Liebe Hempeline,
vieles was du schreibst, kommt mir bekannt vor. Ich bin auch schon immer ein legerer Typ. Selbst als Teenager, wo sich alle Mädels in meinem Alter geschminkt und gestylt haben, war mir das eher zuwider. Das war so schwer! Ich wollt ja dazugehören. Wollte auch so sein, wie die. Wollte akzeptiert und gemocht werden... Ich war in der Zeit sehr zerrissen. Hab vieles mitgemacht, was mir gar nicht so recht entsprach und mich dabei sehr unwohl gefühlt. Die einzige "Lösung" schien mir zu sein, jemanden zu finden, der nicht sehr weit von dem weg war, was auch mir entsprach, der aber trotzdem "cool genug" war um als "Vorbild" zu taugen... So richtig gab es da niemanden und ich wurschtelte halt so weiter...
Später entwickelte ich etwas, das ich (und offensichtlich auch die Menschen um mich rum), für Selbstbewusstsein hielt. Es fiel mir viel leichter, einfach das anzuziehen, was mir gefiel, was ich bequem und praktisch fand, ohne dass es mich groß interessierte, was andere davon hielten. Irgendwie verband sich damals für mich Selbstbewusstsein mit Schlabberlook... ICH hatte es schließlich NICHT (wie viele andere) nötig, mich mords aufzutakeln und zu stylen. ICH war selbstbewusst genug, mir keinen Kopf darüber zu machen, wie ich aussehe... (Du siehst, man kann auch im Schlabberlook arrogant sein...) Ich glaube, gerade weil ich als Teenager so große Probleme damit hatte, eine eigene Meinung zu haben (eine andere als die anderen), wurde es für mich so wichtig, mich vom Mainstream abzuheben. Mir schwante irgendwann, dass ich vielleicht manchmal nur deshalb bestimmte Dinge ablehne, weil sie grad total in waren. Nicht nur in Bezug auf Klamotten, sondern bei fast allem.
Ganz viele Jahre, lebte ich diese Art von "Selbstbewusstsein". Im Vergleich zur Teenie-Zeit, war ich auch viel offener, schlagfertiger, fühlte mich hübscher und war weit weniger schüchtern. Aber ganz tief drin wusste oder ahnte ich wohl trotzdem, dass das nicht so ganz echt ist... Es gab so einige Situationen, die mir nach wie vor große Angst machten. Ich hatte nur gelernt, das ziemlich gut zu überspielen und niemanden merken zu lassen. Oder ich vermied diese Situationen einfach.
Als ich dann in einer heftigen Krise steckte (gescheiterte Beziehung), sagt mir zum ersten Mal jemand ganz ehrlich, er habe den Eindruck, es falle mir schwer, mich selbst anzunehmen. (Dieser Mensch hat von da an sehr, sehr viel bei mir in Bewegung gebracht. Ich hab ihm unglaublich viel zu verdanken!) Ich hatte aber erstmal wirklich keine Ahnung, wovon er spricht. Ganz analytisch und detailliert erklärte ich ihm, warum das nicht stimmen könne. Ich fühlte mich wohl in meinem Körper, ganz ohne da übermäßig "nachhelfen" zu müssen. Ich war zufrieden mit meiner Intelligenz und meinen Fähigkeiten. War gut in meinem Beruf und auch ansonsten vielseitig interessiert. Manchmal ein wenig faul, aber dazu stand ich locker... Und ich war auch zufrieden mit meinem sozialen Umfeld, mit Freunden, mit ehrenamtlichem Engagement etc. Mir fiel also wirklich kein einziger Aspekt ein, wo ich sagen hätte können: "Da fällt es mir schwer, mich so anzunehmen, wie ich bin."
All das entsprach auch wirklich den Tatsachen und doch weiß ich heute, dieser Mann hatte Recht. (Auch wenn ich immer noch nicht sagen kann: "In diesem oder jenem Punkt, konnte ich mich nicht so richtig annehmen.) All diese Selbstsicherheit, war zwar da, aber sie war nur an der Oberfläche. Tief drin war da immer noch die Angst, nicht zu genügen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich oft bei ganz normalen, harmlosen Dingen Angst, mich zu blamieren. Hatte Angst Schwäche zu zeigen, hatte Angst nachzufragen, hatte Angst, dass man mich dumm, langweilig oder nervig finden könnte...
