Hallo,
Ich schreibe euch gerade aus einem Zustand, der eine ziemlich deftige Mischung aus Trauer, Frustration und Panik darstellt. Vielleicht solltet ihr daher nicht jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen.
Ich weiß nicht recht, wo ich beginnen soll, um meine Gefühle verständlich darzulegen...
Vielleicht beginne ich einfach mal folgendermaßen: Ich gehe steil auf die 30 zu. Jeden Tag sehe ich mein Bild im Spiegel und bin schockiert von meinem Anblick. Ich sehe eine Frau, deren Gesicht beängstigend zu altern beginnt. Es gibt Tage da kann ich den Anblick kaum ertragen. Es widert mich regelrecht an.
Als Teenager wollte ich immer, dass die Zeit bloß schnell vergeht und ich endlich "erwachsen" sein kann, jetzt wünsche ich mir sehnlichst noch einmal 18 sein zu können.
Ziemlich im Kontrast dazu steht meine allgemein jugendliche Art. Ich weigere mich ohne bewusstes Zutun heftig dagegen "alt" zu sein. Ich bin nach wie vor für Pullover mit Sprüchen oder eine eher abnorme Haarfarbe zu haben. Es fällt mir leicht mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und mein Niveau zu adaptieren. Stände da nicht diese Zahl, mein Alter, im Raum, könnte ich ohne Umschweife einer von ihnen sein.
Das ist dann auch dieser Moment in dem in mir eine unheimliche Frustration entfacht wird. Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich altere und wütend auf die Anderen, weil sie jünger sind. Wütend, dass ich nach gewisser Zeit einfach erzwungener Maßen den Kopf einschalten muss, um mir klar zu werden: Hey, du bist fast 28 Jahre alt, was zum Teufel willst du mit einem/einer 18 Jährigem/n?! Wie kannst du glauben, diesen Entwicklungsstatus in irgendeiner Form noch einmal zu durchleben? Du kannst nicht eine von ihnen sein - das weißt du und das wissen sie auch!
Diese Erkenntnis schmerzt unheimlich. Jedes Mal...
Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich die Hälfte meines Lebens vergeudet. Dafür vergeudet traurig zu sein, zu lange gezögert zu haben, Dinge aus zum Zeitpunkt bestehender Gefühlsduselei nicht getan zu haben und dafür nach etwas zu Suchen, das es für mich nicht zu geben scheint. Ich habe meine Ziele häufig völlig falsch gesteckt, falsche Entscheidungen getroffen, nur weil meine Gefühle eben in diesen Augenblicken so seltsame Dinge eingefordert haben.
Es wächst mir momentan alles so über den Kopf, dass ich wünschte einfach nur in die Arme meiner Mutter zu kriechen und sie zu fragen, warum das Leben nur so schmerzhaft ist. Und dann all das zu hören, was eine Mutter ihrem Kind sagt, wenn es nicht mehr weiter weiß. Tröstende Worte eines erfahrenen Menschen...
Aber der Kopf weiß es besser: Ich bin nicht mehr klein, das geht nicht. Ich habe meiner Mutter seit Jahren nicht mehr erzählt wie es mir wirklich geht, was ich tatsächlich fühle. Für sie gab es die geschönte Version der Dinge. Ich fühle mich verpflichtet zu lügen, die Wahrheit ist in diversen Fällen für mich allein zu schwer zu verkraften gewesen, um sie ohne Gefühlsausbruch loswerden zu können.
Meine Mutter sagt mir häufig, ich würde mich zu selten melden... ich sage dann "Ach Mama..." und meine aber "es gibt einfach zu viel, das ich dir nicht sagen kann."
Ich habe mich auf eine sehr vereinnahmende Beziehung eingelassen. Die Eifersucht meines Freundes setzt Grenzen. Wir arbeiten daran und es wird besser. Jedoch haben die Jahre mit ihm wohl so nachhaltig auf mich eingewirkt, dass ich jedem Menschen so gut es geht aus dem Weg gehe. Jede dann doch entstehende neue Bekannschaft, die mir etwas bedeutet, hüte ich solange wie ein schmutziges Geheimnis wie es nur irgend geht. Um sie vor ihm zu beschützen, heißt, um dieser Beziehung weiter nachgehen zu können..
Jede dieser neuen Bekanntschaften löst unheimlich starke Gefühle in mir aus. Regelrechte Verlustängste toben in mir, es fühlt sich fast an wie frisch verliebt, jedoch potenziert. So ein unheimliches Gefühl von Sehnsucht, Angst und Schmerz. Denn ich weiß: Wird die Beziehung zu einem anderen Menschen zu eng - und eng bezeichnet alles zwischen ein paar mal miteinander geredet und einmal privat getroffen -, gehen bei meinem Freund direkt die Lichter an. Es ist völlig egal wie alt, welches Geschlecht diese Person hat oder ob sie fremd oder familiär zugehörig ist.
Diese Zeit des Wissens darum, Jemanden verlieren zu können, sobald er der Meinung ist, ihn mir wegzunehmen, fühlt sich fast an wie ein Brennen im Oberkörper. Wie viele kleine Nadelstiche. Als ob eine ungeheure Last auf meine Eingeweide drückt. Ich kann nicht essen, mein Herz rast und mein Mund ist trocken wie Staub.
