Hallo Dauni,
ich kann deine Verzweifelung gut nachvollziehen. Natürlich ist der Tod nicht zu begreifen. Was für eine Art des Begreifens soll dass auch sein? Es klingt so, als meinst du damit ein Verständnis der psychodynamischen Kausalzusammenhänge, bei deren genauerer Kenntnis du zum rechten Zeitpunkt noch hättest eingreifen können. Natürlich besteht diese Hoffnung, in einem rationalen, fast technischen Verstehen der Situation irgendwo einen Hebel finden zu können, mit dem sich der Zug des Schicksals doch noch auf ein anderes Gleis lenken lässt.
Aber der Preis für diese Art des "Begreifens" liegt darin, dass einem die Unsinnigkeit des Schicksals nur noch krasser vor Augen tritt. Dann kommt vielleicht zum Vorschein, dass irgendein nichtiges Ereignis in der Kindheit oder was auch immer zum Auslöser der Erkrankung deiner Mama war und dir wird nur umso klarer, dass ein winziger Zufall absolut gnadenlos über das Leben entscheidet. In dieser Art der Betrachtung liegt absolut kein Trost und es ist kein Platz für Trauer! Fragen nach dem Sinn, die man zwangsläufig stellt, werden niemals durch Kausalzusammenhänge, seien sie psychologischer, chemischer oder sonstiger Natur, beantwortet.
Alles was man dadurch "gewinnt" ist die Illusion der Macht für einen kurzen Augebnlick: Wenn ich alle Zusammenhänge begreife, dann kann ich den Weltenlauf ändern! Manchmal mag das sogar funktionieren. Aber wenn man es nicht konnte, dann kommt all die Hoffnung wie eine Flutwelle aus Schuldgefühlen zurück. Hätte man es nicht wissen können? Hätte man es nicht verhindern können und müssen? Wäre man doch damals nur ein bisschen schlauer gewesen... Nein, man konnte es nicht! Und diese Art des Denkens ist absolut schädlich, denn sie führt zu nichts als Schuldgefühlen und weiterer Sinnentleerung! Diesen Preis sind ein paar "Beeinflussungschancen" des Weltenlaufs nicht wert, denn die Welt wird in dieser Betrachtung zur blinden Maschine und es kann nurnoch darum gehen, sich selbst und seine liebsten zu schützen vor einer erbarmunglosen Mechanik des Zufalls. Das kann und darf nicht alles sein! Halte nicht weiter an der Illusion fest, du hättest irgendetwas ändern können müssen!
Stattdessen: Lasse deine Trauer zu, denn in ihr werden genau die Fragen verborgen liegen, die du dir stellen und beantworten musst. Es werden Fragen außerhalb solcher Kausalzusammenhänge sein, Fragen nach dem Sinn und Wesen der Existenz und des Lebens. Möglicherweise werden es viele Fragen nach deinem Platz im Leben sein und wie du nun zu der Stärke gelangen kannst, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich bin mir sicher, dass deine Mama genau das für dich gewollt hätte. Sie hätte gewollt, dass du dich aufrichten und in dein Leben treten kannst als Person, welche die Stärke der Mutter verinnerlicht hat und auf diese Weise mit ihr verschmolzen ist. Trage deine Mutter zurück in die Welt, indem du dein Leben in die Hand nimmst. Drücke deine Trauer aus, in ihr steckt eine riesige Energie. Dass du das mittlerweile kannst finde ich super und ich wünsche dir, dass du zu immer mehr Stärke in diesem Punkt gelangen kannst.