Seitdem hat sich vieles in mir verändert. Trotzdem bin ich noch dieselbe geblieben. Ich hab mehr zu mir gefunden. Die meiste Zeit lauf ich immer noch ganz leger herum, aber inzwischen trau ich mich auch, mich für entsprechende Anlässe mal schick zu machen. Früher hab ich mich bei solchen Anlässen unwohl gefühlt. Ich fühlte mich falsch, wenn ich unpassend leger auftrat und ich fühlte mich falsch, wenn ich mich im Gegensatz zu sonst, schick machte. Heute fühl ich mich nicht mehr falsch, wenn ich ab und zu mal etwas ganz anders mache als sonst. Ich erkenne viel mehr Facetten an mir und freu mich darüber, wenn mir jemand sagt: "Hey, das hätt ich dir gar nicht zugetraut." Ich trau mir jetzt mehr zu. Ich muss nicht in dem Rahmen bleiben, den ich mir einmal gesteckt habe, aber es wäre auch völlig falsch, meinen Rahmen mit Gewalt zu verlassen, um z. B. irgendwelche Erwartungen zu erfüllen.
Ich denke, der Knackpunkt ist tatsächlich diese Gefühl, irgendwie falsch zu sein. Dagegen hilft es leider weder, einfach trotzig sein Ding durchzuziehen (und sich dabei unwohl zu fühlen), noch hilft es, sich einfach anzupassen und das zu tun, wovon man glaubt, dass andere es erwarten. (Dabei fühlt man sich garantiert auch unwohl....) Eigentlich muss man wohl erst das Gefühl loswerden, falsch zu sein. Dann ist es im Grunde egal, was man tut. (Bzw. das was man dann tut, wird automatisch richtig sein und sich auch so anfühlen, egal ob es anders ist, als andere erwarten, oder ob es anders ist als das, was man immer dachte, dass der eigenen Persönlichkeit entspräche...)
Mir scheint, dass deine Vorstellungen von einer selbstbewussten Frau, genau in diese Richtung gehen. Was du dir da vorgestellt hast, warst eben NICHT DU mit mehr Selbstbewusstsein. Bitte tu mir den Gefallen und versuch bloß nicht, so zu werden, wie die selbstbewusste Frau deiner Vorstellung! DU wärst dann ja gar nicht mehr da. Und das wäre sehr, sehr schade!
Ja...mir meiner selbst bewusst das bin ich. Ich meine mich aus dem ff zu kennen. Ganz und gar. Und kann mir nicht vorstellen, noch irgendwelche ueberraschungen mit mir zu erleben.
Dazu möchte ich gerne noch etwas sagen... Ich halte es für sehr wichtig, dass man mutig genug ist, sich überraschen zu lassen. Keiner ist irgendwann "fertig" und "abgeschlossen". Leben ist immer Entwicklung und es ist immer bis zu einem gewissen Grad unvorhersehbar. Und das ist gut so. Ich halte es für sehr schädlich, wenn man an etwas (und sei es das Selbstbild) zu sehr festhält, das gerade ist. Es ist sehr befreiend, zu spüren, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Es ist befreiend, darauf zu vertrauen, dass sich immer noch was ändern kann. Es ist paradox und vielleicht mit dem Verstand gar nicht zu begreifen: Sich selbst anzunehmen, ist eine extrem wichtige (vielleicht die wichtigste) Voraussetzung, für Veränderung und Wachstum.
Bei vielen führt eine Unzufriedenheit zu Resignation. "Ich kanns nicht ändern, also muss ich es eben akzeptieren." So eine Resignation ist gefährlich. Man wird immer noch unzufriedener und unglücklicher. Alles stagniert, da ist kein Wachstum, kein Leben, kein Fünkchen Glauben an die Möglichkeiten und Chancen die es gibt.
Das Gegenteil: Jemand der verbissen kämpft und strampelt und alles dafür tut, seine Unzufriedenheit zu bekämpfen, seine Ziele zu erreichen, sich selbst zu optimieren, funktioniert aber auch nicht... So jemand findet wohl auch nie zu sich selbst, weil er vielmehr versucht, aus sich jemanden zu machen, der er im Grunde nicht ist.
Viele Menschen schwanken wohl auch zwischen diesen Extremen. Sie haben es vielleicht erst mit dem einen versucht, haben festgestellt, dass es nicht funktioniert und versuchen deshalb das andere. Manche glauben wohl auch, dass eine Art Mittelweg das Beste ist. Nicht zu viel Resignation, aber auch nicht zu viel Kampf. Das klingt vernünftig, aber ich glaube inzwischen, dass es noch etwas anderes gibt. Ein wirkliches "Sich-annehmen" mit einem gleichzeitigen Vertrauen in das, was da noch wachsen kann... Ich bin davon überzeugt, dass man diesen Weg nicht in der Mitte zwischen den beschriebenen Extremen findet. Dieser Weg ist wo anders...
Liebe Grüße
M.