Zuletzt kamen diese Gefühle in voller Blüte hoch, als mein Freund und ich beschlossen uns eine Katze anzuschaffen. Es war fürchterlich... Ich habe mehrere Monate lang abgelehnt, als er anfing darum zu bitten. Ich wollte das nicht. Ich weiß, dass ich mein Herz an so ein Tier hänge, sobald es meine Türschwelle überschritten hat. Und ich weiß gleichzeitig wie wechselhaft seine Entscheidungen sind. Sollte er also dann vom einen auf den anderen Tag beschließen dieses Tier nicht behalten zu wollen, würde eine Welt für mich zusammenbrechen. Und so war es dann auch. Irgendwann ließ ich mich doch breitschlagen, im Glauben, er würde sich nach so langer Zeit des Bittens sicher sein und das Tier zog ein. Kaum einen Tag später merkte ich wie er begann, die Katze abzulehnen. Schließlich beschloss er nach drei Tagen Einschränkungen für diese Katze. Sie sollte nicht mehr mit ins Bett und auch ja nicht in seine Nähe kommen. Nach 4 Tagen, forderte er, dass sie nun auch bitte in der Abstellkammer direkt neben ihrem Klo Futter bekäme. Letzteres geschah selbstverständlich nicht, aber mir brach es das Herz. Das will ich nicht für ein Tier... es waren insgesamt nur 6 Tage, dann habe ich es nicht mehr ausgehalten und dieses arme Tier, dass nun unter ihm und mir als Mittäter hatte leiden müssen, zurückgebracht. Es waren für mich 6 Tage blanker Horror. Ich habe 6 Tage lang mühsam den ein oder anderen Bissen heruntergewürgt, ich habe nicht schlafen können, ich habe nicht mal denken können, mein Herz raste, mein ganzer Körper brannte einfach nur vor Seelenschmerz. Ich habe den ganzen Tag mit größter Aufwendung meiner Selbstbeherrschung diese Gefühle hinuntergeschluckt und abends Sturzbäche geweint.
Ich wollte nie so ein Mensch sein, ich bin nicht so ein Mensch, ich bin gezwungen worden so ein Mensch zu sein...
Nun ist es wieder so weit. Ich habe eine Person kennengelernt. Einen Mann. Zum gemeinsamen Online spielen. Er wohnt mehrere tausend Kilometer in einem anderen Land. Er ist 8 Jahre jünger als ich. Ich glaube schon, dass er ein wenig herumträumt. Aber ich denke den größten Teil macht das Unwissen über das Gegenüber aus. Wir kennen fernab Alter und grobem Wohnort (Land) keine privaten Details voneinander. Und außerdem sind wir da ja wieder beim Thema ganz oben...
Es ist rein vom Kopf her also völlig harmlos. Ich möchte weder auswandern, noch ein Pferd auf einen derart deutlich jüngeren Mann setzen, von dem ich lediglich die Stimme kenne. Ich möchte einfach nur mit einer netten Person zusammen dem Onlinespiel nachgehen.
Meine Gefühle hingegen schwappen aber obgleich dieser kargen Basis völlig über: Da ist diese Besessenheit ihn zu "besitzen", einfach alles, was er tut und je getan hat aufzusaugen. Die panische Angst ihn zu verlieren und die Sehnsucht auszubrechen aus meinem Leben. Ich würde gefühlt alles tun, um ihn "behalten" zu können. Es ist keine Liebe. Nur eine wohl ziemlich kranke Form des Verlangens nach menschlicher Nähe. Ein übermäßiges Interesse an einer Person. Eine Art Voyeurismus, den ich auch hin und wieder bei mir absolut fremden Personen auslebe, einfach, weil es sich anfühlt, als ob ich nicht allein wäre, als ob ich am Leben dieser Person teilnehmen könnte.
Ich beginne mir Pläne zurecht zu legen wie ich diese Beziehung aufrecht erhalten kann. Ich beginne darüber nachzudenken, mich von meinem Freund zu trennen, nur um einen "Freund" - der ein solcher ja gar nicht ist - haben zu können. Gleichzeitig bricht die Depression über mich zusammen keine Perspektive zu haben. Alt zu sein. Starr zu sein. Ich bin einfach total verzweifelt.
Zum Jahresende habe ich häufig meine "Jahresabschlussdepressionen". Ich fühle mich dann besonders alt, besonders häßlich, besonders unvollkommen, besonders starr und besonders unzufrieden.
Ich beschließe dann meistens für mich recht untypische Dinge, die ich einfach mal machen will, weil ich sie bisher verpasst habe. Dieses Jahr habe ich beschlossen mir eine Maniküre machen zu lassen. Gel-Nägel oder wie man das schimpft. Mein Freund war zunächst völlig bei mir, ich solle mir etwas gönnen. Als die Maniküre beendet war und er das Ergebnis sah, fiel ihm aber alles aus dem Gesicht. Das würde furchtbar aussehen, ekelerregend, ich solle ihn bloß damit nicht anfassen er könne das nicht ertragen. Irgendwann ging es dann durch mit mir. Wir hatten einen heftigen Streit deswegen. Er schlurfte eine ganze Nacht rastlos durch die Wohnung und ich gab irgendwann nach... Ich habe mir den Kram knapp 4 Tage später von den Nägeln schreddern lassen. Ja, es sieht immer noch furchtbar aus.
Was soll diese Geschichte? Es ist ein Paradebeispiel wie bestimmt mein Leben verläuft.
Die Geschichten sind "alt" und wohl gezielt die "krassen" Beispiele... dennoch kommt das alles immer wieder hoch in solchen Situationen wie ich sie gerade erlebe. Ich denke darüber nach, ob das was ich jetzt habe, wirklich das ist, was ich für den Rest meines Leben will und wenn nicht, was dann? Ich bin kein Mensch der tatsächlich Liebe empfindet oder zumindest meint, dass er das nicht Liebe nennen kann. Ich empfinde starke Faszination für Personen, die mit der Zeit abflaut. Ich habe keine besondere Bindung zum Thema Sex. Ich kann absolut ohne diesen Leben. Darum geht es nicht...
Was stimmt nur nicht mit mir?