit heute ein anderer Mensch wäre - vielleicht ein schlechterer, denn ich habe dadurch früh die wahren Werte des Lebens erkannt - andererseits frage ich mich, ob ich heute stabiler im Leben stehen würde, ein fast normales Leben leben würde, und glücklicher wäre, wenn ich bei meiner Mutter geblieben wäre (die im Übrigen nur 1 Jahr nach meinem Auszug selbst in eine andere Stadt gezogen war, von daher hätte ich sowieso die Schule gewechselt), oder zumindest darauf eingegangen wäre, auf eine andere Schule zu gehen, wo ich vielleicht nicht gemobbt worden wäre.

Übrigens ist jene Albtraum-Schule im Sommer 2014 geschlossen worden, mangels Anmeldungen neuer Schüler. Letztendlich schien doch den Eltern mehr und mehr bewusst, dass diese Schule katastrophal ist. Ich weiß nicht, ob mich das erleichtert oder betrübt. Vielleicht beides.
 

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