Ich kann dir mal etwas von mir erzählen: ich hatte mal einen auf den ersten Blick sehr konservativen Chef, der auch bekennender Christ ist. Verheiratet, Kinder, "klassische Wertevorstellungen" in einigen Dingen ... Aber, ein sehr guter Freund von ihm ist schwul und hat sich offen dazu bekannt. Mein Chef hat diesem Freund bei seinem Outing sehr geholfen und ihm Mut zugesprochen und ihn dazu ermuntert, dazu zu stehen. Mit seinem Lebensgefährten versteht mein früherer Chef sich auch sehr gut und hat ihn gleich mit offenen Armen empfangen und versucht, ihn in den Freundeskreis zu integrieren. Woher ich das weiß? Weil dieser besagte Freund ebenfalls ein Arbeitskollege von mir und diesem Chef war.
Dieser Chef hat Diskriminierung jeglicher Form null in der Arbeit toleriert. Menschen sind mehr, als man auf dem ersten Blick denkt.
Natürlich begegnen einen häufig in bestimmten Kreisen, Berufsbildern und Betrieben konservative Leute, die es in allen Bereichen sind und einen dann wirklich nur aufgrund der Sexualität verurteilen und ablehnen. Aber, die muss man nicht in sein Leben lassen. Die muss man auch nicht bekehren oder mit ihnen rumdiskutieren, solange sie für das eigene Privatleben keine Rolle spielen.
Du bist ja auch nicht verpflichtet, auf persönliche Fragen genauer zu antworten - ich selbst finde das mega bescheuert, wenn Arbeitskollegen, die man kaum persönlicher kennt, einem solche Fragen stellen. Oder erwarten, dass man da direkt mit offenen Karten spielt.
Aber manchmal ist das einfach der Versuch, jemanden näher kennenzulernen und zu erfahren, was das genau für ein Mensch ist. Zwar ein sehr distanzloser und holpriger Versuch, aber einige Leute merken sowas nicht, bzw. empfinden es als "netten Smalltalk" wenn sie nach Beziehungsstatus fragen usw. und nicht als unpassend oder zu privat. Ist die Erfahrung, die ich oft gemacht habe.
Ich glaube, soziale Interaktion mit anderen fällt einem einfach schwer, wenn man viel von seiner Umwelt als feindselig oder "gefährlich" empfindet, weil man verletzt wurde, schlechte Erfahrungen gemacht hat oder sich irgendwann als Außenseiter empfunden hat. Das geht ganz vielen Leuten so. Sich zu öffnen oder alte Vorstellungen über Bord zu werfen, ist dann immer mit einem gewissen empfundenen Risiko verbunden - man könnte ja trotzdem abgelehnt, verletzt, entwertet, runtergespielt, ausgeschlossen oder diskriminiert werden. Wer sich öffnet, macht sich verwundbarer, als wenn er sich verschließt und abwendet.