Er ist dann ja gestern noch vorbei gekommen und circa 2 Stunden geblieben.
Es war zunächst mal ein größtenteils sehr offenes und ungeschöntes Gespräch. Für unsere Verhältnisse jedenfalls.
Ich habe wiederum angesprochen, dass ich denke, dass ihm eine Therapie doch wirklich helfen könnte. Darauf kam von ihm "Sprüche und Therapien bringen mir mein Bein nicht zurück".
Das ist genau die Situation, bei der ich dann nicht mehr weiß, was ich sagen soll. Denn es stimmt ja, was er sagt und ich will dann nicht altkluge Ratschläge verteilen in Bezug auf etwas, das ich nicht selbst erlebt habe. Das verunsichert mich total.
Ich habe nochmal erwähnt, wie mich unser Umgang miteinander fühlen lässt. Ich hatte ja noch lange über seinen Ausspruch "wir sind doch keine Kinder mehr" nachgedacht, worauf er meinte, ich würde ja jedes seiner Worte auf die Goldwaage legen und das sei das Problem. Ich würde doch wissen, wie er das gemeint hat mit der "Freundschaft", denn für ihn sei unsere Verbindung tiefer als die Beziehungen, die er sonst kenne. Daran habe sich für ihn nichts geändert.
Irgendwie kamen wir dann auf das Sexthema und ich habe mich ähnlich wie hier geäußert. Daraufhin ist bei ihm irgendetwas ganz umgeschwungen. Das sei ihm alles so peinlich und er schäme sich für sich selbst. Er wisse selbst nicht, was mit ihm los sei. Es habe nichts mit mir zu tun, aber er hätte einfach Angst vor Verletzung und er könne sich nicht vorstellen, dass ich ihn langfristig wolle, so wie er jetzt ist. Dass ich ihm da widersprochen habe, hat gar nichts geholfen.
Er ist praktisch zusammen gebrochen, meinte, es ginge ihm wirklich gar nicht gut und weinte. Seit der Krankenhauszeit waren wir uns nicht mehr so nah, aber es hat mich doch auch sehr mitgenommen. Er gestand mir zum Beispiel, dass er in letzter Zeit öfters heimlich getrunken habe und, dass er sich selbst einfach nicht ertragen kann, dass er sich für "alt, dumm und behindert" hält. Er habe ständig Konzentrationsstörungen, könne keine lauten Geräusche mehr ertragen und habe da wohl irgendwas recherchiert, dass das von der Chemo komme. Im Grunde wolle er einfach nur von der Welt und allen Menschen in Ruhe gelassen werden. Vor allem hat er massive Panik, dass die Krankheit zurück kommt. Und dabei hat er am meisten Angst davor, dass er als bettlägeriger Pflegefall enden könnte.
Es war schwierig, da wieder zurück zu Konstruktivem zu finden. Ich kann mich nicht erinnern, ihn überhaupt je so gesehen zu haben. Er ist wirklich komplett fertig.
Um es an der Stelle zu verkürzen: er hat von sich aus irgendwann den Vorschlag gemacht, mich zu meiner Therapie zu begleiten. Er könne das nicht allein, das schaffe er nicht. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir das nächsten Donnerstag versuchen wollen. Das ist schon mal was, wobei ich noch nicht meinen Atem anhalte, denn er sagt gern Dinge im letzten Augenblick ab oder schafft es sie zu "verschwitzen".
Am Ende wäre er gern geblieben, aber da war ich dagegen. Das hat ihn überrascht und enttäuscht. Ich kann ihn zwar schlecht auf die Dauer aus seinem eigenen Haus verbannen, aber ich möchte wirklich erstmal Distanz.
Leider haben die Kinder mal wieder einiges mitbekommen und unsere Tochter hat furchtbar geweint. Und unser Sohn fragte uns, ob sein Vater wieder krank sei und deshalb fort müsse. Mein Mann hat ihnen die Sache dann zu erklären versucht. Ich fühle mich da schon mies dabei, weil ich das alles ja jetzt in Gang gesetzt habe und bezüglich der Kinder, da spielt mein Mann schon immer noch seine Spielchen - von wegen, das hätte ja nicht sein müssen, dass die Kinder so verstört sind, wenn er einfach über Nacht hätte da bleiben dürfen.
Aber ich will mich einfach an diese Abmachungen halten jetzt. Wie wir die Wohnsituation regeln, weiß ich noch nicht, aber ich glaube, wir sollten räumlich länger getrennt leben.