Hallo! Ich wollte schon viel früher antworten, aber diese Woche war leider stressig.
Mein Mann ist seit Montag im Krankenhaus. Er hatte in der Nacht plötzlich extreme Schmerzen bekommen und der Freund, bei dem er ja nun wohnt, hat gleich den Krankenwagen gerufen. Dort im KH wurde dann eine Kolik wegen Nierensteinen festgestellt, und er hatte noch am selben Tag einen Eingriff deshalb.
Das war alles eine ziemliche Aufregung und hat unsere weiteren vagen Pläne für die Woche natürlich zu Nichte gemacht, also, was den Besuch beim Therapeuten angeht usw.
Das glaube ich Dir. Konntest Du Dich in der Zwischenzeit etwas sortieren?
Und...ganz wichtig...es geht hier nicht um Schuld. Weder Du noch er habt Schuld an der momentanen Situation.
Irgendwie habe ich es am Donnerstag nochmal zu meiner Therapie geschafft und obwohl ich nach der letzten Stunde irgendwie Zweifel hatte, ob es das Richtige ist, war es eine für mich sehr aufschlussreiche Stunde. Mein Therapeut hat eine Symbol-Arbeit mit mir gemacht und seitdem habe ich wieder über vieles nachdenken können.
Ich habe den Tod meiner Freundin noch gar nicht verarbeitet. Sie ist ja auch erst ein halbes Jahr fort, das kann wohl nicht anders sein. Aber ich habe auch gemerkt, wie ich das verdränge, gar nicht richtig zulasse, was auch irgendwie mit meinem Mann zu tun hat. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber mir war auch gleich klar, dass ihm das zusetzen würde. Ich wusste damals (ihre Diagnose kam im Februar) gar nicht, was ich tun sollte. Ich habe mit ihm nur darüber geredet, als die Diagnose, dass sie nur noch drei bis sechs Monate zu leben hatte, zum dritten Mal bestätigt wurde.
Ironischerweise war es meine Freundin, die uns durch die schweren Zeiten hindurch geholfen hat. Sie war älter als ich und hatte eine Menge Lebenserfahrung, gerade auch, was schwere Krankheiten, Psychologie und sogar Behinderungen anging. Gestern erinnerte ich mich wieder daran, wie sie noch in ihren letzten Tagen zu mir sagte, dass ich das alles schaffen und glücklich werden würde - mit meinem Mann. Sie kannte als einziger Mensch neben uns all unsere Sorgen und Probleme und hat trotzdem an uns geglaubt. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum ich auch daran glauben will.
Es sah zuletzt so aus, als ob es mit ihr wieder bergauf ginge und doch noch ein Wunder passieren könnte. Zwei Tage später war sie ganz plötzlich tot, die Organe hatten einfach versagt.
Das hat mir irgendwie meinen Glauben genommen und da kann ich mir nicht ausmalen, was das dann mit meinem Mann gemacht haben muss. Und ich bemerke an mir selbst gerade, dass auch ich seitdem etwas in mir verschlossen habe, langsam aber sicher. Weil es einfach zu weh tut. Ihm geht es da bestimmt genauso, aus ähnlichen und wieder ganz anderen Gründen.
Die letzten zwei Wochen, die sie noch Zuhause war, habe ich auch allein bei ihr verbracht. Später meinte er dann mal, er wäre mitgekommen, wenn ich es ihm gesagt hätte.
Weißt du, das mag komisch klingen, aber es gab Momente, in denen ich mich schuldig gefühlt habe, dass meine zwei wichtigsten Menschen, die so viel für mich da waren in der Vergangenheit und die für mich immer die Starken waren, so krank waren, so viel durchmachen mussten, ihnen so viel kaputt gemacht wurde und ich stand nur dumm daneben, außer Worten, Geduld und Hoffnung haben konnte ich ja eigentlich nichts geben.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Ablenkung war, die er gesucht. Es ist immer schwierig, mit Nichtbetroffenen zu reden, Elisabeth, mich hat mein Mann damals ab und zu an den Rand des Wahnsinns gebracht. Ich konnte mich oft aus diesen Situationen herausziehen
Ja, und das macht er von sich aus auch nie. Sich rausziehen, meine ich. Am Anfang im Krankenhaus, da hatte er wirklich hunderte SMS und zig Anrufe am Tag von allen möglichen Freunden und Bekannten. Er hatte nie Ruhe und hat sich die auch nie eingefordert. Das kam erst Monate nach der Reha, dass er sich nach und nach zurück gezogen und vor Leuten zugemacht hat.
Er konnte früher immer schlecht nein sagen, hat auch nie gezeigt, geschweige denn gesagt, wenn ihm etwas zu viel wurde oder er etwas nicht wollte.
