Hallo Threadersteller,
hier ist derjenige, der dich als wetterwendig bezeichnet hat und ich möchte, ohne dich verletzen zu wollen, bei meinem Urteil bleiben, in der Hoffnung, dass es dich festigt.
Ich konnte bisher leider noch nicht antworten, hoffe aber, dass du meine Nachricht hier auch noch lesen wirst. Ich möchte, dass du zunächst einmal weißt, dass ich nachvollziehen kann, was dich bewegt. Dass ich das nachvollziehen kann, bedeutet aber nicht, dass ich es billige. Denn, würde ich sagen, dass ich es billige, würde ich damit zugleich sagen, dass du nichts zu verändern brauchst. Weißt du, auch ich bin noch jung, aber ich erkenne mehr und mehr, in welche Lage wir jungen Menschen heutzutage hineinmanövrieren.
Du sagst, dass du dir nicht sicher bist, ob er der Richtige ist. Und manche hier haben sich sogar erdreistet, zu behaupten, dass er nicht der Richtige sein kann, wenn du solche Gefühle hast. Das ist aber komplett falsch. Denn sie behaupten, ohne diesen jungen Mann zu kennen, dass deine Zweifel durch begründet sein müssen. Du musst aber verstehen, woher deine Gefühle wirklich kommen. Dieses Konzept „der Richtige“ oder anders gesagt „der Seelenverwandte“, ist eine unberechtigte Grundlage, die uns durch unzählige Romane und romantische Filme in den letzten Jahrzehnten nach und nach immer mehr eingeimpft wurde. Versteh mich nicht falsch. Diese Wunschvorstellung, das jemand 100 % zu uns passt, gibt es nicht erst seit 200 Jahren, aber sie war in den Köpfen niemals so präsent wie heute. Das Schlimme ist aber, dass sich dadurch Menschen dadurch ihre Ansprüche unbewusst höher schrauben und eine tiefe Unzufriedenheit sich in ihr Leben einschleicht. Schauen wir als Beweis die ältere Generation an, deren tausende Jahre lang überwiegende Denkart leider seit einigen wenigen Generationen ausstirbt. Auch in Deutschland haben sich viele von diesen ältere Menschen wenig gekannt, bevor sie heirateten. Und trotzdem gab es viel weniger Scheidungen. Viele sagen, dass das nur daran liegt, dass Scheidungen früher viel mehr verachtet wurden. Das erweist sich aber als Lüge, wenn man mit dieser Generation spricht und erkennt, dass sie einfach trotz vieler Schwierigkeiten in ihrem Leben, vielleicht aber gerade wegen der vielen Schwierigkeiten und realistischen Ansprüchen an das Leben, zufriedener und glücklicher sind mit ihrer Situation.
Versteh mich auch da nicht falsch. Natürlich wirst du keinen Menschen heiraten wollen, der keine Nase hat. Sprich, er wird dir schon irgendwie vom Aussehen her zusagen müssen. Er muss nicht der Schönste sein, aber du musst ihn mögen. Du wirst auch niemanden heiraten wollen, der von seiner Erziehung her, von seinen Gedanken her gar nicht zu dir passt. Du wirst jemanden wollen, mit dem du kommunizieren kannst. Und wenn du ganz romantisch bist (ich bin das z.B.), dann wirst du dir auch eine gewisse Verliebtheit wünschen. Aber all das rechtfertigt nicht, einen Menschen „auszuprobieren“, indem man ein paar Jahre mit ihm erst gehen muss, vielleicht sogar zusammen wohnen muss, bevor man heiratet. Wie unmenschlich es ist, einen Menschen auszuprobieren, als würde man ein Produkt vor dem Kauf ausprobieren, sehen die Menschen gar nicht mehr. Und wenn wir es mit einem Produktkauf vergleichen wollen: Wenn man einen Schuh anzieht, und der passt nicht, dann merkt man das in der Regel schnell. Wenn man aber das Gefühl hat, das könnte passen, kauft man ihn und trägt ihn, läuft ihn ein und nutzt ihn ab. Danach aber hinzugehen und zu sagen „Der passt mir doch nicht.“ ist einfach nur dreist. Ich bringe dieses Beispiel nur, um zu zeigen, dass wir manchmal sogar im Produktkauf mehr Gerechtigkeitssinn beweisen als in der Partnerwahl.
Du brauchst nicht den, der vollkommen zu dir passt, der „der Richtige“ ist, sondern jemanden, der in einem gewissen Maße zu dir passt.
Wenn die ältere Generation einen geheiratet hat, hat sie nicht gefragt, ob man es nicht hätte besser treffen können. Wer das tut, der ist unehrenhaft, finde ich.