Das war mir meiner Freundin "einfacher". Wir hatten vereinbart, dass, egal, was kommt, wir ehrlich miteinander sein würden und dann kam der Tag, an dem sie mir sagte "sei mir nicht böse, ich kann das ganze Gerede nicht mehr hören. Ich könnte jeden erschlagen und ich will nicht mehr wach werden". Ich habe das mehr als verstanden und sie daraufhin in Ruhe gelassen, bis sie wieder konnte/wollte.
Hast Du das ernst genommen? Ich hoffe schon. Schlimmer geht immer. In welcher Reha-Einrichtung war er denn? Ging es da hauptsächlich um Amputationen oder geschah das im Rahmen der Post-Chemo-Sorge?
Ja, das habe ich ernst genommen. Leider gab es noch am selben Tag Ärger wegen seiner Mutter und unser Gespräch wurde gestört. Als ich das am nächsten Tag nochmal ansprechen wollte und ihm versichern wollte, dass er bei mir gern diesbezüglich sein Herz ausschütten könne, war es kein Thema mehr, da hat er leider wieder zugemacht und wollte lieber über "Schöneres" reden.
Das war in einer Reha wegen der Amputation, ja. Da waren zum Teil viele schwer Verunfallte und ich weiß, dass ihn das noch lange sehr beschäftigt hat, sicher auch heute noch. Wie gesagt, mit einigen Leuten aus dieser Reha hatte er noch eine Weile zu tun, die hatten auch eine eigene WhatsApp-Gruppe, aber er meinte dann, dass die sich nur selbst bedauern würden.
Das hat nichts mit Opferhaltung zu tun. Er hat versucht, damit klar zu kommen, auf seine Weise...die aber nicht die ganz richtige ist.
Ja, Opferhaltung finde ich auch immer so ein Begriff. Man hört ihn oft und ich kann nicht verleugnen, dass ich manchmal auch dachte "man, jetzt ist mal gut, du lebst ja, nun mach auch wieder was draus", aber das ist selten. Eher denke ich oft, warum soll man sich eigentlich nicht als Opfer fühlen, wenn man es doch ist? Klar, es muss einen Weg da raus geben - so denn hoffentlich, wovor ich ja auch Angst habe, der Krebs nie mehr wieder kommt -, aber es war kein Schnupfen und es hat viele, viele eklatante Spuren in seinem Leben hinterlassen und es einfach verändert.
Ich glaube, er kriegt den Widerspruch selbst nicht hin, denn einerseits will er manchmal dann doch der alte Optimist sein, vielleicht eher noch für die Außenwelt als für sich? Aber dann kommen immer wieder Probleme, die ihn wieder runterziehen.
Die Sache jetzt ist für ihn auch wieder dramatisch gewesen. Er muss sich jetzt erstmal im Rollstuhl fortbewegen (er bleibt auch noch die nächste Woche im Krankenhaus) und das kotzt ihn an, es ist wieder ein Rückschritt, wenn auch nur für kurze Zeit, aber er fühlt sich wieder wie am Anfang.
Er hat übrigens, als der Krankenwagen kam, eine richtige Panikattacke bekommen und hat sich trotz seiner Beschwerden erstmal geweigert, da reinzugehen und mitzufahren. Einer der Sanitäter musste länger mit ihm reden und ihn überzeugen. Als er dann einige Minuten im Krankenwagen war, ging es wieder von vorn los und er wollte während der Fahrt wieder raus. Die haben das dann den Ärzten bei der Aufnahme auch mitgeteilt, so dass die meinem Mann später nahe legten, sich auch noch, sobald es ihm wieder gut geht, bei der Psychiatrie vorzustellen.
Was die Nebenwirkungen angeht. Ich wollte mich da immer mehr mit beschäftigen und habe mich auch schon informiert, wollte, dass er da mal mit einem Fachmann redet, aber von mir will er das nicht mehr hören.
Die Psychoonkologie, die in dem KH sitzt, in dem er behandelt und operiert wurde (*flüster* in unserem hiesigem KH würde ich mir nur Notfallsachen behandeln lassen *psst*).
Bei mir ist alles roger in Kambodscha.
Ja, das Beste wäre, wenn er sich da mit der uns nächsten Uni-Klinik in Verbindung setzen würde, mit der er ja eigentlich auch ganz zufrieden war. Ist leider auch viel Fahrerei, worauf er keine Lust mehr hatte. Aber das ist hier das einzige, was einem Krebszentrum nahe kommt.
Vielleicht kommt jetzt aber wiederum mehr in Gang, weil manche der Probleme und Themen jetzt auch durch den Krankenhausaufenthalt wieder aktueller sind und er sich wohl mit einem Arzt auch mal näher unterhalten hat.
Es freut mich sehr, dass bei dir alles okay ist soweit!