Auch folgende Dinge solltest du in Betracht ziehen, um deine Ansprüche zu hinterfragen:
Die Ansprüche der heutigen Generation unterscheiden sich aus mindestens zwei Gründen so erheblich von denen vieler hunderter Generationen davor. Der erste Grund liegt in der scheinbaren Auswahl. Früher hatte man das Dorf und das Nachbardorf und, Gott sei Lob, es hat sich jemand ergeben, der vom Aussehen gefallen konnte und auch einigermaßen von der Erziehung und den Macken und den Gedanken her gepasst hat. Und was war? Man heiratete und wer Zufrieden gestellt werden konnte, der war zufrieden. Heutzutage meinen die Leute, die nächste große Chance warte schon um die Ecke. Zu diesem Trugschluss will ich nicht viel schreiben. Wenn du englisch verstehst, empfehle ich dir hierzu die überzeugenden und traurigen Erfahrungen einer bekannten Frau mittleren Alters:
I left the love of my life because I thought I could do better. Now I'm childless and alone at 42 | Daily Mail Online
Der zweite Grund ist, dass wir unsere Möglichkeiten ganz erheblich Vergleichen unterziehen. Wir vergleichen uns nicht nur mit dem Nachbarn, dem Kollegen, den geschminkten Facebook-Profilen der Paare um uns usw. Wir vergleichen uns vor allem auch, bewusst oder unbewusst, mit den Gefühlsexplosionen in Filmen und Serien, in Werbung und Romanen. Wir fragen uns, ob wir nicht warten sollten, bis wir uns auch so fühlen. Jeder, der sich solchen Ansichten aussetzt, wird seine Ansprüche Schritt für Schritt anheben.
Lieber Threadersteller, ich bin wirklich an deinem Glück interessiert, deswegen schreibe ich so viel. Bedenke bitte folgendes: Soweit ich es deinem Post entnehmen kann, liebt dich dein Freund. Weißt du, was für ein hohes Gut es ist, von jemandem geliebt zu werden? Und dann auch noch von jemandem, der einen schon hat? Und bedenke auch, wie glücklich du diesen Menschen machen kannst. Ich rufe dich nicht dazu auf, dich zu opfern, wenn du ihn nicht heiraten willst. Aber dann opfere ihn auch nicht, indem du durch jeden neuen Tag, durch jede neue Erinnerung, die er mit dir in seinem Gedächtnis anlegt, eine neue Narbe verursachst, die ihm zugefügt werden wird, wenn du ihn verlassen hast. Suche und jage nach Zufriedenheit und Glück, indem du dich selbst hinterfragst! Wenn du es nicht kannst, verlasse ihn und jage weiter außerhalb von dir danach.
Du fragst, ob ich verletzt wurde. Ja, ich wurde von meiner Verlobten verlassen. Macht das meine Worte weniger wert? Weniger wahr? Ich wünsche dir und ihm alles Gute und dass du dich gegen die Lügen in dieser Welt, die an unseren Ansprüchen und unserer Zufriedenheit schrauben, wappnest und wach bleibst!
Ich möchte noch eine Sache ansprechen, die hier viele behaupten: Nämlich, dass es okay sei, dass du so eng mit einem anderen jungen Mann befreundet bist. Diese meinen, wer das falsch nenne, könne nicht zwischen Freundschaft und Liebe unterscheiden. Ich weiß aber, dass vielmehr diese vergessen haben, dass Liebe und viel öfter bloße Lust und verheerendes Fremdgehen oftmals aus Freundschaft entsteht. Du musst, um diese Frage, ehrlich zu beantworten, ob Freundschaft zwischen Männern und Frauen okay ist, obwohl diese einen Partner haben, dir selbst klarmachen, welche Gefahren nun einmal bestehen, ob wir es zugeben wollen oder nicht. Fakt ist: Wer Zeit miteinander verbringt und in dieser Zeit gemeinsame gute Erlebnisse hat oder gemeinsam sogar Schwierigkeiten durchmacht, wer den anderen tröstet, wenn er traurig ist, und mit ihm lacht, wenn er glücklich ist, wer Anteil nimmt an seinen Sorgen und Nöten, und das tun Freunde, wenn sie Freunde sind, der entwickelt zwangsläufig mit der Zeit Gefühle für den anderen. Zumindest einer von den beiden wird es tun.
Wenn ich eine Verlobte hätte, sollte diese nicht mit meinen männlichen Freunden befreundet sein? Doch, ich hoffe, sie wird mit ihnen allen gut befreundet sein, aber ich möchte nicht, dass sie alleine mit ihnen Zeit verbringt, mit einem sich sogar besonders trifft, ihm ihre Sorgen erzählt, ihn anruft, um von ihren Erlebnissen zu erzählen usw. Das alles gehört mir und ich gehöre ihr. Meine Sorgen, meine Freuden, meine Zuneigung gehört ihr. Ich habe auch männliche Freunde, mit denen ich Sorgen teile und Freuden habe, und genauso hat sie solche Freundinnen, aber eine Freundin neben meiner Verlobten werde ich nicht haben und sie keinen männlichen Freund neben mir.
Nun, ich hoffe, du nimmst es zu Herzen. Entscheide dich für oder gegen ihn. Alles was die Generationen vor uns vorgelebt haben, was den Namen Liebe und Treue verdient, beweist, dass du nach einem Jahr mehr als genug Erfahrung mit ihm gesammelt hast, um dich einfach und fest für diesen Menschen zu entscheiden, für ihn und niemand „besseren“, oder eben gegen ihn.